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"Manchmal wäre es so einfach, sich einen neuen Blickwinkel zu verschaffen"

Lena | 15.12.22

Christine Fuchs war jahrzehntelang Personalerin bei einem großen Automobilkonzern. Dann veränderte sie ihr Leben drastisch. Heute ist sie Inhaberin der über Deutschland hinaus größten Räuchermanufaktur LAB.DANUM. Ein Gespräch über die Kommerzialisierung von Ritualen, die Kraft einer einzigen Kerze und neue Orientierungen in einer fragilen Welt. 

Am Beispiel der Raunächte [Zwölf Nächte zwischen den Jahren, meist vom 21.12 bis 6.1, Anm. d. Red.] zeichnet sich der Hype um spirituelle Rituale und das Räuchern ab. Nimmst du zwischen dem eigentlichen Sinn und der derzeitigen Vermarktung einen Widerspruch wahr? 

Ja, denn es geht nicht mehr um die Sache an sich, sondern nur darum, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen und voll auf diesen Hype und Kommerz aufzuspringen. Da wird mit Sprüchen wie “So veränderst du dein Leben innerhalb von 90 Sekunden zum höchsten Glück” geworben. Somit ist es mehr desselben, weil es den Konsum- und Kommerzgedanken näht. Das ist ein Widerspruch in sich, im Grunde will man den Leuten ja beibringen, runterzukommen, weniger zu machen und zu konsumieren. 

Siehst du dich selbst auch in diesem Widerspruch befangen? Immerhin hast du ein sehr erfolgreiches Unternehmen mit LAB.DANUM gegründet.

Wir müssen natürlich Umsatz machen, weil wir davon leben. Letztes Jahr haben wir uns aber zum Beispiel von unserem allergrößten Umsatzbringer verabschiedet, weil bestimmte Kriterien, die uns wichtig sind, nicht mehr erfüllt waren. Damit können wir aber gut leben, denn es entspricht unserer Überzeugung. Und parallel habe ich ja mein Onlinekurs-Angebot von www.christinefuchs.de sehr ausgebaut. 

Dazu passt, finde ich, ein Satz von dir, den ich gelesen habe: „Das Einzige, was du wirklich brauchst, ist eine Kerze und Rückzugszeit.“ 

Genau, denn diese zwei einfachen Dinge, die jeder hat, dienen als Orientierungspunkt in einem sich gerade öffnenden Markt. 

Seit wann, hast du das Gefühl, kommt dieser Hype rund um die Raunächte auf und weshalb?

Der wirkliche Hype ging vor fünf oder sechs Jahren los. Und zwar aus dem gleichen Grund, warum auch Eso und Spiritualität einen so großen Aufmerksamkeitsschub erhalten haben: Die Leute haben in ihrem Alltag immer weniger Stabilität, die Unsicherheiten werden immer markanter. Wenn auf der einen Seite etwas zusammenbricht, sucht man etwas anderes, das ist seit Menschengedenken so. Schon die Neandertaler haben sich nach oben verbunden, indem sie Figurinen geschnitzt haben, um einer übernatürlichen Vorstellung Ausdruck zu geben. Sie haben sich auch an etwas nicht Sichtbarem orientiert. 

Wie sind die „alten Weisheiten“ in unser modernes Leben und Alltag integrierbar? 

Im Grunde genauso, wie wir Zähne putzen und uns eine Tasse Kaffee oder Tee machen. Der Punkt ist, man muss es einfach tun: Ich zünde die Kerze an und schon kann ein neuer Raum aufgehen. Nur muss ich von der Vorstellung in das Tun kommen. 

Ich hätte jetzt gesagt, es ist eher erstaunlich, dass man sich auf einer zeitlichen Koordinate zurück auf die Ahnen bezieht. Wie kommt es, dass du es als so intuitiv und selbstverständlich rüberbringst? 

Ich glaube, dass ich es eben selbstverständlich, bodenständig und pragmatisch machen kann. Und nicht sage, wenn ihr eine Hausräucherung macht, müsst ihr erstmal fünf Tage fasten, weiße Kleidung anziehen und so weiter. Das wäre völlig daneben. Ich finde es sehr wichtig, es zum Kern runter zu brechen, um den Leuten eine Hürde zu nehmen. 

