Liebe, Sex und Beziehungen sind politisch. All unsere Gefühle, unser Denken und unser Handeln entspringen dem System, in dem wir leben. Wir könnten ausbrechen, doch es fällt uns schwer. Wir wollen Veränderung, doch denken in den Strukturen, die uns bereits von klein auf in die Wiege gelegt worden sind. Wir sind einerseits bei einer äußerst fragwürdigen Verwertung der Liebe angekommen und gleichzeitig halten wir die romantische, monogame Beziehung für das höchste zwischenmenschliche Gut im Leben. Doch wie liebten unsere Vorfahren, welche Abhängigkeiten entstanden und wie wirkt sich das auf heute aus?
Die Ursprünge unserer patriarchalen Denkweise liegen im menschlichen Zeitalter der agrarkulturellen Revolution, als die Menschen sesshaft wurden. Sie verfestigten sich durch die ersten Schriften, die ausschließlich männliche Perspektiven wiedergaben und ließen sich damit auch leichter in den vereinnahmten Gebieten verbreiten. Doch weit vorher, als wir noch Jäger:innen und Sammler:innen waren, herrschte vermutlich eine andere Dynamik: Der Egalitarismus. Doch hierüber streiten sich nach wie vor viele Anthropolog:innen.
Damals wie heute waren Frauen aufgrund ihrer Mutterschaft in ihrer Kraft und Zeit für die Arbeit limitiert. Doch genau die Gebärfähigkeit sahen die Menschen als heilig an. Bis tausende Jahre vor Christus wurde die Frau mit dem Ursprung des Lebens assoziiert und ein Großteil der Menschen verehrten Göttinnen wie Ashera. Wie jüngste Studien zeigen, trugen Frauen außerdem maßgeblich zum Überleben der Menschheit bei: Sie waren aktiv an der Jagd beteiligt, bereiteten Essen und Heilmittel zu. Frauen wurden also für ihren Beitrag zum Überleben des Clans geachtet. Der Mann spielte in frühen menschlichen Gesellschaften eine untergeordnete Rolle, entwickelte sich aber irgendwann zum Krieger. Er versuchte das schützenswerte Gut, die Frau, die in ihrer Schwanger- und Mutterschaft verletzlich ist, vor Feinden zu verteidigen. Biologisch wird diese erhöhte Aggression mit dem Hormon Testosteron erklärt. Doch das ist nicht alleinstehend für kriegerische Motivationen. Denn psychologisch begründet wurde damit versucht, die fehlende Gebärfähigkeit zu kompensieren.
Der Anthropologe
Claude Lévi-Strauss sieht den Kampf um die Frau als Ursprung für die Besitzansprüche an ihr. Der Tausch von Frauen unter verschiedenen Stämmen, aber auch die Entführung sowie Vergewaltigung anderer Frauen entstanden aus dem Willen, die Vulnerabilität der eigenen Frau zu schützen und die der anderen anzugreifen. Die Frau wird zum Objekt, verstanden als biologische Ressource des Lebens. Das Besitzen, Beschützen und Stehlen der Frau legte also den Grundstein für die Entwicklung eines Patriarchats und dem
späteren kapitalistischen Grundgedanken: Nämlich die Anhäufung von Privateigentum als wichtigste menschliche Aufgabe.
Für die Frau wird die Ehe über die nächsten Jahr-tausende die einzige Möglichkeit, sich vom Elternhaus zu lösen, ohne dem finanziellen Ruin gegenüber zustehen.
Das Patriarchat entsteht
Mit Beginn der agrarkulturellen Revolution (10.000 v. Chr.) werden die umherziehenden Clans zu sesshaften Ackerbauern. Wie die Philosophin Simone de Beauvoir in ihrem Hauptwerk ,,Das andere Geschlecht” erklärt, beginnt der Mann, Land zu beschlagnahmen, sich damit selbst zu erweitern und über sich hinauszugehen. Dadurch wird die Produktion von Gütern für das Aufrechterhalten von Macht und Einfluss immer wichtiger. Hiermit ändert sich auch der frühzeitliche Charakter des menschlichen Zusammenlebens, denn das langfristige Vermehren von Besitz verlangt vor allem eines: Nachkommen. Die Frau, die vorher beinahe als Ebenbürtige in den Clan eingegliedert war, wird nun auf ihre Reproduktionsfähigkeit reduziert. Aufgrund der ständigen Schwangerschaften und geringerer Muskelkraft ist sie als Arbeiterin nur begrenzt einsetzbar: Sie verliert die ökonomische Rolle innerhalb des Clans und kooperiert dabei sogar – aus Eigenschutz und fehlendem Wissen um die späteren Konsequenzen. Einem Sklaven gleichgestellt, ist sie nun – im Spagat zwischen Dienerin und Gefährtin – Privateigentum des Mannes. Die agrarkulturelle Revolution spielt also sowohl in der Entwicklung einer patriarchalischen, als auch einer kapitalistischen Gesellschaftsform eine entscheidende Rolle.
