Kerstin | 20.05.22
Zum Interview treffe ich die Münchner freischaffende Künstlerin* Theresa Bittermann aka BiMän im digitalen Raum, weil BiMän aktuell ein paar Wochen nicht in München, sondern in Portugal arbeitet, beziehungsweise lebt. Sie/they ist 32, bezeichnet sich als postfemale und bisexuell/ lesbisch, denn „Gender ist fluide”. Der Hintergrund ihres Zoom-Videos zeigt ein in neutralen Farben eingerichtetes Zimmer, das in jeder europäischen Großstadt sein könnte. Bestimmt ihre Arbeit ihr Leben oder umgekehrt? Wie hat sie sich als queere Kunstschaffende zu Krisen-Zeiten in der immer noch männerdominierten Kulturszene behauptet? Aber möchte BiMän in diesem Machtsystem überhaupt mitmischen, oder es eigentlich komplett revolutionieren?
Zum ersten Mal habe ich DJ* BiMän 2021 bei einem ihrer Zoom-Auftritte im Kulturzentrum Glockenbachwerkstatt getroffen. Ich war fasziniert von ihrem energiegeladenen Auftritt in einem bunten Shirt und wirbelnden langen Haaren, die spontan mit den Tracks jonglierte, auch wenn sie durch einen Bildschirm von ihrem Publikum getrennt wurde. Im Interview für dieses Porträt erlebe ich BiMän von ihrer anderen Seite: entspannt mit ihrer Tasse Kaffee, im Kapuzenpulli und dicker Hornbrille wählt sie jedes ihrer Worte mit Bedacht.
BiMän selbst stellt im Gespräch ihre beiden Seiten als logische Ergänzung zueinander dar: Vor drei Jahren schloss BiMän ihren Master in Kulturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Genderstudies ab. Danach hörte die Gesellschaftskritik aber nicht auf, sondern ging erst recht los. „Von der Theorie in die Praxis” als soloselbstständige audio-visuelle Interventionskünstlerin. Das heißt, BiMän möchte mit ihrer Musik, Installationen, Workshops und vielem mehr vor allem eines: die Gesellschaft mit den bestehenden Verhältnissen kritisch hinterfragen.
Foto: Madeleine Leichner
BiMän: fluide Vielfältigkeit in Identität und Arbeit.
Auf die Frage „Kannst du mir nochmal aufzählen, welche Projekte du zur Zeit machst?” beginnt sie lachend: „Ich glaube, das sind gerade mindestens vier”. BiMän ist Teil des basisdemokratischen queerfeministischen DJ*-Kollektiv namens WUT. Sie will bei „Nicht/Mütter” als Co-Autorin die Hierarchie-Formen im Residenztheater aufbrechen. Außerdem organisiert sie das AKKURAT-Festival im Sommer, denn sie will „endlich mal die Erfahrung von only FLINTA* auf und hinter der Bühne machen”. Zudem produziert sie gerade ihre erste EP, die im Oktober 2022 erscheint. Das finanziert sie mit Preisgeld des Pop-Musik-Produktionsstipendiums des Münchner Kulturreferats: „Da schließt sich der Kreis: 2017 als DJ* angefangen, hin und wieder Kleinigkeiten produziert und liegen gelassen und dann mithilfe von diesem Stipendium einen Arschtritt bekommen.”
Diese ständig wechselnden Projekte bestimmen BiMäns „Nicht-Routine im chaotischen, wilden Urban-Jungle”. BiMän gibt zu, ihre Arbeit sei nicht wirklich von ihrem Alltag abgegrenzt, sondern beide seien fest miteinander verwoben. Das hat sich durch die Pandemie weiter gesteigert, aber BiMän möchte eigentlich nicht ins „Hamsterrad geraten” und sich dem gesellschaftlichen Leistungsdruck beugen. Dagegen kämpft sie mit ihrer alternativen Tagesgestaltung an. „Meine Kreativität erreicht zwischen 17-22 Uhr den Peak. Davor starte ich einfach in den Tag. Ich arbeite daran, tatsächlich nachts zu schlafen”, gibt sie zu. Ihr weiter Kapuzenpulli passt dazu. Aber trotzdem besteht die Gefahr, sich zu überarbeiten, weil es sich für sie oft gar nicht wie „wirkliche Arbeit” anfühlt, denn „du gehst ein bisschen auf Parties, hast ein bisschen Spaß.” Deshalb muss BiMän sich selbst immer wieder vor Augen führen, dass die Organisation eines mehrstündigen Events oft Monate dauert.
