DecolonizeFasching

Decolonize Fasching


ein Text von Amapola | 01.02.21


Fasching fällt aus dieses Jahr. Für manche mag deshalb die Welt untergehen, andere freuen sich. Ein Jahr ohne „Dicke Titten Kartoffelsalat“, Micky Krause, sexistische Sprüche und Lieder. Aber in der Faschingsauszeit werden wir nicht nur diese Aspekte NICHT vermissen. Kein Fasching heißt auch: weniger Rassismen und Stereotypen werden reproduziert oder neu gezeichnet. Keine „I” [1] Kostüme, kein Blackfacing, keine Scheich Kostüme oder Mexikaner Parodien. Anstatt die bösen Wintergeister  zu vertreiben, sollten wir uns eher bemühen, Vorurteile zu bekämpfen und unsere liebgewonnenen Klischeevorstellungen zu hinterfragen. 

Natürlich hat jede*r Einzelne von uns die Freiheit, selbst zu entscheiden, als was man sich verkleidet. Jedoch muss man bei einigen Kostümen mit starker Kritik rechnen. Man sollte im Hinterkopf behalten: Was im echten Leben nicht "ausgezogen" werden kann als Kostüm zu nutzen, ist tendenziell problematisch und im Falle von Blackfacing rassistisch. Schwarze Menschen können nicht einfach ihre Haut ablegen, wie und wann sie wollen und Menschen mit Afrohaar nicht ihre Haarstruktur ändern. Aber wie gesagt, man ist frei, selbst zu entscheiden als was man sich verkleidet. Auf der anderen Seite wird jedoch auch frei entschieden, nicht auf Kritik einzugehen, Betroffenen von Blackfacing oder kultureller Aneignung nicht zuzuhören und deren Gefühle nicht ernst zunehmen oder sogar komplett zu ignorieren. Als 2019 eine Hamburger Kita die Bitte an die Eltern richtete, bei der Auswahl der Kostüme darauf zu achten, sich nicht an Stereotypen zu bedienen wie dem I-Kostüm oder einem Scheich- Kostüm, war der Protest groß. [2] Aber hier möchte ich mal ganz kurz betonen: Wenn man sich wirklich in seiner Freiheit oder der Freiheit seiner Kinder eingeschränkt fühlt, weil darum gebeten wird, bestimmte Kostüme nicht mehr zu tragen, sollte man vielleicht seine Freiheitsdefinition überdenken. Denn in den meisten Fällen schränkt die eigene Freiheit die Freiheit Anderer ein. 


Kulturelle Aneignung und Blackfacing sind Symptome des Kolonialismus. Von Kultureller Aneignung ist die Rede, sobald sich an historisch und emotional bedeutsamen Elementen von im westlichen Kontext unterdrückten Kulturen bedient wird. Meist ohne ein Verständnis ihrer Bedeutung, wird während der Faschingszeit diese Kultur parodiert, ins lächerliche gezogen und/oder sexualisiert. [3]


Wenn von Kolonialismus die Rede ist, geht es nicht nur um ein System, das aus Herrschaft und Ausbeutung besteht, sondern auch darum, wie und welche Stereotype unter kolonialen Verhältnissen stabilisiert wurden. Der Vorgang des Othering ist in diesem Sinne ausschlaggebend: Jahrhundertelang wurde eine eurozentristische Geschichtsschreibung der „Anderen“ etabliert und z.B. die „Neue Welt“ aus dem Verhältnis zum „Eigenen“ heraus konstruiert. [4] Nicht nur das Bild Amerikas wurde so geschaffen, zu „Anderen“ wurden auch alle, die nicht zur Gruppe der weißen Kolonisator:innen gehörten. Diese Konstruktionen sind in der Regel Gegensatzpaare wie gut/böse, zivilisiert/barbarisch, Mensch/Tier, Aberglaube/Glaube. Die Art und Weise des Othering diente unter Anderem dazu, den transatlantischen Sklavenhandel oder auch die Christianisierung zu rechtfertigen. 


