Petra | 13.04.22
Alt werden ist eine Zumutung. Nicht alt werden dürfen auch. Die Erinnerung daran, sterben zu müssen, das Gemeinste am Leben überhaupt.
Wenn man merkt, dass der eigene Körper langsam überm Zenit ist, beginnt unweigerlich die Beschäftigung mit dem Thema Reparatur beziehungsweise Renovierung. Und es drängt sich allmählich immer lauter die Frage auf, was man ihm noch zumuten sollte – und was nicht. Ich kann dazu sagen, dass mich die ganze Überlegung und der mentale Überbau vom gesunden Lifestyle dazu stresst – und nervt.
Muskelaufbau hier, Kokoswasser da, Detox am Sonntag und überhaupt, am besten vor 23 Uhr abends ab ins Bett, allein versteht sich, der Vormitternachtsschlaf ist ja so gesund und macht fit und schön. Ich bin schön, also je nachdem, wer als Vergleich herangezogen wird, klar. Ich habe natürlich einige Makel, die sich im Lauf der Zeit an die Fassade gewanzt haben. Darauf will ich gar nicht näher eingehen, künftige Begegnungen sollen nicht danach suchen und überhaupt, man darf ja wohl noch ein paar Geheimnisse für sich behalten. Das übliche Beauty-Gedöns über weibliche Problemzonen will ich hier auch weglassen, wobei ich so ehrlich sein will, dass ich selbstredend bestens über die aktuellen Behandlungsmethoden informiert bin – und natürlich mitnichten so emanzipiert, als dass ich nicht Ja sagen würde zu Jetpeeling, Hyaluron-Booster und dergleichen, gebe ich unumwunden zu, etwas beschämt zwar, aber mei. Ist eh irrelevant, da kein Geld für sowas auf der Seite, siehe der ewige Struggle mit dem DiriDari.
Was mich nervt, ist was anderes: Nämlich die ständige Erinnerung daran, dass man gesund leben muss, um möglichst alt zu werden. Dass man dieses und jenes nicht essen, trinken, konsumieren sollte, da sonst mittelfristig Krankheit und Tod drohen. Dass man, wenn man nur alles beachtet, gesund alt werden kann, statt vorzeitig das Zeitliche zu segnen oder, schlimmer noch, in desolatem Zustand ein langes Siechtum erdulden muss, aus dem einen der medizinische Fortschritt nicht vorzeitig davonkommen lässt. Schließlich gehört zum bitteren Druckmittel der Gesundbrunnenindustrie, dass es bis heute keine gerechte Sterbehilfe gibt, noch nicht, und betrachtet man den jahrelangen Kampf für ein moderneres Abtreibungsrecht, deucht mir, dass das mit dem würdevollen Lebensabschied auch noch eine Weile länger dauern könnte.
Trotz dieses Wissens und meiner zugegebenermaßen schon heute großen Angst, wenn ich an das Morgen denke, muss ich jedes Mal, wenn ich wieder einen „Experten-Tipp“ zum Thema lese, an meine Lieblingsbarfrau denken. Die war einst die begehrteste Frau der Stadt und sowas von cool hinter der Bar. Für mich ist sie das bis heute. Ja, ihre Schönheit ist dahin, niemand würde sagen, sie hätte sich gut gehalten. Sie ist alt, sieht auch so aus und es ist ziemlich sicher, dass ihr Körper davon „profitiert“ hätte, wenn sie sich dem ein oder anderen Exzess nicht hingegeben hätte, zumindest ab und an vor 23 Uhr ins Bett gegangen wäre, allein. Aber die Wahrheit ist doch: Das Leben ist schon anstrengend genug. Neben Arbeit, Kind und dem Anspruch, den eigenen Arsch in Schach zu halten, hat man, wenn es die Zeit und der Rahmen zulassen, Lust auf Realitätsflucht, Rausch, Leben – und damit auf Alkohol, Zigaretten, sonstige Vorlieben.
Es gab eine Zeit, es müssen diese unverschämt unbeschwerten 70er gewesen sein, da dachte niemand über seine Ernährung nach, die Frage, wie man gesund alt wird, war obsolet, es gab ja keine Maschinen, die künstlich dafür gesorgt hätten, dass man noch länger ungesund lebt. Dafür: eine gewisse Ignoranz gegenüber dem Morgen. Die Frage lautete nicht: Wie kann ich meiner Leber nach den Whiskey-Runden am Freitag im Büro beim Entgiften helfen, sondern eher, wo ist das Koks, das mich für Samstagnacht wieder frisch macht? In der Konsequenz dazu war es früher einfach okay, so alt auszusehen wie man war oder eben nicht mehr war.
Oder man ist eben vorher gestorben. Heute dominiert die Angst vor den Zumutungen des Alters – und ganz ehrlich, wenn ich an die lächerlich kurzen Grünphasen der Fußgängerampel am Gasteig denke, habe ich gleich noch weniger Lust auf meinen künftigen Rollator. Fit bleiben könnte sich also lohnen.
Und dennoch: Dieser von allen Seiten befeuerte Gesundheitswahnsinn, ständig daran erinnert zu werden, was alles nicht gesund, nicht achtsam oder gar Raubbau am eigenen Körper ist, macht mich fertig. Außerdem ist es eine Lüge. Jeden Tag sterben gesunde Menschen, Menschen die Mindfulness praktizieren, Waldbaden gehen oder joggen. Die eine gesunde Beziehung pflegen ohne Eskalationen und zusammen in Harmonie gesunde Sachen kochen. Alle müssen sie sterben, manche verdammt jung gemessen daran, wie gesund sie gelebt haben, ich weiß das aus eigener, schmerzlicher Erfahrung. Man hat`s nicht in der Hand. Das einzige, was beeinflussbar bleibt, ist die Einstellung zum Tod und ich wünschte von Herzen, ich könnte mich mal lockermachen mit der Angst vor Krebs, Leid und Elend. An dieser Stelle zitiere ich gerne eine liebe Freundin von mir, sie ist seit ihrem 14. Lebensjahr leidenschaftliche Raucherin, hat beneidenswert schöne Haut und sagt: „Der Körper ist dazu da, dass man ihn benutzt. Wenn man ihn nicht auch ein bisschen fordert, kann er doch nicht resilient werden gegenüber all dem Gift, das im Essen, in der Luft, ja überall drinsteckt.“
Ich finde, für einen kurzen, immer mal wiederkehrenden Moment, ist das ein interessanter Gedanke, der eventuell einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen werden sollte. Nach diesem kurzen Moment bin ich jedes Mal relativ sicher, dass das nicht stimmen kann.
Was ganz sicher stimmt: Man bleibt der Welt so in Erinnerung, wie man gelebt hat. Wie auch sonst? Aber kann ein längeres Leben dabei helfen, in Erinnerung zu bleiben? Manchmal vielleicht, wenn man erst spät das lebt, was man leben sollte – ich denke an Bestsellerautor*innen und Literaturpreisträger*innen, die erst im hohen Alter publiziert haben und gerate ins Schwärmen. Ich sollte gesünder leben. Andererseits bin ich ziemlich sicher, dass die ein oder andere Party durch meinen Lebenshunger bereichert wurde. Und dass ich nicht als Frau in Erinnerung bleiben will, die „sich aber gut gehalten hat“. Sondern lieber als eine, die wusste, wie man lebt. In diesem Sinne: Hoch die Tassen!