dasendederbequemlichkeit

Das Ende der Bequemlichkeit

Lilly | 04.01.24

Auf geht’s, Männer, an die Arbeit, aber bitte an die Innere! Wir machen es doch schließlich schon eine ganze Zeit vor, die Verantwortung wartet! Ein Kommentar darüber, wieso Frauen sich nicht mehr mit weniger zufrieden geben sollten als mit dem, was sie selbst leisten. 


Disclaimer: In diesem Text wird mit Verallgemeinerung und Überspitzung gearbeitet, um ein kollektives Empfinden zu schildern und die strukturelle Ebene zu beleuchten. Dass nicht jeder Mann haushaltsunfähig und auch nicht jede Frau gut im Termine-merken ist oder sich ständig weiterbildet, das weiß ich. Ich bitte also um den Versuch, das hier Gelesene für sich zu abstrahieren und sich vielleicht mal ein bisschen umzuschauen…

Es ist Sommer 2023 und eine Trennungswelle bricht über meinen Freund*innenkreis herein. Die Gründe sind verschieden, man lebt sich auseinander, es gab Streit, es wurde betrogen. Das Übliche. Ist eben ein Scheiß-Jahr, es trifft grad irgendwie alle, oder? 

Nicht selten geht es aber auch darum, dass der männliche Partner Probleme mit sich selbst hat, die er auf die Beziehung projiziert. Dass er die Partnerin nicht in seine inneren Prozesse miteinbezieht, sondern sie mit Trennung überrascht und ihr den Boden unter den Füßen wegreißt, einfach so. Oder die Trennung nicht selbst vollzieht, sondern sie so lange emotional verhungern lässt, bis die Partnerin nicht mehr kann und Schluss macht. So individuell und vielschichtig die Gründe für die Trennung sind, so gibt es doch trotzdem immer eine strukturelle Komponente, die sich als Muster durch die allermeisten heterosexuellen Beziehungen zieht: Dass Männer einfach keine Verantwortung übernehmen. 


Eine Freundin schickt mir einen Text, der Geschichten von Frauen sammelt, die mit ihrem Partner zusammengezogen sind und den blanken Horror erleben, weil sie in ihm plötzlich ein (zusätzliches) Kind haben. Nicht wenige trennen sich, weil sie nicht mit jemandem zusammen sein wollen, den sie bemuttern müssen. 


Eine andere Freundin erzählt mir, dass ihre Oma ihren Opa, der Alkoholiker ist und sie verbal missbraucht, schützt, seinen Alkoholismus nach außen hin vertuscht. Sie selbst ist aufgrund dessen depressiv, sagt aber, es könne ja viel schlimmer sein, die jungen Frauen, inklusive meiner Freundin, wären viel zu anspruchsvoll und kompliziert und würden dadurch ihre Beziehungen zerstören. 


Eine weitere Freundin erzählt, dass ihr Freund einen echten Sauberkeitsfimmel habe. Diesen lebt er aber nicht etwa aus, indem er selbst viel putzt, nein – selbst wenn sie bei ihr Zuhause sind, erwartet er, dass sie alles picobello sauber hält. Er sagt ihr, sie solle doch bitte das Bett machen, sie könne das schließlich viel besser als er. Stichwort
Strategische Inkompetenz. 


Weihnachten vor ein paar Jahren, mein Freund schenkt mir eine feministische Graphic Novel von Liv Strömquist, “Der Ursprung der Welt”. Er sagt mir, seine Schwester habe ihm das empfohlen. Ich verschlinge das Buch und sage ihm, er müsse es auch dringend mal lesen. Er nickt, letztendlich liest er es nie. Ich schicke ihm oft feministische Texte oder Videos, die er sich dann aber lieber von mir erklären lässt, als sie selbst zu lesen oder anzusehen. Seine YouTube-Abos beinhalten keinen einzigen Kanal einer Frau, er lässt sich zwar ein, mit mir gemeinsam meine Videos zu schauen, selbst schaut er aber nur welche über Autos, Fußball, Architektur und Gaming. 

