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FGM – Der Kampf für körperliche Selbstbestimmung

Gesundes Afrika | 07.11.2024


Hinweis: Dieser Artikel behandelt das Thema weibliche Genitalverstümmelung (FGM), einschließlich körperlicher und psychischer Folgen. Inhalte können belastend wirken und beschreiben Gewalt an Frauen und Mädchen. Wir raten Leser*innen, die möglicherweise getriggert werden, mit Vorsicht weiterzulesen oder den Beitrag zu meiden.

Weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, kurz FGM) ist eine der schwersten Menschenrechtsverletzungen, die über 230 Millionen Frauen und Mädchen weltweit betrifft. Die Praxis wird in über 30 Ländern, vor allem in Afrika, dem Nahen Osten und einigen Teilen Asiens, durchgeführt und basiert auf tief verwurzelten patriarchalen Traditionen. FGM ist ein Verstoß gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung, der oft aus traditionellen oder kulturellen Gründen durchgeführt, oder mit einer bestimmten Vorstellung von “Reinheit” begründet wird.


Was ist FGM? 

FGM umfasst alle Praktiken, bei denen die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane teilweise oder vollständig entfernt oder anderweitig verletzt werden, ohne dass medizinische Gründe hierfür vorliegen. Dies geschieht je nach Region im Säuglings- bis Teenageralter. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert FGM in vier Haupttypen, die von der teilweisen oder vollständigen Entfernung der Klitoris bis hin zur extremen Verengung der Vaginalöffnung reichen. Allen diesen Formen ist gemeinsam, dass sie gravierende physische und psychische Schäden verursachen. 

FGM hat erhebliche kurz- und langfristige gesundheitliche Folgen. Kurzfristig leiden die Betroffenen unter starken Schmerzen, Infektionen, Blutungen und Traumata. Langfristig kann es zu Komplikationen bei der Geburt, chronischen Schmerzen, Problemen mit der Sexualität und psychischen Störungen kommen. Zudem ist das Risiko von Depressionen, Angstzuständen und posttraumatischen Belastungsstörungen bei den Betroffenen erhöht. Diese Praktiken wirken sich somit auf viele Aspekte der Leben von Frauen und Mädchen aus und hinterlassen tiefe, oft irreversible Spuren.


Ein patriarchalischer Akt der Kontrolle

Die Gründe für FGM sind vielschichtig. In vielen Gemeinschaften wird FGM als Übergangsritual angesehen, das Mädchen in die Frauengemeinschaft aufnimmt und sie zur Heirat „würdig“ macht. Die Praxis soll die “Reinheit” und “Ehre” der Betroffenen schützen. Dies beruht auf dem Irrglauben vieler FGM pratizierender Gemeinschaften, dass eine unbeschnittene Frau nicht keusch sein könne, da ihr sexuelles Verlangen zu groß und unkontrollierbar sei. Obwohl es keine religiösen Texte gibt, die FGM vorschreiben, halten viele Gemeinschaften an dieser Praxis fest, weil sie über Generationen hinweg tief verwurzelt wurde.


FGM wird oft als kulturelle oder religiöse Tradition verteidigt, doch in Wirklichkeit ist sie ein Mittel zur Kontrolle der weiblichen Sexualität und zur Aufrechterhaltung patriarchaler Strukturen. Kontrolle über die Körper von Frauen und Mädchen, mit der Absicht, ihnen die Lust und Selbstbestimmung zu nehmen. 


Der Weg nach vorne

Um FGM ein für alle Mal zu beenden, sind globale und lokale Maßnahmen erforderlich, um gefährdete Mädchen zu schützen. In vielen Ländern ist FGM inzwischen gesetzlich verboten, und die internationale Gemeinschaft hat große Anstrengungen unternommen, um diese Praxis zu beenden. Dennoch wird FGM oft im Verborgenen durchgeführt, und die Durchsetzung von schützenden Gesetzen bleibt eine Herausforderung. Deshalb spielen Bildung und Aufklärung vor allem in betroffenen Gemeinschaften eine zentrale Rolle. Initiativen, die auf kulturell sensible Aufklärung und Gemeinschaftsarbeit setzen, haben sich als besonders effektiv erwiesen. Es geht darum, Alternativen zu finden, die das Erwachsenwerden und die Zugehörigkeit feiern, ohne den Körper von Frauen und Mädchen zu verletzen.

