BODY AND ME/MYTHOS


MYTHOS Jungfernhäutchen

Wie der Name schon sagt, ist es ein Häutchen, das nur Jungfrauen haben, oder?


FALSCH!

Es ist nämlich weder ein Häutchen, noch hat es zwangsläufig etwas mit  Jungfräulichkeit zu tun. Um dieser Irreführung ganz einfach zu entgehen, reden wir nun folgend vom Hymen

Das Hymen ist ein Schleimhautsaum, der in Teilen die Vaginalöffnung umringt, bei jeder Frau ein wenig anders aussieht und in unterschiedlichem Maße die Öffnung verschließt. Der Gedanke, dass das Hymen die gesamte Öffnung abdeckt und erst beim ersten Geschlechtsverkehr einreißt, ist grundlegend falsch. Zum einen wäre ein vollständiges Bedecken der Öffnung sehr gefährlich, da dann die Frau nicht ihr menstruales Blut ausscheiden könnte. Im seltenen Fall dieser sogenannten Hymenalatresie findet eine Öffnung des Hymens dann operativ statt. Zum anderen reißt selbst beim Geschlechtsverkehr nicht unbedingt das Hymen ein. Nur etwa die Hälfte aller Frauen bluten bei ihrem ersten Sexualakt. Und doch glaubt man überall auf der Welt, dass Jungfräulichkeit ganz einfach durch das Hymen bewiesen werden kann, weshalb junge Frauen vor ihrer Hochzeit zu einem Arzt oder einer Ärztin geschickt werden, der oder die ihnen ein Jungfräulichkeitszertifikat ausstellen soll.

Vor allem in Ländern, in denen die Jungfräulichkeit einen besonders hohen Stellenwert hat, fürchten junge Frauen – unabhängig davon, ob sie tatsächlich schon mal Sex hatten oder nicht – so sehr, beim ersten Mal mit ihrem neuen (Ehe-)Mann nicht zu bluten, dass sie auf Operationen zurückgreifen. Da das Hymen relativ simpel aufgebaut ist, kann es durch einen kurzen Eingriff rekonstruiert werden, der die Wahrscheinlichkeit einer Blutung erhöht. So ein Eingriff kann zwischen mehreren Hundert und sogar mehreren Tausend Euro kosten. Der Vorteil: Nicht mal ein/e Gynäkologe/Gynäkologin wird den Unterschied erkennen und somit bestätigen, dass die Frau noch Jungfrau sei. Doch bietet auch diese Rekonstruktion keine Garantie dafür, dass die Frau tatsächlich in ihrer ersten Nacht bluten wird. Daher gehen
manche Frauen sogar noch weiter und lassen sich zusätzlich Implantate mit Gelatine
einsetzen, die dann beim ersten Geschlechtsverkehr platzen. Auch nicht-operativ bestehen Möglichkeiten, eine Blutung vorzutäuschen. Dabei werden kurz vor dem ersten Geschlechtsakt tampon-förmige künstliche Hymen eingeführt, die sich dann auflösen und dabei ein Blutpulver freisetzen.

Auf den gleichen Websites, auf denen sich betroffene Frauen über eine
Hymenalrekonstruktion informieren können, werden nebenbei noch Hinweise gegeben, wie man diese Lüge am besten seinem Ehemann verheimlicht („wirke vor dem ersten Mal ein wenig verkrampft und bekunde Schmerzen, wenn er in dich eindringt“), welche pflanzlichen Mittel (anscheinend Aloe Vera und Stachelbeere?!) man verwenden und welche sportlichen Übungen man betätigen sollte, um seine vaginalen Muskeln zu stärken und damit „enger“ zu werden. So könne des Weiteren der Eindruck einer Jungfräulichkeit entstehen. Als hätte das eine etwas mit dem anderen zu tun. 

Für Männer gibt es hingegen Tipps, wie sie die Jungfräulichkeit überprüfen könnten.
Dass nur jungfräuliche Frauen als „rein“ angesehen werden und sexuell aktive Frauen (aber nicht Männer) in vielen Kulturen Schande über die Familie bringen ist schrecklich. Dass die wahre Liebe mit der „Hingabe“ der Jungfräulichkeit assoziiert wird, ist vor allem verwirrend.

Wenn sich Frauen freiwillig für eine doch eher ungefährliche Hymenalrekonstruktion
entscheiden, um ihrem Partner eben diese wahre Liebe zu suggerieren, ist das die eine
Sache. Dass allerdings Frauen dazu gedrängt werden, einen Eingriff vorzunehmen, den sie sich vielleicht überhaupt nicht leisten können und unter anderen Umständen auch nicht durchführen würden, nur weil sich die Welt so wenig mit dem weiblichen Geschlecht auskennt, ist schockierend und kann nicht einfach so hingenommen werden. Da diese Operation für viele Frauen in den verschiedensten Kulturen wohl oft eine lebensrettende Maßnahme darstellt, ist es gut, dass es sie gibt. Doch sie müsste nicht sein, wenn endlich jede und jeder wüsste: Ein vorhandenes Hymen ist kein Beweis für Jungfräulichkeit, ein nicht vorhandenes Hymen ist kein Beweis dagegen und der erste Geschlechtsakt führt nicht notwendigerweise zu einer Blutung.
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