aushautundknochen

Aus Haut und Knochen

Fly und Lilly | 08.01.2021
Zwei Kommentare

TW: Essstörung, Magersucht

“Aus Haut und Knochen” ist ein von Sat 1 produzierter Fernsehfilm von Christina Schiewe, der von einer an Magersucht erkrankten Teenagerin handelt und neben der Krankheit selbst auch deren Auswirkungen auf ihr Umfeld fokussiert.

Falls ihr den Film noch sehen wollt - SPOILERWARNUNG!

Aus Haut und Knochen - Muss das sein?


Ein Kommentar von Fly

Manche haben diesen Abend vielleicht gespannt erwartet, andere haben etwas kritisch darauf geschaut: Nein, es geht nicht um eine wichtige (politische) Entscheidung oder etwas, auf das gerade die ganze Welt schaut.
Es geht um einen Film, der zumindest in einem Teil meiner Instagram Bubble recht präsent war: „Aus Haut und Knochen“ wurde am 1. Dezember erstmals auf SAT1 ausgestrahlt. Wie der Titel vielleicht schon vermuten lässt, geht es um Essstörungen, genauer gesagt, um Magersucht.

Vorweg: Ich finde es extrem wichtig, dass darüber berichtet wird. Außerdem möchte ich betonen, dass ich den Film schauspielerisch sehr gut gelungen finde! Dennoch komme ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus.

Die Protagonistin Lara ist magersüchtig. Zu Beginn weiß ihre Familie noch nichts, jedoch erfahren es ihre Eltern in den ersten 15 Minuten des Films. Zuschauende, die sich mit dem Thema auskennen, merken es schon früher. Daran ist noch nichts fragwürdig, allerdings ist schon der Anfang des Films das reinste Klischee. Lara trinkt Kaffee mit Süßstoff, geht ständig joggen und isst Watte zum Frühstück. Ihre Eltern merken zunächst nichts, die Mutter macht sich langsam Sorgen, der Vater nimmt alles auf die leichte Schulter. Trotzdem wird sie letztendlich untersucht. Die Ärztin nennt Zahlen, einen BMI-Wert und das Gewicht.  Die Ärztin klärt die Eltern auf, aber Lara streitet alles ab: „Ich bin doch nicht krank.“ All das bedient sämtliche Klischees der Magersucht, daneben aber auch Geschlechterrollen-Stereotype innerhalb der Familie.
 
Dieser Film ist nicht bei Weitem der erste, der die Thematik Essstörung im Allgemeinen und Magersucht im Speziellen aufgreift. Allerdings ist es nicht hilfreich, diese Krankheit noch in mehr in der Klischeeschublade zu versenken. Es ist nicht hilfreich darzustellen, wie sich eine „typisch magersüchtige“ Person zu verhalten hat, denn das kann bei anderen Betroffenen den Eindruck erwecken, sie müssten genauso sein, wenn nicht, sind sie nicht „krank genug“. Ebenso ist es meiner Ansicht nach ziemlich bedenklich, in einem Film, den sich wahrscheinlich viele Personen anschauen, die selbst betroffen sind, Zahlen wie Gewicht und BMI-Wert zu nennen. All das kann triggern oder ein falsches Bild der Erkrankung vermitteln. Es macht mich wütend, immer wieder die gleichen Vorstellungen zu sehen, dabei hätte dieses Thema es „verdient“ auch einmal anders dargestellt zu werden.

Wie kommt es dazu, dass sich eine Anorexie entwickelt? In Filmen sind es immer junge Menschen und fast nur Mädchen. Also entwickeln nur diese eine Essstörung?
Wie kann ich als angehörige Person wirklich helfen? Wie fühlt sich die Betroffene person wirklich? Was steckt neben den Symptomen und dem offensichtlichem Verhalten noch dahinter?

Diese und noch viele weitere Fragen werden leider kaum beleuchtet, geschweige denn beantwortet. Im Gegenteil, häufig neigen die Filme dazu, das Krankheitsbild oder die (einseitig dargestellten) Symptome zu romantisieren. Und das ist sehr gefährlich. Denn Filme sind nicht die Realität, Essstörungen dagegen schon.

Wo bleibt das Feingefühl? - Oder: Ein boomeriges Familiendrama

Eine Besprechung von Lilly


Ich habe mir den Film als Person angesehen, die zwar nicht selbst von Essstörungen betroffen, jedoch ganz gut darüber im Bilde ist. Persönliche Trigger fallen für mich dadurch größtenteils weg, trotzdem ist mir die Klischeehaftigkeit des Films sehr bewusst gewesen, die sich den Zuschauenden gerade im ersten Drittel nahezu aufdrängt. Ja, danke, ich habe verstanden, dass es sich hier um einen Film über Essstörungen handelt, ihr müsst es mir nicht dermaßen reinreiben! Vielleicht nehmen Menschen, die mit der Thematik weniger vertraut sind, das aber auch nicht so wahr. 


Es handelt sich weniger um einen Film über die Krankheit Magersucht als mehr ein Familiendrama mit einer stereotypisierten Anorexie-Kranken, die man auf 100 Meter Entfernung erkennen soll und die durchweg stigmatisiert (...) wird.

Dieser doch sehr aufdringliche Einstieg schreckt durch seine Plumpheit nun entweder ab oder weckt erst recht den Voyeurismus der Vorbeizappenden.

Zunächst wird die Hauptfigur Lara (Lisa-Marie Koroll) nur als Essgestörte vorgestellt, die Handlung wird eher aus Perspektive der Mutter (gespielt von Anja Kling) erzählt. Lara versucht ihre sehr offensichtlich dargestellte Essstörung vor ihren Eltern zu verstecken und gerät immer mehr mit ihrer Mutter aneinander, die ihr aus zunehmender Sorge nachspioniert. Das Vertrauensverhältnis der beiden geht nach und nach kaputt, Lara hat Ärger in der Schule und erzählt es nicht. Überhaupt belügt sie ihre Eltern, manipuliert ihren Vater und versucht sogar, ihn gegen ihre Mutter auszuspielen. Schließlich zwingt ihre Mutter sie, eine Gruppentherapie zu besuchen. Hier auch wieder Klischee ahoi: Das einzige “dickere” Mädchen hat Binge-Eating. In der Therapie findet Lara eine Freundin, die kurz darauf stirbt, an Anorexie.

Im Laufe des Films wird Lara zwar mehr und mehr charakterisiert, dennoch schwindet der Eindruck nicht, dass es eigentlich mehr darum geht, wie diese Krankheit das Familienleben durcheinander wirft und die Eltern rat- und hilflos zurücklässt. Weniger erzählt werden dadurch Hintergründe der Krankheit, sowie Gefühle und Gedanken von Lara als Erkrankte. So betrachtet ist der Film durchaus interessant, wer sich aber wirklich mit der Krankheit beschäftigen möchte, ist hier falsch. Es handelt sich weniger um einen Film über die Krankheit Magersucht als mehr ein Familiendrama mit einer stereotypisierten Anorexie-Kranken, die man auf 100 Meter Entfernung erkennen soll und die durchweg stigmatisiert, anstatt als mehrdimensionale Figur erzählt wird. Hauptfigur ist in meinen Augen ganz klar die Mutter, deren Lebenswandel und Leid hier unter die Lupe genommen wird. Man spürt hier leider die Boomerigkeit der Filmemacher - es wird wie immer keine wahrhaftige Lebensrealität von jungen Menschen behandelt, sondern irgendetwas angenommen und dadurch abgedroschene Vorurteile reproduziert. Schade!
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