Ich erkenne in deinem Sprechen über das Räuchern eine dreiteilige Bewegung aus der Öffnung nach innen, also die Kommunikation mit der Seele und dem Unbewussten, einer räumlichen Öffnung nach außen in die Natur und dann auf einer Zeitachse zurück zu den Urahnen. Kannst du damit etwas anfangen?

Das ist eine interessante Überlegung mit den Richtungen. Es geht nach innen, es geht nach außen in die Natur, es geht zurück zu den Ahnen und wenn ich das verbinde, habe ich eine klare Richtung in meinem Leben. Wie ein Werkzeugkasten für mein Leben. Ich empfange Botschaften von den Ahnen und der Natur, von deren Qualitäten ich lernen kann. Mit meinem Verstand kann ich die verschiedenen Botschaften verbinden und dann in den Alltag umzusetzen. 

Was passiert durch das Räuchern? Inwiefern öffnet sich hier ein Raum? 

Wenn ich mir eine Auszeit im Alltag gönne, öffnet sich im besten Fall eine neue Perspektive oder ich merke plötzlich, dass ich eine Erstarrung loslassen kann. Das Ritual bringt mir eine Einsicht, Erkenntnis, die ich danach mit in den anderen Raum nehme.

Wie verhält sich der physische Raum zu mentalen Räumen? 

Durch das Beobachten des Räucherns spiegelt es den inneren Raum. Jahwe hatte im Alten Testament immer einen Schöpfergeist bei sich, Ruah. Diesen haben sie mit Rauch sichtbar gemacht. In dem Moment, in dem die Menschen den Rauch gesehen haben, war klar, dass Ruah aktiv ist. Dieser Schöpfergeist ändert und transformiert, indem er die Sorgen der Menschen auf eine andere, göttliche Ebene trägt. Das Beispiel zeigt vielleicht, wie äußerer und innerer Raum zusammenhängen. Heute sind wir noch viel stärker visuell geprägt – wir glauben, was wir sehen – auch damals konnte das als Sichtbarmachung wirken, die mit einer Erkenntnis einherging. Und noch heute wissen wir bei Rauch, dass etwas Unsichtbares aktiv wird. Die zweite Wirkung ist über die Düfte. Sie gelangen direkt ins limbische System, das unsere emotionalen Prozesse steuert, dadurch können wir es unmittelbar körperlich wahrnehmen. 

Kommen wir nochmal konkret zu den Ritualen: Unser Jahr gliedert sich nur noch durch zwei bedeutsame Grenzen: Weihnachten und die Sommerferien. Warum brauchen wir (mehr) Rituale? 

Es geht darum, sich, initiiert durch Rituale wie die Jahreskreisfeste, für einige Wochen mit einer bestimmten Zeitqualität zu verbinden. Im Frühjahr/Sommer ist Aufbruch, Neubeginn und Umsetzung unserer Ziele dran. Ab November nutzen wir die Zeit für Reflexion, Rückzug und Wiederanbindung an die Ahnen. So wird jede Jahreszeit enorm wertvoll und öffnet einen neuen Raum, schenkt neue Perspektiven.

Was meinst du mit Zeitqualität? 

Ich erkläre es am Beispiel von Imbolc bzw. Lichtmess, das Jahreskreisfest Anfang Februar. Der Februar steht für Reinigung, der Winter muss raus. Wenn ich aufmerksam bin, merke ich, dass die Sonnenstrahlen zum ersten Mal wärmer und die Tage etwas länger werden. Das nennt sich Zeitqualität und eine solche gibt es zu jedem Jahreskreisfest. Im Mai ist die Natur ein einziges Fest, das strahlt auf uns aus: Wir gehen ebenso wie die Natur nach außen, werden aktiver, lebendiger und kreativer. Allerdings wissen die meisten Menschen gar nicht mehr, woher die beschriebenen inneren Impulse kommen, die unser Verhalten im Jahr strukturieren. Dass es eigentlich aus dem Rhythmus der Natur kommt. 

