DiagnoseBurnout

Diagnose „Burnout“ - was soll das heißen?

veröffentlicht von Redaktion | 10.11.2021


Eine Bekannte meinerseits kam vor zwei Jahren auf mich zu und erzählte mir, dass bei ihr ein Burnout diagnostiziert wurde und sie für zunächst unbestimmte Zeit von der Arbeit freigestellt sei. Danach sei ein langsames Aufbauen der Arbeitszeiten geplant. Da ich mir unsicher war, wie damit umzugehen ist, versuchte ich zunächst einmal, keine provozierenden Fragen hinsichtlich ihrer Krankheit zu stellen - etwa  inwiefern sowas überhaupt diagnostiziert werden kann - sondern mich behutsam an das Thema heranzutasten. Doch ich merkte, wie mir der Begriff „Burnout“ aufgestoßen ist, einfach und allein aus dem Grund, weil ich ihn nicht greifen konnte. Die folgenden Zeilen sollen dazu dienen, nachvollziehen zu können warum ich, und du ja vielleicht auch, Probleme damit hatte, die Diagnose zu verstehen und zu überlegen, wie ich zukünftig damit umgehen werde. Quasi ein Guide für Bekannte von Betroffenen. 

Einleitend ein paar Zahlen und Fakten: Angaben der Statista zeigen auf, dass sich die Zahlen der Arbeitsunfähigkeiten aufgrund eines Burnouts von 2004 (0,6 Fälle pro 1000 AOK-Mitglieder) bis 2019 (5,9 Fälle pro 1000 AOK-Mitglieder) nahezu verzehnfacht hat. Ob der Anstieg zusammenhängt mit der Enttabuisierung psychologischer Krankheiten oder zurückzuführen ist auf  die Problematiken der Leistungsgesellschaft soll nicht Thema dieses Textes werden, doch will ich bewusst darauf aufmerksam machen, dass uns dieser Trend zu Denken geben sollte. Das Burnout zeichnet sich klassischerweise durch starke Erschöpfung, Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten, Schlafstörungen, verminderte Leistungsfähigkeit und einem Gefühl der Überforderung aus. Die Behandlungsformen variieren. Die populärste Maßnahme ist eine allgemeine Entlastung, vor allem auf der Arbeit. Falls das Burnout zusammen mit einer Depression diagnostiziert wird, kann auch medikamentös dagegen vorgegangen werden. Ein Burnout ist heilbar, doch Rückfälle sind nicht ausgeschlossen.

Grund, warum das Burnout nicht als Krankheit gelistet wird, ist, dass es keinen normativen allgemein-gültigen Begriff gibt. Über 160 Einzelsymp-tome (Stand November, 2021) wurden dem Burnout zugeordnet.

Ich möchte betonen, dass ich lediglich versuche, einen Anhaltspunkt zu geben, der mir persönlich geholfen hat, mit dem Unverständnis umzugehen, jedoch auch meine persönliche Meinung stark mit einbindet. Es geht um die Einbettung der Psychologie in die Naturwissenschaften, die ich vor dem Hintergrund der  wissenschaftstheoretischen Betrachtungsweise schwierig finde, und ich denke, es lohnt sich hier einen genaueren Blick drauf zu werfen. Die grundsätzliche Frage, auf die sich alles zurückführen lässt, lautet: Warum sollte die Psyche des Menschen in naturwissenschaftliche Gesetze verpackt werden? Beziehungsweise, bis zu welchem Grad können wir die menschliche Psyche durch Statistik und Empirie erfassen? Bitte an dieser Stelle nicht falsch verstehen, dass ich es für absolut notwendig halte, dass psychologische Gegebenheiten durch statistische Messverfahren aufgenommen und die Datensätze verwertet werden. Doch ist es in meinen Augen problematisch, den Absprung von allgemeingültigen Gesetzgebungsverfahren auf die Ebene der Betrachtung der einzelnen Individuen, um die es ja letztendlich gehen soll, zu vollziehen. 

