Petra | 07.04.22
Et vous, Mademoiselle, vous inspectez plustôt votre joli pull que votre cahier? Tja, ertappt, da pillte ich gedankenverloren meinen neuen Mohairpulli und dachte an mein nachmittägliches Date in der Cafeteria. Sowas von plutôt que aufpassen, welche Syntax den Subjonctif nun forderte oder nicht. Damals an der Uni, im vollen Französischkurs, schämte ich mich in Grund und Boden. Schließlich bekam ich schon sehr früh mit, dass man als Frau zwar möglichst gut aussehen muss, aber nicht dabei erwischt werden sollte, wie man seine Erscheinung optimiert.
Wäre ja mega unlässig, das wissen gebildete Mademoiselles spätestens seit dem Bestseller "How to be Parisien". Darin erklären unverschämt gutaussehende Pariserinnen, wie man auch als Steffi aus Pforzheim französische Nonchalance erwirbt - ein unverzichtbares Werk voller Stil- und Verhaltensregeln also, das es in Deutschland bis heute nicht auf Französisch zu kaufen gibt. Weil die Dames das Regelwerk natürlich für all diejenigen geschrieben haben, die keinen Pariser Style haben, also Nicht-Französinnen. Das erklärte mir jedenfalls der Buchhändler, als ich nach der
version originale fragte. „Die ist in Englisch. Brauchen Französinnen doch nicht, so eine Stilbibel.“ Aber nochmal zurück zum Ausgangspunkt: Jedes Mädchen weiß, dass es gut auszusehen hat. Ich weiß das spätestens, seit mein etwas einfacher, aber in dieser Analyse präzise formulierender Tischnachbar Andi an der Realschule klarstellte: „Wenn du als Mädchen fett bist oder sonstwie scheiße aussiehst, haste echt verschissen.“ Ja krass. Sowas konntest du als Typ in den 90ern noch sagen, ohne an Beliebtheit einzubüßen. Also tat man alles, um nicht zuzunehmen und stattdessen „gut“ auszusehen. Erst später begriffen meine Freundinnen und ich, dass der Andi eine patriarchale Zumutung war und wir selbst auch, und zwar noch heute. Schließlich tun wir trotz höherem Anspruch an die eigene innere Haltung noch immer alles, um der männlichen Erwartung zu entsprechen. Wir versuchen – mehr oder weniger erfolgreich – uns bei Schokolade, Limo und Kuchen zurückzuhalten. Wir gehen morgens vor der Arbeit joggen, aber nicht wirklich, um Stress abzubauen, sondern doch eher, um unseren Hintern in Schach zu halten. Und wir überschminken dunkle Augenringe nach einer langen Party und cremen gegen „die ersten Fältchen“ - Retinol hilft übrigens echt. Wir pudern nach, achten penibel darauf, gut auszusehen, tun aber gleichsam alles, damit’s keiner merkt. Das ist etwas zutiefst Weibliches: Sich anstrengen und gleichzeitig so zu tun, als täte man es nicht. Würden Männer nie machen. Wer das bestreitet, muss sich nur mal in deutschen Büros umschauen oder in ein x-beliebiges Fitness Studio gehen (lautes Schnaufen und hörbares Schwitzen an den Hantelbänken!). Zuhause reicht das Stichwort Haushalt (Hast du gesehen, Schatz, ich habe gesaugt(!). Überall Männer, die ihre Anstrengungen lauthals kundtun. Männer würden es nie versäumen, darauf hinzuweisen, was sie alles schaffen. Wir Frauen dagegen, zur Bescheidenheit erzogen, versuchen krampfhaft, nicht auf uns aufmerksam zu machen. Das fängt beim Nachziehen der Lippen mit „Nude Lipstick“ auf dem Schulklo an, oder noch viel früher. Und es hört nicht auf, wenn wir längst erwachsen sind und eigentlich wissen, dass uns der Mittelpunkt auch gehört und wir uns dort gefallen dürfen. Wir wollen beachtet und respektiert werden, fürchten uns aber davor, aufzufallen, zu bemüht zu wirken. Das ist das Paradox weiblicher Scham und es tritt am sichtbarsten in unserem Verhältnis zur Schönheit zutage, am frustrierendsten im Bett und am schmerzhaftesten auf unserem Gehaltszettel. Ganz klar: unsere Scham ist der entscheidende Gender-Gap. Dafür könnte man unsere nach wie vor patriarchalisch geprägten Strukturen verantwortlich machen, in denen kleinen Mädchen das Märchen vom schönen bescheidenen Aschenputtel vorgelesen wird, das am Ende den Prinzen bekommt. Wir könnten die Schuld auf all die Mansplainer und alten weißen Männer abwälzen, die die Welt für sich beanspruchen. Tatsächlich glaube ich, dass wir selbst anfangen müssen, unsere Scham abzulegen. Dass wir uns nicht mehr im No-Make-up-Look schminken, wenn wir Bock auf Rouge fett haben und dass wir verdammt nochmal zugeben, gerne im Mittelpunkt zu stehen, auch wenn wir uns dabei reflexartig auf die Zunge beißen und im Scheinwerferlicht anfangen zu schwitzen. Für mich ist das eine verheißungsvolle Vorstellung – schamlos dazustehen und die Aufmerksamkeit zu genießen.