Wer ist über 12 Jahre alt und hat noch keine Diät gemacht?
Wer hat noch nicht darüber nachgedacht etwas abzuspecken, einfach nur weil gerade Sommer ist und es irgendwie alle machen?
Wer fühlt sich nach dem Abendessen nackt vor dem Spiegel wohl?
Gibt es einen körperwaagenfreien Haushalt ?
Selbstoptimierung
beginnt bei vielen beim eigenen Körper, wer gut aussieht hat sein Leben im Griff, wer seine Gelüste kontrollieren kann ist erfolgreich. Selbst in der Bibel ist Völlerei eine Todsünde.
Zu viel zu essen scheint verpönt zu sein und sehr kontrolliertes oder weniges Essen das Ideal.
Doch ab wann ist es gefährlich? Und sind wir nicht inzwischen eine (ess)gestörte Gesellschaft?
Blättert man Zeitschriften
durch, wimmelt es nur so von Diättipps, besonders in sogenannten Frauenzeitschriften, aber auch sonst überall.
In unserem Alltag ist Essen allgegenwärtig, jedes Nahrungsmittel ist immer verfügbar aber genauso präsent ist die Frage „Was ist gesund?“
Gesunde Ernährung und Essstörung sind nicht das Gleiche, aber es kann ineinander übergehen, wir müssen uns zwangsläufig die Frage stellen, was für unseren Körper gut ist, aber wir sind eben nicht nur Körper. Auch die Psyche spielt gerade beim Thema Essen eine große Rolle.
Es gibt Stress-Esser
und wieder andere die in stressigen Phasen kaum essen können. Und das ist vollkommen in Ordnung so!
Nach der stressigen Phase pendelt sich alles wieder ein, wenn man auf seinen Körper hört. Wenn...
Denn das ist die große Herausforderung.
Ständig verbieten wir uns Lebensmittel, da sie zu ungesund sind. Das kann zu Heißhungerattaken führen oder zum kompletten Verzicht.
Zu starke Emotionen
werden mit Essen oder Essensentzug unter Kontrolle gehalten. Emotionales Essen bedeutet Kontrollverlust, dabei ist Kontrolle so wichtig in der Leistungsgesellschaft.
Ich habe mich unter Kontrolle, ich bin gesund, ich leiste, ich verbiete mir Kaloriensünden oder belohne mich mit Essen, wenn ich etwas geschafft habe.
Hand aufs Herz, wer kennt es nicht?
Aber ab wann ist es krank, sind wir alle krank, leiden wir alle unter einer kollektiven Essstörung? Manche mehr, manche weniger, aber alle ein bisschen?
Was sind Esstörungen?
Zitat Wikipedia: „Eine Essstörung ist eine Verhaltensstörung, bei der die ständige gedankliche und emotionale Beschäftigung mit dem Thema „Essen“ eine zentrale Rolle spielt. Essstörungen betreffen die Nahrungsaufnahme oder deren Verweigerung. Sie hängen meist mit psychosozialen Problemen sowie mit der Einstellung zum eigenen Körper zusammen (Psychosomatik) und können zu ernsthaften und langfristigen Gesundheitsschäden führen.
Von manchen werden Essstörungen zu den Zivilisationskrankheiten gezählt.“
Ja stimmt,
aber meist steckt etwas viel Tieferes dahinter, als nur Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und viel mehr, als das, was sichtbar ist.
Sie spielen sich still und heimlich im Kopf ab. Und das macht sie so tückisch und gefährlich.
Die „klassischen“ Essstörungen sind Anorexia Nervosa/Magersucht, was nahezu kompletter Verzicht auf Nahrungsmittel bedeutet, und Bulimia Nervosa/Bulimie, welche sich durch Ess-Brech-Attacken zeigt. Daneben gibt es noch das Binge Eating, also regelmäßiges Überessen, die Orthorexie, zwanghaft gesundes Essen, und EDNOS, was soviel wie Essstörung, nicht näher klassifiziert bedeutet.
Auf die einzelnen ICD10-Klassifikationen möchte ich hier nicht weiter eingehen, denn die kennt inzwischen fast jeder. Sondern darauf, was dahinterstecken kann.
Denn meiner Meinung nach reichen diese Definitionen nicht aus, um alles zu beschreiben.
Niemand
fängt ohne Grund an, regelmäßig viel zu viel zu essen, niemand hängt freiwillig über der Kloschüssel, niemand hört grundlos mit dem Essen auf.
Die Beschäftigung mit Essen und dem eigenen Körper ist eine sehr effektive Ablenkung von tieferen Problemen, ein stiller Hilfeschrei und vor allem eine Überlebensstrategie der Psyche.
Und gerade Letzteres möchte ich an dieser Stelle würdigen. Denn überleben ist für uns alle essenziell.
Nicht jedes Hinterfragen
der eigenen Ernährungsgewohnheiten ist mit einer Essstörung gleichzusetzten, aber der Übergang ist sehr fließend und unsere Gesellschaft mir ihren Idealen macht das nicht unbedingt einfacher. So entsteht schnell ein Teufelskreis, aus dem ein Ausbrechen immer schwieriger wird, je länger die betroffene Person sich in diesem befindet.
Oft bleibt genau dieser Teufelskreis unbemerkt, denn obwohl sich viele Menschen häufig mit ihrem Essen beschäftigen, halten sich die Essstörungsklischees hartnäckig. Das Meistgehörte ist wohl: „ So dünn bist du doch gar nicht“.
Essstörungen
müssen nicht sichtbar sein! Und sie hängen nicht von Zahlen und BMI-Werten ab.
Viele Betroffene leben Jahre lang in ihrer eigenen Welt und trauen sich nicht, darüber zu sprechen. Vielleicht aus Angst nicht ernst genommen zu werden, oder auch weil sie selbst nicht benennen können, was eigentlich los ist.
Und was noch viel wichtiger ist, Essstörungen gehen ineinander über. Eine Person, die magersüchtig war, jetzt ein normales Gewicht hat, dafür aber nach Essattacken erbricht ist nicht gesund, nur weil der BMI sagt, es wäre alles okay.
Vielleicht sind wir eine essgestörte Gesellschaft, ich müsste jeden einzelnen auf dieser Welt befragen um das beurteilen zu können. Fest steht jedoch, dass sich viel mit dem Essen beschäftigt wird und sich viele Personen darüber definieren.