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Warum das Patriarchat Leben kostet

Das Gesundheitswesen ist auf den Mann ausgerichtet. Von der Erforschung bis hin zur medikamentösen Behandlung – Frauen, non-binäre und Trans-Personen fallen zu oft aus dem Radar.

Cyberliz | 11.03.21

Habt ihr euch schonmal gefragt, ob euer biologisches Geschlecht einen Unterschied macht, wenn ihr eine Tablette schluckt, oder gar wenn ihr einen Herzinfarkt bekommt? Für alle Leser*innen, die in einem Frauenkörper geboren sind, kommt jetzt die wenig überraschende Nachricht: JA, natürlich herrschen auch patriarchale Strukturen in der Welt der Medizin.

Geschlechterunterscheidung in der Gesellschaft: Nein, danke! – In der Medizin: Ja, bitte! 


Grundsätzlich gilt in der Medizin die altertümliche Ansicht: Mensch = Mann, was sich darin äußert, dass die allgemeine Medizin und Medikamentenforschung primär auf den Mann zugeschnitten ist. Das ist seltsam, da doch in der patriarchalen Gesellschaft und somit auch in der dort praktizierten Medizin ganz klar zwischen den biologischen Geschlechtern Mann und Frau unterschieden wird. Natürlich gibt es mehr als nur eine Geschlechtsidentität. Doch tatsächlich kann aus medizinischer Sicht gut ermittelt werden, welche unterschiedlichen Einflüsse die Geschlechtschromosomen X und Y haben, die in allen Körperzellen verankert sind. Diese legen fest, welche Sexualhormone produziert werden, die sich wiederum auf den ganzen Körper und seine Kreisläufe auswirken. Das biologische Geschlecht wirkt sich also auf die Enzymausstattung im Körper aus und somit wiederum darauf, wie lange und wie viel aktiver Wirkstoff im Blut vorhanden ist. Beispielsweise werden in der Leber, wo viele Wirkstoffe von Tabletten (Ibuprofen, etc.) verarbeitet werden, Stoffwechselenzyme in unterschiedlicher Weise produziert. Zusätzlich haben Frauen meist einen höheren Körperfettanteil und eine geringer Körpergröße, weswegen sich der Wirkstoff eines Medikaments unterschiedlich im Gewebe festsetzt. Statistisch gesehen vergeht deshalb bei einem Frauenkörper doppelt so viel Zeit, bis eine Tablette den Verdauungstrakt durchlaufen hat und sich die Wirkung entfachen kann, wie bei einem Mann. Das Paradebeispiel für unterschiedliche Wirkungsweisen ist das Medikament Aspirin, wo erst in den 1980er Jahren festgestellt worden ist, dass es bei Männern als Mittel gegen einen Herzinfarkt (Myokardinfarkt) und bei Frauen gegen Hinschläge Wirksamkeit zeigt.

Wieso weiß Man(n) aber so wenig über Frau?


Die gravierenden Auswirkungen einer Medizin, die vom Mann für den Mann zur Gefahr für Frau wird, müssen Beachtung finden. Der Bundeskongress Gender-Gesundheit erläutert ganz rudimentäre Ansätze und empfiehlt schon im Studium ein Prüfungsrelevantes Modul „Geschlechtersensible Medizin” zu etablieren, das es bisher nur in Österreich gibt. In Deutschland gibt es gerade mal ein Institut für Geschlechterforschung in der Medizin, dass sich näher damit auseinandersetzt (GIM-Charité Berlin). Außerdem sollten auch Lehrstühle eine Geschlechterquote enthalten, da überwiegen männlich besetzte Professor*innenstellen auch die Entscheidungen darüber treffen, über was geforscht wird. Letztlich ist besonders wichtig, dass sich die Forschungspolitik in der Medizin im internationalen Kontext verbessert. Denn wie zu vermuten ist, liegt das Problem des „Gender Health Gap“ schon in der Erforschung von Medikamenten.