Je mehr Eigentum angehäuft wurde, desto zuverlässiger wurde die Frau aus der Erbfolge ausgeschlossen. Damit die Besitztümer ihrer Familie bei einer Eheschließung nicht an ihren Ehemann übergehen können – und der Familienbesitz somit geschützt ist – wird ihr kein Recht auf ein Erbe zugesprochen. Stattdessen wird sie bei der Heirat komplett aus ihrer Familie herausgelöst und geht in den Besitz des Ehemanns über. Eine Ausnahme bildet das alte Ägypten: Hier durften Frauen erben und Güter besitzen – das allerdings auch nur, weil der König über sämtliche Länder verfügte und das Erbe wenig Wert hatte. In verschiedenen Kulturen hat sie mal mehr, mal weniger Rechte, ist jedoch ausnahmslos ihrem Vater oder Ehemann untergeordnet. Allgemein ist die Frau überall dort besser gestellt, wo es weniger Privateigentum gibt: Im Gemeinschaftsstaat Sparta beispielsweise wurden Jungen und Mädchen ebenbürtig erzogen und die Freiheit der Frauen kaum eingeschränkt.
Für die Frau wird die Ehe über die nächsten Jahrtausende die einzige Möglichkeit, sich vom Elternhaus zu lösen, ohne dem finanziellen Ruin gegenüberzustehen. De Beauvoir zufolge wird die Ehe zu ihrem Schicksal und „die einzige soziale Rechtfertigung ihrer Existenz”. Bildung und Beruf sind ihr verwehrt, und somit wird die Ehe zu ihrer einzigen Karriere – eine Tatsache, die sich bis ins 20. Jahrhundert kaum änderte. Der Mann bleibt das Subjekt, dass sich eine Frau nimmt, die Frau hingegen wird dem Mann zur Frau gegeben und sie wird dadurch zu seinem Besitz –nach der Heirat hat sie ihrem Mann zu gehorchen. Letzteres war sogar bis 1942 im französischen Recht verankert.
Bis heute im Zahnrad gefangen
Die Liberalisierung und den Aufschwung feministischer Gedanken haben wir unseren kämpferischen Vorreiterinnen zu verdanken, die Überlieferungen aus der Vergangenheit analysiert und hinterfragt haben. Denn alle alten Schriften, von der Bibel, bis hin zu den philosophischen Texten der Aufklärung, wurden allesamt aus der Perspektive des Mannes geschrieben und interpretiert. Das christliche Gedankengut, welches besonders im Alten Testament frauenverachtende Züge hat, wurde später von Missionaren verbreitet. Auch die Aneignung von Land und Besitz führte dazu, dass andere Gesellschaftsformen zunichte gemacht wurden.
Trotz des Wertewandels und der Emanzipation im Laufe des letzten Jahrhunderts hat sich an der grundsätzlichen Struktur unserer Gesellschaft nur wenig geändert. Denn das Fundament unserer Werte und Normen entspringt nach wie vor den patriarchalen Grundsätzen des Christentums.
Wir orientieren uns an Texten männlicher Denker, die mit ihrem Blick den maskulinen Machtanspruch weiterhin festigen.
Schließlich fehlt uns eine historische Überlieferung der weiblichen Sicht der Dinge. Heute können FLINTA-Personen zwar neue Rollen annehmen, müssen aber dennoch in Strukturen funktionieren, die auf das männliche Wohlergehen ausgerichtet sind. Zugegeben sind die Geschlechter vielerorts rechtlich gleichgestellt, das öffentliche und politische Leben ist jedoch noch immer vor allem von Männern geprägt.
Romantik wird im Kapitalismus zum Produkt - genauso wie Menschen, die beim Online Dating durch die Bewertungen potentieller Partner: innen selbst zum Produkt werden.
