digitalerKrieg

Wenn sich nicht mehr Staaten, sondern WIR uns streiten.


Cyberliz | 14.01.21

Alle sprechen von der Spaltung der Gesellschaft in den USA. Die Deutschen schauen seit der Ära Trump mit großer Verachtung auf ihre Verbündeten im Westen. Aber ist Deutschland wirklich in der Position, herablassend auf die USA zu blicken? Oder droht hier und in vielen Nationen nicht dieselbe Kluft zwischen den politischen Lagern, zwischen Arm und Reich? 

Eigentlich leben wir in so friedlichen Zeiten, wie es sie nie zuvor gab.

Es scheint so, als herrsche auf der Welt gerade große Unruhe – de facto ist es auch so, schließlich leben wir seit 2020 in einer weltweiten Pandemie. Jüngst trugen Faschisten und Querdenker ihren ideologischen Kampf aus und stürmten den Reichstag am 30. August in Berlin oder eben, wie zuletzt, das Kapitol am 7. Januar in Washington. Abgesehen davon, gibt es eine mediale Arena, in der – wie es scheint – die Kampfvorbereitungen stattfinden.

Komisch, denn eigentlich leben wir in so friedlichen Zeiten, wie es sie nie zuvor gab. In der Politikwissenschaft spricht mensch gerne vom demokratischen Frieden. Das bedeutet, dass bis heute Demokratien untereinander keinen Krieg führen. Während die Anzahl der zwischenstaatlichen Kriege abnimmt, steigt die der innerstaatlichen Kriege (v.a. Seit 2011 nehmen in Afrika und Asien Bürgerkriege wieder stark zu). Wir leben also in einer Welt, in der Konflikte vermehrt innerhalb der Gesellschaft eines Staates stattfinden. 

Das zeigt sich auch in den unglaublichen Protestbewegungen seit dem Jahr 2019, die von Menschen weltweit im Nahen und Mittleren Osten und in Lateinamerika ausgetragen werden (Sudan, Libanon, Algerien, Bolivien, Chile, etc.). Die Massenbewegungen und Aufstände führten teilweise soweit, dass Regierungschefs gehen mussten und weltweit viele Jugendliche ihre Wut auf der Straße, und in sozialen Netzwerken zum Ausdruck brachten. Das Jahr 2020 hielt den Protestzyklus nicht auf trotz der Bewegungseinschränkungen aufgrund der Pandemie. Sowohl die Demokratiebewegung in Belarus, die Jugendrevolte in Nigeria als auch die Black-Lives-Matter Bewegung veranschaulichen im positiven Sinne wie durch Social Media politische Botschaften enorm schnell verbreitet wurden. Die Klassenfrage und Rassismusdebatte schafften es vielleicht sogar bei dem_r ein oder anderen an den Esstisch der Familie. Es wurde in diesem Jahr besonders deutlich, wie groß und schnell sich ein mediales Echo verbreiten kann. 

So natürlich auch im Lager der faschistischen und rechtsextremen Gruppierungen. Diese nutzen vor allem Telegramm-Channels und Alternativmedien, um Propaganda zu verbreiten. Das Gemeine an diesen Formaten ist, dass sie meist in Layout und Ausgestaltung herkömmlichen professionellen Leitmedien ähneln und somit für viele Menschen kaum erkennbar ist, ob es sich nun bei der Nachricht auf den Facebook-Feed um ein seriöses Nachrichtenportal handelt oder lediglich um eines, das rassistische und verschwörungstheoretische Meinungen verbreitet. 
Die Forscherin Natalie Jomini Stroud hat im Jahr 2010 herausgefunden, dass seit der erhöhten Nutzung von sozialen Netzwerken als Nachrichtenquelle, sich die amerikanische Gesellschaft mit ihrem Zweiparteiensystem (Demokraten vs. Republikaner) mehr und mehr polarisiert. Und diese Entwicklung schreitet immer weiter voran, sodass im Jahr 2021 nur noch ein Bruchteil der Gesellschaft der moderaten Mitte zuzuordnen ist. Denn wie auch die Netflix-Dokumentation Das Dilemma mit den sozialen Medien erklärt, funktionieren Google, Facebook, Twitter, Instagram und Co nach dem Prinzip der Personalisierung. Das bedeutet, dass der Algorithmus dieser Seiten Nutzer_innen nur die Informationen zuspielt, die der eigenen Meinung oder der von Freunden, also dem eigenen Netzwerk entspricht. Dadurch befinden sich Nutzer_innen in einer sogenannten „Filter-Blase“, die nur die eigene Perspektive und politische Einstellung widerspiegelt und somit automatisch das Verständnis für den politischen Gegner reduziert. 