Die Männerforschung 


Bei der Erprobung von Medikamenten bis hin zur der Zulassung gibt es drei Phasen: Phase I sind Studien mit wenigen Gesunden, Phase II enthält wenige Kranke und in Phase III erfolgen die Studien mit vielen Kranken. Problematisch sind vor allem die Phase-I-Tests, bei denen es keine Vorgaben über eine Geschlechterverteilung geht und primär Männer als Probanden ausgewählt werden. In dieser Phase wird sozusagen das „Verhalten“ des neuen Wirkstoffs im Körper untersucht und nicht die Wirkung. Und das ist natürlich einfacher ohne die komplizierten hormonellen Schwankungen einer Frau. Laut den forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) sei das aber unproblematisch, da diese Ergebnisse anschließend an Frauen überprüft werden - aber nun der Clou: Mit einem Anteil von 10 bis 40 Prozent, also nicht einmal der Hälfte. Der Bundeskongress Gender Gesundheit hingegen warnt davor, dass die Dosierungsempfehlungen für Männer, die in dieser Phase festgelegt werden, bei Frauen oft zu hoch seien und somit das Risiko von Nebenwirkungen steigt

Selbst wenn für die Erprobung von Medikamenten Versuchstiere eingesetzt werden, geht es rein um die Effizienz. Um signifikante, erfolgreiche Ergebnisse zu erzielen, müssen die Experimente vielfach wiederholt werden. Da der weibliche Hormonhaushalt naturgemäß sehr schwankt, ist es unkomplizierter männliche Labormäuse zu verwenden, da hier leichter eine konstante Ausgangssituation erreicht wird. Männliche Mäuse sind billiger, haben keinen Hormonzyklus und zeigen schneller Reaktionen auf Wirkstoffe. Das sind Bedingungen, die für ein Medikament zählen und nicht die Umstände, die eine Berücksichtigung des weiblichen Zyklus verlangen.

Diskriminierung in der Behandlung


Nicht nur das Medikament sondern auch die Behandlung ist entscheidend. Erschütternd ist, dass ein Herzinfarkt bei Frauen seltener diagnostiziert wird und sie damit häufiger sterben als Männer, weil die Symptome hier anders ausfallen können. On top macht es sogar noch einen Unterschied wer die Behandlung vornimmt. Wenn weibliche Ärztinnen die Diagnose stellen, überleben Frauen häufiger und das vielleicht aus dem einfachen Grund, da sie als Betroffene wissen, dass bei Frauen andere Symptome möglich sind und eine genaue Untersuchung notwendig ist. Noch prekärer, besonders in der Behandlung von Krankheiten, sieht die Situation für Trans-Personen aus. Diese gehen teilweise seltener zum Arzt, da sie hier oft mit Diskriminierung, Unwissen und Unsicherheit im Umgang mit Trans-Personen und mangelnder Sensibilität seitens der Ärzte und Ärztinnen konfrontiert werden. Hier liegt der Grund vor allem in der Approbationsausbildung, in der Transgender-Personen nicht ausreichend thematisiert werden. Das mag zwar weniger ein medizinisches als ein Problem des menschlichen Umgangs sein. Trotzdem sind das Misstände, die dazuführen, dass Krankheiten später diagnositiziert werden, als bei cis-Männern.


Da wären wir wieder beim alten Spiel: Egal ob Medikamente zur Verhütung oder eben auch ganz normale Schmerzmittel, eine Frau kann mit Nebenwirkungen und somit körperlichen Verletzungen rechnen und muss sie nicht wie ein Mann “nur” befürchten. 


Von der Erforschung bis hin zur Erkennung von Krankheiten wird der weibliche Körper maßgeblich diskriminiert, in dem er schlichtweg keine Beachtung findet. Die Einbeziehung von FLINT-Personen (Frauen, Lesben, inter-, non-binäre und trans Personen) in die Medizin bedeutet zusätzlichen Aufwand der bisher nicht betrieben wurde. Es wird allerhöchste Zeit, dass durch patriarchale Strukturen nicht weitere Leben in Gefahr gebracht und stattdessen Projekte gefördert werden, die Aufklärungsarbeit und diskriminierungsfreie Medizin ermöglichen.

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