Was können wir aus einem reflektierten Umgang mit der Natur ziehen? 

Wenn ich mir dessen bewusst bin, kann ich sie auch für mich nutzen und mich mehr an das Naturgeschehen anbinden. Der Februar und November sind etwa wie Schwellenmonate, die Wendepunkte in der Natur kennzeichnen. Und nicht, wie viele denken, unnötige Monate. 

Wie schätzt du die gemeinschaftliche Wirkung von Ritualen ein? 

Ich glaube das ist ganz wichtig. Deshalb erfährt das gerade auch so einen Aufschwung. Das Gesellige, das Zusammenkommen ist wichtig und man weiß, es ist ein gemeinsames Interessengelage, abseits von Geburtstagen, etwas ganz anderes. Man merkt hier, dass die Leute nach Anbindung suchen.

Einige sträuben sich richtig gegen Brauchtum, gegen Rituale und sogar gegen das Räuchern. Woher kommt der Ablehnungsmoment? Welche Berührungsängste mit einer spirituellen, natürlichen Bindung könnten hinter harschen Reaktionen liegen? 

Dahinter steckt tatsächlich die Angst vor einer Verbindung mit Bedeutsamen. Solche Leute stehen meist sehr fest in ihrem Leben, mit stabilem Job, Familie, wenn dann etwas kommt, das den Blick auf einen selbst dreht und die bedrohliche Frage aufwerfen könnte, ob man am richtigen Platz steht und wirklich glücklich ist, will man sich eher davor drücken. Deshalb tut man es lieber als Hokuspokus ab. 

Du warst selbst in einer solchen Situation: Sehr sicherer, guter Job in einem großen Automobilunternehmen. Dann bist du ausgestiegen und hast dein eigenes Ding aufgezogen. Wie geht das mit deiner eigenen Biografie zusammen? 

Letztendlich hat mich damals eine seelische Not dazu gebracht. Ich hätte natürlich bis zur Rente weitermachen können, wäre aber weder zufrieden noch glücklich gewesen. Das hängt also mit dem Anspruch an die eigene Lebensgestaltung zusammen: Will ich versuchen, im letzten Drittel meines Berufslebens nochmal was zu reißen? Veränderungsbereitschaft merkt man auch daran, wie sehr die Leute in ihren gesellschaftlichen Leistungs- und Erfolgskriterien verhaften: Du bist nur wer, wenn du eine Karriere hast. 

Wenn man sich mal auf den Weg begeben hat, sein Leben wirklich authentisch zu gestalten, ist es gar nicht so schwierig und man hält es für selbstverständlich. Erst durch die Rückmeldung von außen habe ich realisiert, dass es was Besonderes ist: Unvergleichliche Räuchermanufaktur aus dem Nichts aufgebaut. 

Jetzt steht ja die gerne als “dead week” bezeichnete Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr an. Was passiert da genau mit uns? 

Die Bezeichnung “Zwischen den Jahren” finde ich passender. In dieser Woche können wir nicht überall hingehen, weil vieles geschlossen ist. Deswegen wird es vielleicht als tote Zeit bezeichnet. Unmittelbar nach Weihnachten ist eine sehr typische Rückzugszeit, die aber auch wieder auf etwas zu geht: die große Feier an Silvester. 

Abschließende Frage: Was willst du jungen Menschen gegen Ende des Jahres mit auf den Weg geben?

Es lohnt sich, weihnachtliche Symbole zu hinterfragen und sich auf Spurensuche zu begeben, anstatt alles als gegeben und festgelegt hinzunehmen. Manchmal wäre es sehr einfach, sich einen neuen Blickwinkel zu verschaffen. Ich würde mit auf den Weg geben: Es darf auch einfach sein. Und: Rituale und alte Traditionen sind nicht uncool und out, sondern verwurzeln uns, geben Halt, Struktur und Sinn im Leben. 


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Website: www.christine-fuchs.de 

Räuchermanufaktur: https://labdanum.de/

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