Die Ehe im Kapitalismus
Die Ehe als das ultimative Versprechen der Liebe scheint allein nicht aufzugehen, wenn man sich die weltweiten Scheidungsraten ansieht. Doch warum noch so viele Leute daran festhalten, lässt sich am historischen Charakter der Ehe erklären, sowie an der Funktionsweise unseres Wirtschaftssystems.
Erstens fördert der Staat die Ehe durch steuerliche Vergünstigungen wie dem Ehegattensplitting. Zusätzlich sind Ehepartner:innen häufig finanziell aufeinander angewiesen – besonders, wenn sie gemeinsames Eigentum wie z.B. Immobilien angeschafft haben. Besonders Frauen in Hetero-Beziehungen sind häufig finanziell von ihrem Partner abhängig, sie sind emotional im Patriarchat gefangen und beginnen automatisch, damit zu kooperieren. Denn um die eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen durchzusetzen, müssten sie ihre Zärtlichkeit und Nachgiebigkeit aufgeben, die sie sonst täglich in Freundschaft, Beziehungen und im öffentlichen Leben pflegen. Nur so ordnen sie sich nicht automatisch den männlichen Machtstrukturen unter. Die israelische Soziologin Eva Illouz sieht hier eine extreme Doppelbelastung. Während von weiblich gelesenen Personen in den modernen Gesellschaften erwartet wird, ihre Freiheiten zu nutzen und beruflichen Erfolg zu erlangen, sollen sie selbstverständlich gleichzeitig die Hauptverantwortung in Kindererziehung und Haushalt stemmen. Beides ist aber schier unmöglich. Aus ihrem eigenen Impuls, aus Zuneigung zu den Liebsten (und weil Mann immer noch mehr Kohle kriegt) verzichten viele Frauen auf ihre persönliche, berufliche Weiterentwicklung ganz automatisch und aus freien Stücken. Vielleicht nicht bewusst, aber sie folgen der romantischen Vorstellung einer Ehe, dem Versprechen der ewigen Liebe und begeben sich damit in eine Abhängigkeit. Das bestätigen Zahlen zur Partnerschaftsgewalt. 2019 waren insgesamt 115.000 Frauen aus allen Schichten und Altersgruppen Überlebende von häuslicher Gewalt. Viele Frauen können ihren gewalttätigen Partner aber aufgrund von Existenzängsten nicht verlassen. Es gibt zu wenig Frauenhäuser, die Schutz bieten. Wenn die Frauen mit ihren Kindern also nicht in die Obdachlosigkeit geraten wollen, müssen sie teilweise ihr Leben lang unter Prügel leben.
Zweitens ermöglichen die neuen romantischen und sexuellen Freiheiten einen ganz neuen Markt der Liebesbeziehungen, den sich auch Unternehmen im kapitalistischen Verwertungssystem zunutze machen. Illouz zufolge wird Romantik im Kapitalismus zum Produkt – genauso wie Menschen, die beim Online-Dating durch die Bewertungen potentieller Partner:innen selbst zum Produkt werden. In Kunst und Kultur wird die Ehe romantisiert und als alleinstehende Vollendung der Liebe verkauft. Doch wie oft Ehen scheitern, zeigen Film und Fernsehen weitaus seltener als den Weg zum Traualtar.
Auch heute sind wir also nicht so sehr beim romantischen Ideal angelangt, wie wir vielleicht glauben. Während früher die gesellschaftlichen Konventionen und Gesetze einen Einfluss auf Liebesbeziehungen nahmen, tun das heute unsere überzogenen Erwartungen an eine:n Partner:in und unsere kommerzialisierten Vorstellungen davon, wie Liebe zu sein hat. Die Befreiung der Frau aus dem Patriarchat – und damit auch eine Befreiung der zwischenmenschlichen Beziehungen aus einem unterdrückerischen System – ist also durchaus kein vollendeter Kampf. Auch wenn manchmal die Kräfte fehlen, wären wir nichts ohne den Willen unserer weiblich gelesenen Vorfahren gewesen, die nicht aufhörten, an eine gerechtere Welt zu glauben.
Ancient Remains in Peru Reveal Young, Female Big-Game Hunter
https://www.nytimes.com/2020/11/04/science/ancient-female-hunter.html
Gerda Lerner: The Creation of Patriarchy
http://www.gerdalerner.com/the-creation-of-patriarchy/
Simone de Beauvoir:
Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau
Şeyda Kurt:
Radikale Zärtlichkeit – Warum Liebe politisch ist
Eva Illouz:
Warum Liebe endet