BiMän beschreibt ihre Existenz als freischaffende Künstlerin als Risiko, wie sich während Covid-19 zeigte. Infolgedessen prägt ständige Unsicherheit ihre Arbeit, statt „enthemmtem Feiern” und Interaktionen mit dem Publikum. BiMän musste sich während des ersten Lockdowns fragen: „Wie kann ich eine Künstlerin sein, wenn es keine Bühne gibt?” Ihre Arbeit habe sich in Pandemie-Zeiten nochmal intensiviert. Durch Podiums-Dikussionen und Live-Streams erreichte sie mehr Leute als zuvor im echten Leben. Daraufhin bekam sie das Feedback, dass ihre kostenlosen Live-Streams einige einsame Abende auf dem Sofa retteten. Insbesondere für Queers sind freundschaftliche „Wahlfamilien” teilweise wichtiger als die Herkunftsfamilie und das berufliche Umfeld, welche der Identität einer Person vielleicht ablehnend gegenüber stehen. Diese solidarischen Freund*innenschaften entstehen zum Beispiel in Clubs, aber auch in WGs. Aber: „Was ist mit queeren Personen, die vielleicht nicht in einer WG wohnen, sondern alleine Zuhause sind?” Diese Perspektive sei während der Lockdowns oft vergessen worden. Aber nicht in BiMäns arbeit, hier steht die queerfeministische Perspektive stets im Fokus.
Somit begreift BiMän die Digitalisierung als Chance für die Kunst. Gleichzeitig sieht sie die Geschwindigkeit der Verlagerung kritisch: Die Rechte an der eigenen Kunst seien digital noch nicht juristisch gesichert. Digitalisierung könnte sogar zur Reproduktion von Diskriminierungen beitragen, denn „von wem sind die Plattformen programmiert, die wir da nutzen?”. YouTube, Instagram und Zoom ermöglichen BiMän eine große Reichweite, widerstreben ihrer linken Einstellung aber wegen mangelndem Datenschutz und der Monopolisierung von Macht. Auch BiMän selbst sollte für ihre Platten-Vermarktung die User*innen in vorgefertigte Schubladen einteilen, um Werbung für sie zu optimieren. Aber genderspezifische Zielgruppen-Optimierung geht für BiMän gar nicht, insbesondere weil sie in ihrer „Filter-Bubble” die binäre Geschlechterordnung schon hinter sich hat.
Ihre freie Gestaltung von Leben und Arbeit sieht BiMän selbst selbst als ein Privileg. Ihr selbstkritisches Lächeln und ihre ironisch-überdimensionierte Hornbrille scheinen dabei zu sagen: „Ich wünsche mir eine Welt, in der es keine Privilegien gibt; aber da sind wir im gesellschaftlichen Wandel eben noch nicht angekommen!” Auf den verschiedensten Ebenen begegnen BimÄn in ihrer künstlerischen Arbeit Problem. Wie kann sie im kapitalistischen System überleben, sich der dabei verlangten Selbstausbeutung aber nicht beugen? Wie kann man kapitalismus- und gesellschaftskritische Kunst verbreiten außer über Soziale Medien in den Händen von Millionär*innen und multinationalen Konzernen? Die innere Zerrissenheit macht BiMän im Interview auch explizit, indem sie die offene Frage in den Raum stellt: „Kann man sich den Kapitalismus überhaupt queerfeministisch aneignen?”
BiMän arbeitet zwischen Selbstorganisation in freien Künstler*innenkollektiven und etablierten Strukturen wie Theatern und Stipendien. Kann BiMän so durch ihre Arbeit dazu beitragen, die bestehenden Institutionen von innen heraus queerfeministisch und subversiv zu verändern? Zum Beispiel kann sie das Stipendium als eine Art bedingungsloses Grundeinkommen nutzen, von dem sie träumt. So kann BiMän ihre eigenen Privilegien und Ressourcen nutzen, um mit ihrer Kunst empowernde und sichere Gegenräume für ihre queere Community zu schaffen. Offline, oder im Zweifelsfall eben auch online, denn sie gesellschaftliche Veränderung hin zu mehr Toleranz lässt sich auch durch eine Pandemie nicht aufhalten.