Aber was hat das jetzt genau damit zu tun, wie wir uns an Fasching verkleiden? 

 

Edward Said beschreibt u.a. mit seinem Begriff des Orientalismus, dass der Orient nicht nur als zurückgeblieben oder bedrohlich konstruiert wurde, sondern auch exotisiert und sexualisiert. Es ist also kein Wunder, dass, wenn in Film und Kunst die verführerische Bauchtänzerin gezeichnet wird, sich dieses Stereotyp mit der Zeit verfestigt. Als wäre es nicht sowieso schon genug, dass Kulturen als Kostüme verwendet werden, werden diese häufig noch ins Extreme sexualisiert. Sexy I, sexy Geisha oder sexy Araberin usw.

 

Am Beispiel des I-Kostüms kann man sehen, wie die indigene Bevölkerung Amerikas über einen Kamm geschert wird. Die Frauenkostüme sind hier meistens sexualisiert, Traditionen werden parodiert und dann läuft am Faschingsball auch noch das Lied „komm hol das Lasso raus“…. BUUH! So erfahren wir in unserer postkolonialen Gesellschaft koloniale Fantasien und lassen diese weiterleben. Wir sehen Filme wie „Der Schuh des Manitu“, lernen in den Schulen Kolumbus habe die „Neue Welt“ entdeckt und sagen den Kindern bei der ersten Träne die fließt: „Ein echter I kennt keinen Schmerz“. Was soll das eigentlich?!? [5]

Aber es ist ja irgendwo klar, dass Kinder, wenn wir sie mit diesen kolonial-rassistischen Stereotypen konfrontieren, diese annehmen und reproduzieren, sei es in Form eines Kostüms oder in ihrer Alltagssprache. Kinder werden älter und so kommt es dazu, dass sie sich auch noch als 45-Jährige so verkleiden. Angst vor einer Islamisierung des Abendlandes haben, aber an Fasching als Scheich rumlaufen? Sich in der U-Bahn wegsetzen, sobald eine Schwarze Person ins Abteil steigt, aber Blackfacing betreiben? Keine Latinx einstellen, aber als Latinx-Parodie verkleiden? Stop this! Decolonize Fasching!


Zu guter Letzt hier ein paar Rassismusfreie Kostüme: Einhorn, Papageno, Litfaßsäule 



Wenn ihr euch genauer mit der Thematik beschäftigen wollt, empfehle ich euch sehr die folgenden Podcast-Folgen, sowie das Buch Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten von Alice Hasters.

Bildungsstätte Anne Frank

Feuer & Brot

Realitäter:innen 


Quellen und Fußnoten:

[1] Um keine Rassismen zu reproduzieren, wird das I-Wort in diesem Artikel nicht ausgeschrieben und mit “I” abgekürzt. [Ind*aner (Deutsch), Ind*o (Spanisch), Ind*an (Englisch)] ist eine rassistische Fremdbezeichnung die sich mit der Ankunft Kolumbus und seiner Fehlvorstellung in Indien angekommen zu sein einbürgerte. Die Fremdbezeichnung In**aner/Ind*o/Ind*an wird von weiten Teile der indigenen Bevölkerung der Amerikas als diskriminierend abgelehnt. Durch die Verallgemeinerung der unterschiedlichen Kulturen, Glauben oder Religionen führt(e) der Begriff unter anderem dazu, dass deren Kulturen gezielt verleugnet wurden/werden. 

(Vgl. Alice Haster & wir müssten mal reden Awareness Glossar)
[2] Vgl. https://www.volksverpetzer.de/analyse/indianer-kostuem

[3] Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten von Alice Haster 

https://open.spotify.com/episode/5ocmVBusmobthz5p6iK9BN?si=jBDxd-afSoCynHkg8w2rTQ
/[4] Vgl. Deutscher Kolonialismus - Ein vergessenes Erbe?;Bildungsstätte Anne Frank

[5] Vgl. http://www.edewa.info/stellungnahmen/begriffsgeschichten/das-i-wort/

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