berlinerkokskultur

Konsum kritisch ? - die moralische Inkonsequenz der Berliner Drogenkultur

Ein Text von Valentina | 22.04.21


TW: explizite Erwähnung von Gewalt 


In der Szene hipper Berliner Studenten steht ein soziales Bewusstsein hoch im Kurs, man verzichtet – selbstverständlich - auf tierische Produkte und Plastikverpackungen, Kleidung kauft man am besten Second Hand und der Kaffee muss mindestens Fairtrade sein. Genauso selbstverständlich scheint auch der Drogenkonsum zu sein, für den die Berliner Partyszene bekannt ist. Was mir als Zugezogene besonders aufgefallen ist: Die Einstellung zum Drogengebrauch ist hier eine ganz andere, er scheint hier ganz normal. Der Konsum von Fisch, Fleisch und Fast Fashion wird als verwerflicher angesehen als der von Kokain

"Mord gehört genauso zur Kokainkultur wie kleine silberne Löffel und zusammen gerollte Hundert

Dollar

Scheine."

Wenn wir über Drogenkonsum sprechen, geht es meistens darum, was die Drogen mit uns machen: Abhängigkeitspotenzial, körperliche Folgen, psychische Folgen Beschaffungskriminalität und so weiter. Warum aber sprechen wir so selten darüber, was der persönliche Drogenkonsum mit anderen Menschen macht?


Gerade in Berlin, wo sonst so gerne ganz genau auf Produktionsweise und Nachhaltigkeit geachtet wird, stelle ich mir ständig diese Frage. Klar, um differenziert über Rausch und Drogen zu sprechen reicht es nicht, einfach zu sagen: „Das ist alles böse und schlecht für dich, also Hände weg!“ Aber es reicht halt auch nicht zu sagen: „Solange ich weiß, was ich tue und meinen Konsum im Griff behalte, ist das ja wohl meine Sache.“ Das ist es nicht. Wer illegale Drogen konsumiert, unterstützt damit die kriminelle Industrie dahinter. Gerade im Bezug auf Kokain bedeutet das die Destabilisierung ganzer Länder, Bürgerkriege und Gewalt in Dimensionen, die sich die meisten Studis nicht einmal auf ihrem schlimmsten Horrortrip vorstellen können.


Der „Krieg gegen die Drogen“ wird nicht umsonst als Krieg bezeichnet. In Mexiko wurden allein zwischen Januar und Juni 2020 17.982 Menschen im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Drogenkartellen und dem Staat ermordet. Das sind im Schnitt 99 Morde pro Tag.


"Mord gehört genauso zur Kokainkultur wie kleine silberne Löffel und zusammengerollte Hundert-Dollar-Scheine" David Owen, Harper’s Magazine 1982

Was der US-Amerikanische Journalist David Owen in seinem Artikel “Boycott cocaine” schon vor 39 Jahren betont, sollte heutzutage eigentlich jeder/jedem klar sein. Trotzdem weisen aktuelle Zahlen daraufhin, dass der Konsum immer weiter ansteigt. Mit 181 Tonnen an beschlagnahmten Kokain verzeichnete die EU im letzten Jahr einen Rekordwert und die Zahl an Drogendelikten im Zusammenhang mit Kokain lag 2020 12,2% höher als im Vorjahr. Berlin liegt europaweit mit einem Kokainkonsum von 1,7 Tonnen im Jahr 2019 hinter Barcelona und London auf Platz drei. Menschen werden entführt, ermordet und zerstückelt, nur damit sich einige privilegierte Konsument*innen am Wochenende über ihre Egoprobleme hinwegsetzen können.


Die blutige Lieferkette einer Line wird konsequent geleugnet, aber wer bei Primark einkauft, wird verurteilt. Das ist nicht nur scheinheilig, sondern auch klassistisch. Denn genau wie vegane Sneaker, Alnatura Streichcreme und Fleisch vom Bio Bauernhof ist Kokain ein Luxus-, und in einigen Kreisen auch ein Lifestyleprodukt. Der gefühlte Unterschied? Kokain ist cool, ‚edgy‘  und internationale Drogenbosse werden in Film und Fernseher als rebellische Robin Hoods dargestellt. Das ist auch nicht weniger ignorant als den Klimawandel zu leugnen, und das Argument, dass die Gewalt im Drogenhandel durch die Illegalisierung entsteht, ist nicht mehr als eine Ausrede. Wenn Pelz nicht die Haut wäre, die lebendigen Tieren abgezogen wird, wäre der auch nicht unmoralisch. Nur weil Drogen auf dem illegalen Markt verkauft werden, heißt das nicht, dass sie kein Teil der kapitalistischen Ausbeutung marginalisierter Menschen und Nationen sind.

Warum ist die Lebensqualität der Kaffeebauern wichtig und die der Kokabauern nicht? Warum ist es so leicht weg zu schauen, wenn es um illegal gehandelte Produkte geht – und: Wenn Netflix jetzt eine neue Serie bringt, in der Nestlé CEO Ulf Mark Schneider über drei Staffeln als geiler Hund inszeniert wird, der immer von schönen Frauen und loyalen Geschäftspartnern umgeben ist, wird Nescafé dann auch wieder cool?


Quellen:

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