„Immer messen wir mit zweierlei Maß, lassen Männern Dinge durchgehen, die man bei Frauen aufs Schärfste verurteilen würde.“

Ich höre Sophie Passmanns Pick me Girls und fühle mich ertappt: Immer messen wir mit zweierlei Maß, lassen Männern Dinge durchgehen, die man bei Frauen aufs Schärfste verurteilen würde. Ein Artikel von Die Chefredaktion bestätigt das, was mir und vielen Frauen in meinem Umfeld enorme Angst macht: “Ich glaube, meine politischen Werte haben mein Liebesleben ruiniert” heißt es da. Viele machen die Erfahrung, bereits einen von den “Guten” erwischt zu haben, der aufgeschlossen, sensibel, empathisch, angenehm, ja im Grunde feministisch unterwegs ist, und werden doch enttäuscht. Denn sich eigeninitiativ und aktiv mit Feminismus beschäftigen, etwa durch die entsprechende Lektüre, das tut kaum einer. Würde ich die Stunden zusammenrechnen, die ich bisher damit verbracht habe, an Beziehungen zu arbeiten, Podcasts anzuhören, mit anderen darüber zu sprechen und zu lesen, um meinen Partner besser verstehen und mich einfühlen zu können, so wäre wahrscheinlich ein halbes Jahr meines Lebens nur in Beziehungsarbeit geflossen. Zeit, in der ich mich nur mit ihm und uns anstatt mit mir beschäftigt habe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Männer in meinem Leben einen nur irgendwie vergleichbaren Aufwand dafür betrieben hätten. 

 

Männer müssen nicht – vieles wird selbstverständlich für sie übernommen. Frauen tragen die Habseligkeiten ihrer Männer in ihren Taschen herum, immer an alles gedacht, sie putzen, waschen, sind wandelnder Terminkalender und erinnern an alltägliche Aufgaben. Mei, so sind sie halt, die Männer, gel, einfach ein bisschen schusselig und chaotisch! Männer sind ja auch “im Kopf weiter zurück” oder wie heißt das so oft? Ich möchte jetzt hier keine zu steilen Thesen aufstellen, aber ich vermute, dass da ein Zusammenhang besteht: Dass man(n) Dinge halt nicht kann, wenn man(n) sie nie lernen muss. Dass man länger Kind sein kann, wenn man keine Verantwortung übernehmen muss. Zwischen Hotel Mama und Hotel Freundin bleiben maximal ein paar Jahre, in denen die Pizza unter dem Bett schimmelt, welches nur einmal im Jahr neu bezogen wird, vielleicht flüchtet ein One-Night-Stand mal nach dem Betreten der Wohnung, Konsequenzen in Form von Selbstreflexion und Verhaltensänderung hat dies allerdings nicht.

Frauen leisten kostenlose Bildungsarbeit, lesen Bücher, üben sich in Empathie, reflektieren, kämpfen gegen Widerstände und denken tendenziell immer, es läge an ihnen, so dass sie weiterhin darauf bedacht sind, sich weiterzuentwickeln, sich zu optimieren. In der wenigen freien Zeit, die zwischen Weiterbildung, Haushalt, Care-Arbeit, Studium, Job und Sozialleben noch bleibt, rennen oder trauern sie Männern hinterher, die noch bei Mama wohnen oder nicht wissen, wie man Nudeln kocht. Die zocken, abhängen und sich Essen bestellen und den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigt sind als sich selbst – aber nicht etwa, indem sie nachdenken und persönliche oder strukturelle Themen aufarbeiten, sondern indem sie Fußball schauen und “männliche” Gespräche führen. Karriere, Wirtschaft, Politik. 


Sprechen Männer mit ihren Freunden darüber, wie diese sich gegenüber ihrer Freundin verhalten sollten? Ziehen Männer andere Männer für frauenfeindliches Verhalten in die Verantwortung? Oder sind es dann doch die weiblichen (platonischen) Freundinnen, die relevant werden, sobald es um etwas “Emotionales” geht? Beziehung erklären können die nämlich sehr gut, wo es den “Jungs” an Empathie fehlt.


