Laura | 24.10.2021
Die Liste der Dinge, die ich nicht leiden kann, wird immer länger. Dazu gehören auch privilegierte Menschen, die blind für ihre Privilegien sind, wie zuletzt gesehen in der Causa Frankfurter Buchmesse. Auch wenn die Debatte über meine persönliche Bubble hinaus gereicht hat, scheinen viele den Kern des Problems nicht erkannt zu haben.
Aber von Anfang an: Wie jedes Jahr findet auch dieses Jahr die berühmte Buchmesse in Frankfurt statt, bei der Buchneuheiten promotet werden und verschiedene Verlage aufeinander treffen. Zum wiederholten Mal ist dieses Jahr ein Verlag an Bord, der rechtsradikale Ideologien verbreitet. Es ist der Verlag Jungeuropa von Philip Stein, bekannt aus den Reihen der AfD und der Neuen Rechten. Dieses Jahr bekommen diese Rechten auch noch einen Platz neben der ZDF-Bühne, nicht versteckt im Eck, sondern mitten im Geschehen. Und dadurch wird die Buchmesse unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit und diversen Debatte offiziell ein unsicherer, um nicht zu sagen gefährlicher Ort für BIPoCs. Als Reaktion darauf haben Autor:innen wie Jasmina Kuhnke (@quattromilf) und Ciani-Sophia Hoeder (@ciani_sophia) ihre Auftritte abgesagt, da für sie die Teilnahme an der Buchmesse nur unter großen Sicherheitsvorkehrungen möglich wäre. Auch wenn das weniger Werbung für ihre Werke bedeutet. Das Statement der Frankfurter Buchmesse und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels bezüglich dieser Absagen lässt mehr als nur zu wünschen übrig und zeigt wieder einmal, dass Deutschland auf dem Rechten Auge mehr als blind ist. Ein Auszug: “Mit unserer eigenen Programmgestaltung und der unserer Partner setzen wir eindeutige Zeichen für eine vielfältige Gesellschaft und beziehen Position für einen toleranten und respektvollen Umgang miteinander. Damit grenzen wir uns von extremen Positionen deutlich ab. Die Frankfurter Buchmesse ist seit jeher ein Ort des Diskurses, an dem Fragen zu Menschenrechten, Rede- und Meinungsfreiheit oder zum Umgang mit Extremismus verhandelt werden. Meinungs- und Publikationsfreiheit stehen für uns an erster Stelle. Sie sind die Grundlage dafür, dass der freie Austausch in unserer Demokratie und die Buchmesse überhaupt möglich sind. Die Frankfurter Buchmesse und der Börsenverein setzen sich weltweit für die Freiheit des Wortes und Publikationsfreiheit ein. Deshalb steht für uns auch fest, dass Verlage, die sich im Rahmen der Rechtsordnung bewegen, auf der Buchmesse ausstellen können, auch wenn wir ihre Ansichten nicht teilen. Das Verbot von Verlagen oder Verlagserzeugnissen obliegt in unserem Rechtsstaat den Gerichten, und nicht einzelnen Akteur*innen wie der Frankfurter Buchmesse.” Das klingt ja ganz nett, beschreibt aber, wie gesagt, das Problem: Privilegierte Menschen, die sich weigern Rassismus, Antisemitismus und Hass aus dem Freifahrtsschein “Meinungsfreiheit” auszuklammern, weil sie nicht betroffen sind,Cancel Culture schreien und die Grundfeste der Demokratie in Gefahr sehen, weil sich Leute weigern, mit Nazis in einen Diskurs zu treten, da SIE UM IHR LEBEN FÜRCHTEN MÜSSEN!
Um es mal sehr direkt zu formulieren, es kotzt mich an, dass es erlaubt und gesellschaftlich anerkannt ist, Nazis und Rechtsradikalen unter dem Deckmantel der “Meinungsfreiheit” freie Hand zu lassen. Dass vor allem BIPoCs, queere Menschen und Menschen mit Behinderung dadurch ausgegrenzt und Gefahren ausgesetzt werden, wird einfach mal vergessen.
Ich erkläre jetzt mal hier für alle, was es mit dem Paradox der Toleranz nach Karl Popper auf sich hat. Dieser stellte die Frage danach, ob tolerante Menschen Ignoranz tolerieren müssen. Aber die Antwort lautet schlicht und ergreifend NEIN. Denn unbegrenzte Toleranz kann zur Abschaffung der Toleranz führen, einfach allein dadurch, dass die Toleranten durch die offen Intoleranten vernichtet werden. Jede einzelne Bewegung, die Intoleranz und Verfolgung propagiert, darf nicht durch das Gesetz geschützt sein. Rechtsextremismus ist KEINE Meinungsfreiheit und Rechtsextremismus hat NICHTS in einer Demokratie zu suchen. #keinenmillimeternachrechts
Es ist mehr als bitter, dass die Frankfurter Buchmesse keine Verantwortung für ihre Handlungen übernimmt und sich weigert eine Haltung zu zeigen, die Nazis keinen Platz gibt und BIPoCs, queere Menschen und Menschen mit Behinderung schützt. Sibel Schick hat das sehr schön formuliert: “Es ist ein Skandal, dass statt Nazis Betroffene von der Buchmesse ausgeschlossen werden. Hat Deutschland vergessen? Muss Deutschland erinnert werden?”
An dieser Stelle verweise ich gerne auch noch auf meinen Teil eins dieser Reihe. Es gibt Menschen in Deutschland, die sich gegen eine Erinnerungskultur wehren und der Meinung sind, dass Deutschland nicht mehr seine Schuld tragen sollte. Leute, die die schreckliche Vergangenheit leugnen oder verschweigen, weil es unbequem ist und weil sie nicht betroffen sind. Leute, die davon sprechen, dass wir in Deutschland einen Linksrutsch fürchten müssen, obwohl die AfD mit deutlichen Prozentpunkten vor der Linken in den Bundestag eingezogen ist. Die Hans-Georg Maaßen geil finden und ihm eine Machtposition zusprechen.
Das Problem der Frankfurter Buchmesse ist nicht nur, dass vor allem Women of Color gefährdet, ausgeschlossen und weiterhin benachteiligt werden, sondern dass dieses Verhalten symptomatisch für vieles in Deutschland ist. Für die Ignoranz und Blindheit der weißen privilegierten Gesellschaft, die zu feige und bequem ist, dem rechten Vormarsch Einhalt zu gebieten. Nichts zu tun ist fast noch schlimmer, weil sich automatisch mit Rechtsradikalen und Nazis solidarisiert wird anstelle von Betroffenen.
Schämt euch.
Das Buch von Jasmina Kuhnke:
Schwarzes Herz, Rowohlt Verlag, 2021.
https://www.hugendubel.de/de/buch_gebunden/jasmina_kuhnke-schwarzes_herz-40965417-produkt-details.html oder im Buchladen Eures Vertrauen.
Das Buch von Ciani-Sophia Hoeder:
Wut und Böse, hanserblau, 2021.
https://www.hugendubel.de/de/buch_gebunden/ciani_sophia_hoeder-wut_und_boese-40437448-produkt-details.html oder im Buchladen Eures Vertrauen.