Diese Blase kann mensch sich als eine „Echo-Kammer“ vorstellen: Wie in einer Höhle wird etwas in den Raum gerufen, und das Echo wiederholt immer wieder das bereits Gesagte. Genau gesagt, beschreibt diese Echo-Kammer einen medialen Raum mit steigender Redebereitschaft, der sich letztlich nur aus Meinungen zusammensetzt, die übereinstimmen. Diese werden dann in Form eines Echos immer lauter und bestärken sich gegenseitig. Ohne die Zuwendung zu Inhalten, die nicht der eigenen Meinung entsprechen, ohne das Verlassen der eigenen Blase, werden sich die politischen Lager wohl weiter voneinander entfernen.

Letztlich zeigt diese Entwicklung, dass moderne Demokratien, die vom Austausch leben, durch diese Polarisierung gefährdet sind. Verschwörungserzählungen verbreiten sich schneller, professioneller Journalismus sieht sich mit Fake-News-Anschuldigungen konfrontiert und Meinungen scheinen den Wahrheitsanspruch vor Fakten gewonnen zu haben. Es spielt aber nicht nur eine Rolle, wer Fake-News verbreitet, sondern auch wer davon profitiert. 

Hierfür liefert die Netflix-Dokumentation eine plausible Erklärung für die fortschreitende Polarisierung. Verschiedene Aussagen von ehemaligen Involvierten in den Megakonzernen Facebook, Instagram, Twitter und Google zeigen auf, dass diese Unternehmen von Polarisierung profitieren, also Kapital gewinnen. Die Maschinen (Algorithmen) sind so eingestellt, dass sie dem Kapitalismus quasi einen Turboantrieb verleihen können. Damit ist gemeint, dass sie nicht Menschen mit Informationen versorgen, die tatsächlich nützlich sind, sondern die Informationen zuspielen, die Nutzer_innen möglichst an den Bildschirm bindet und dadurch gleichzeitig viel Werbung konsumiert wird. 

Social Media ist kein Kanal für Menschen, sondern für Werbung. 


Salopp gesagt, profitiert YouTube davon, dass Ken Jebsen seine Verschwörungsymythen hochlädt, diese von vielen Menschen angesehen werden und Werbung vor jedem Video geschaltet wird. Dieses Geschäftsmodell der Polarisierung hat diese Konzerne zu milliardenschweren Unternehmen gemacht, die das Gemeinwohl einer Gesellschaft nicht berücksichtigen, sondern lediglich ihren eigenen Profit anstreben. 


"Als zum erstenmal das Wort Friede ausgesprochen wurde, entstand auf der Börse eine Panik. Sie schrien auf im Schmerz: Wir haben verdient! Lasst uns den Krieg! Wir haben den Krieg verdient“ - Karl Kraus (1874-1936)


Der Kapitalismus hat mit Algorithmen, die schlecht zu durchschauen sind, ein Werkzeug geschaffen, dass es Unternehmen erlaubt, zu jeder Tag und Nachtzeit Kontrolle über unseren Konsum zu erlangen. Auch wenn es überspitzt klingt, egal ob von Krieg zwischen Staaten oder nun innerhalb eines Staates die Rede ist – der Gewinner des Konflikts heißt nicht Mensch, sondern Kapital. 

Abgesehen von der gesamtgesellschaftlichen Ebene sieht man die Auswirkungen von Social Media ja bereits im kleinen Kreis in uns selbst. Somit ist Jan Böhmermanns Forderung zur Verstaatlichung von Twitter keine radikale linke Forderung – Nein, diese Forderung beinhaltet die Verantwortung eines Staates für das Gemeinwohl zu sorgen und schreibt endlich einer Wirkungsmacht die Media Governance Rolle zu – also die Rolle Medien zu regulieren. Denn mal ehrlich, wenn der Kopf von Facebook, Mark Zuckerberg im US-Kongress aussagt, dass er anscheinend von keiner Manipulation der US-Präsidentschaftswahlen je gewusst hätte (obwohl diese längst belegt ist) und die Probleme gerne klein redet, kann und sollte von diesen Unternehmen keine Fürsorge zu erwarten sein. 

Quellen:


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