Sophie Passmann schreibt in ihrem Buch, dass es ja mittlerweile zum guten Ton gehöre, dass sich
weiße Menschen mit Rassismus befassen, Nicht-Jüd*innen mit Antisemitismus usw., dass Männer aber trotzdem nur Literatur von Männern lesen, weil diese nach wie vor als allgemeingültiger angesehen wird. Weil Männer seit jeher über Männer schreiben und so tun, als würden sie über Menschen schreiben. Frauenliteratur, das ist nur was für Frauen. Mädchenkram. 


Ich finde es so peinlich, dass Männer zwar höchst bedacht darauf sind, jedmögliche Führungsposition zu bekleiden, ein hohes Tier in irgendeinem Verein und in irgendeiner Partei zu sein, dass sie kein Problem haben, sich in einen Podcast zu setzen und ohne Recherche zwei Stunden vor sich hin zu labern, ohne Expertise zu allem eine Meinung zu haben.
Aber sich dann schier verweigern, in ihrem Privatleben irgendeine Verantwortung zu übernehmen. Weder für sich, noch für andere. 


Die Vorstellung, wie hochrangige Politiker nach Hause kommen, von ihrer Frau das Abendessen serviert bekommen und völlig hilflos sind, wenn es keine saubere Unterwäsche gibt oder das Hemd knittrig ist, ist nicht nur lächerlich, sondern letztendlich auch grausam.
Grausam für die Frauen, die das alles mittragen und gleichzeitig diesen Menschen, den sie wortwörtlich behandeln müssen, wie ein Kind, das ohne sie anscheinend nicht lebensfähig wäre, noch als Menschen ernst nehmen und als Partner attraktiv finden müssen. Mir ist bewusst, dass  der Aufteilung gesellschaftlicher Aufgaben auch praktische Gründe zugrunde liegen, aber das ist ja wohl heute kaum noch zu rechtfertigen. Guten Morgen, wir haben nicht mehr 1950.


Ich möchte hier einer Freundin zitieren, die sagte, sie fände Männer eigentlich todlangweilig und sie habe nicht den Anspruch, von ihnen etwas zu lernen. Dafür habe sie ihre Freundinnen und die Uni. Und tatsächlich muss ich ihr zustimmen. Menschen, die selten auf Widerstände im Leben stoßen, sind häufig langweilig. Und viele von ihnen sind nunmal weiße hetero Cismänner. Dafür können sie nichts, wären aber durchaus in der Lage, sich selbstständig mit Dingen zu befassen. 


Es reicht nicht, Frauen zu bemitleiden dafür, dass sie nachts nicht durch den Park gehen können oder ein bisschen
aware zu sein, dass Frauen in Clubs nicht begrabscht werden, auch, wenn das schon ein guter Anfang ist (ja, leider müssen wir immer noch das bare minimum beklatschen).


Es reicht nicht, sich Feminist zu nennen. Hört Frauen zu, informiert euch, lest euch ein! Tatsächlich – Obacht – haben auch die oft Interessantes zu sagen. Erst, wenn ihr ernsthaftes Interesse zeigt, Zeit investiert und an euch arbeitet, wird Beziehung auf Augenhöhe möglich sein. 

Und liebe Frauen, die ja wohl leider hauptsächlich diesen Artikel lesen: Don’t settle for less. Es ist euer gutes Recht, hohe Ansprüche zu haben, denn die habt ihr auch an euch. Der Zeitgeist zeigt, dass wir immer mehr vom Leben wollen, die Standards haben sich erhöht – und da können viele Männer leider nicht mehr mithalten, wenn sie, wie gewohnt, den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Es wird sich nichts ändern, wenn ihr den Typen nehmt, der gerade von seiner Ex-Freundin verlassen wurde, weil er keinen Aufwand betreibt. 


Mir ist bewusst, dass die Liebe oft vor den Prinzipien kommt und wir letztere regelmäßig über den Haufen werfen. Das ist vielleicht auch okay, aber wollen wir wirklich mit jemandem zusammen sein, dem wir die Welt erklären müssen? Ich jedenfalls nicht. 

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