Um in Deutschland Diagnosen zu stellen, verwenden Ärzte die ICD (zu deutsch: Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme). Das Burnout wird auch im neuen ICD 11, der 2022 erscheinen wird, nicht als Krankheit gelistet sein, sondern als „Faktor, der den Gesundheitszustand beeinflusst“. Grund, warum das Burnout nicht als Krankheit gelistet wird, ist, dass es keinen normativen allgemeingültigen Begriff gibt. Über 160 Einzelsymptome (Stand November, 2021) wurden dem Burnout zugeordnet. Weil der Begriff des Burnouts so diffus und empirisch schwer zu fassen ist, wird er nicht unter den Begriff der Krankheit gestellt. Wichtig an dieser Stelle zu erwähnen ist jedoch, dass eine Depression kein Symptom eines Burnouts ist. Ein Burnout ist ein Risikofaktor für eine Depression, welche als Krankheit einzuordnen ist. Somit ist es auch eine große Errungenschaft, dass Ärzte befähigt sind, jemanden aufgrund eines Burnouts krank zu schreiben, denn ich denke, es ist mittlerweile common sense, dass mentale Krankheiten in keiner Weise physischen Krankheiten unterzuordnen sind und diese ja auch bedingen können! 

Im epistemologischen Sinne, also unter Betrachtung der wissenschaftstheoretischen Aspekte, frage ich mich wie nun ein solches Syndrom diagnostiziert werden soll. Wo genau wird die Grenze gezogen bei den 160 potenziellen Symptomen, und wie vieler Symptome bedarf es für die Diagnose? Woran wird festgemacht, wie schwerwiegend das Burnout ist und welche Behandlungsform die Beste ist? Wo genau verläuft die begriffliche Trennung zu einfachem Stress?           

Als Antwort würde ich hier den Bogen spannen zu dem Punkt, an dem ich sagte, dass wir nicht vernachlässigen dürfen, dass wir uns in der Praxis auf das Individuum konzentrieren und das Aufstellen normativer Antworten auf diese Fragen bis heute noch nicht gelöst wurde. 

Die Psyche des Menschen ist so komplex, dass hinsichtlich dieser Fragen bei Betroffenen eine Fall-zu-Fall Unterscheidung erforderlich ist. Bei einer Erkrankung mit Erkältungssymptomen wird auch erst genauer untersucht, welche Viren und Bakterien am Werk sind, wenn die Symptome ernsthaft gesundheitsgefährdend sind und dann aber auch zugeschnitten auf den einzelnen Patienten. 

Ob der Begriff Burnout heutzutage noch sinnvoll ist, kann man zur Diskussion stellen, denn er ist gerade im deutschsprachigen Raum sehr inflationär benutzt und wird in Verbindung gesetzt mit einem „Arbeitstier“ oder einem „Workaholic“ und ist damit eher positiv konnotiert. Dennoch will ich festhalten, dass wir uns, besonders wenn wir auf die Situation stoßen, dass Bekannte oder Angehörige mit einem Burnout zu uns kommen, nicht auf den Begriff und auch nicht auf die Diagnose konzentrieren, sondern uns offenen Ohres dem Gegenüber als Gesprächspartner:in anbieten sollten. Denn genau dieses Unverständnis der Problematik ist  unter anderem Hauptursache eines Burnouts und somit ist Kommunikation, Verständnis und Anerkennung des Krankheitsbildes die wohl wirksamste Behandlung. 

Meine Bekannte war insgesamt über ein Jahr von der Arbeit befreit. In dieser Zeit beschäftigte sie sich viel mit sich selbst. Besonders geholfen hat ihr das Einbinden von Achtsamkeitsübungen in den Alltag. Diese sollen dazu dienen Tempo aus alltäglichen Prozessen zu nehmen und eine gesunde Distanz zum Multitasking aufzubauen. Ich denke, egal ob Burnout oder nicht, sollten wir uns diesen Gedanken so oft wie es geht vor Augen führen.  In einem Gespräch mit ihr zur Vorbereitung auf diesen Text erzählte sie mir, dass in ihren Augen in erster Linie die professionelle Hilfe relevant war. Ich will an dieser Stelle auch nochmal betonen, dass ein Burnout von einfachem Stress stark zu unterscheiden ist und sehr ernst genommen werden muss. Es sollte auf keinen Fall zu lange gewartet werden, wenn sich die Symptome anhäufen und eine frühzeitige Diagnose hilft ungemein bei der erfolgreichen Therapie. Glücklicherweise ist sie jetzt wieder gesund, hat ihre Arbeit wieder aufgenommen und ist sehr zufrieden. 

Quellen: 

Carl Gustav Hempel: Philosophie der Naturwissenschaften, 1974

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/239872/umfrage/arbeitsunfaehigkeitsfaelle-aufgrund-von-burn-out-erkrankungen/

https://www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/darum-ist-burnout-keine-krankheit/

https://www.apotheken-umschau.de/krankheiten-symptome/psychische-krankheiten/burn-out-symptome-ursachen-therapie-738121.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Burn-out

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