Aufklärungs- und Bildungsarbeit

Ein zentraler Aspekt unserer Arbeit bei Gesundes Afrika ist die Sensibilisierung der betroffenen Gemeinschaften. Durch Aufklärungsveranstaltungen, Workshops und Schulungen informieren wir über die gesundheitlichen und psychischen Folgen von FGM und stellen alternative Rituale vor, die ohne körperliche Verletzung auskommen. Besonders wichtig ist es, die Entscheidungsträger*innen innerhalb der Gemeinschaften – wie religiöse Führer*innen, Älteste und Familienoberhäupter – in den Dialog einzubeziehen.


Verbesserung der Versorgungsstrukturen

Neben der Präventionsarbeit werden lokale Versorgungsstrukturen gestärkt, um den Zugang zu spezialisierten Gesundheitsdiensten für Überlebende von FGM und Gender-based-violence zu verbessern. Diese Unterstützung ist entscheidend, um den Frauen nicht nur bei der physischen Heilung zu helfen, sondern auch bei der Bewältigung des Traumas, das durch FGM verursacht wurde.


Alternativen für Ex-Beschneinderinnen

Ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit ist der sogenannte “Do No Harm” Ansatz. Das bedeutet, dass alle (nicht intendierten) Negativfolgen der Projektaktivitäten erkannt und minimiert werden. Eine derartige Negativfolge beim Thema FGM ist für Beschneiderinnen der Verlust ihrer Lebensgrundlage. Die Beschneiderinnen haben eine wichtige Stellung in ihrer Gemeinschaft: Ihre Rolle geht weit über den klinischen Akt hinaus, denn sie gelten als Hüterinnen der Tradition, die ein Jahrtausende altes Ritual aufrechterhalten sollen.


Neben ihrer rituellen Funktion ist die Beschneidung außerdem ein lukrativer Job. Besonders für Frauen, die sonst wenig Möglichkeiten zur selbstständigen Einkommensgenerierung haben. Das Verbot der Beschneidung stellt somit ein existenzielles Problem für die Beschneiderinnen dar, die sich plötzlich ohne Einkommen wiederfinden. Vielen Beschneiderinnen ist die Problematik von FGM bewusst und sie würden aufhören, wenn sie eine Einkommensalternative hätten. Daher ist es umso wichtiger, diese Frauen nicht zurückzulassen und ihnen eine Alternative zu bieten. 


Hierzu werden Beschneiderinnen in Unternehmertum ausgebildet, um ihre finanzielle Unabhängigkeit zu fördern, ohne auf FGM angewiesen zu sein. Doch der Weg der beruflichen Neuorientierung ist schwierig. Die Jobmöglichkeiten für Frauen sind in der Region sehr begrenzt. Der Zugang zu Land(wirtschaft) ist den Männern vorbehalten. Somit bleiben Frauen Tätigkeiten wie Hühnerzucht, Rinderaufzucht, Seifenherstellung oder Sumpfanbau. Andere werden Pflegerinnen in Gesundheitszentren. Außerdem bilden Beschneiderinnen im Rahmen der Initiative “Saving for Change” Spargruppen, mit dem Ziel, sie wirtschaftlich zu stärken und letztendlich ihre bisherige Praxis aufzugeben. 


Ein globales Problem

Trotz Fortschritten bleibt FGM ein Thema, das sich nicht nur auf bestimmte Regionen beschränkt. Durch Migration und die zunehmende Vernetzung der Welt ist FGM auch in westlichen Ländern, darunter auch in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, ein Thema, denn die traditionelle Praxis wird auch nach einem Umzug oftmals weiterhin durchgeführt. Laut Schätzungen des Europäischen Parlaments leben etwa eine halbe Million betroffener Frauen in Europa, weitere 180.000 Mädchen und Frauen sind von Genitalverstümmelung bedroht. Es ist daher wichtig, dass der Kampf gegen FGM global geführt wird – unter Beteiligung von Regierungen, NGOs und feministischen Bewegungen.


Ex-Beschneiderin Anna, Senegal


Anna, eine Ex-Beschneiderin, träumte als Kind häufig von Messern und kahlgeschorenen Schädeln. Ihre Mutter sagte ihr, dass dies ein Zeichen sei, dass sie Beschneiderin werden müsse. Sie lernte den Beruf bei ihrer älteren Schwester in Gambia, die 17 Mädchen an einem Tag beschneiden musste. Anna besuchte sie an dem Tag und durfte gleich drei dieser Frauen beschneiden. Dank der engen Verbindung unseres lokalen Partners La Lumière zu den Gemeinden konnten wir viele (Ex-) Beschneiderinnen wie Anna erreichen. Sie wurden im Rahmen unseres Projekts über die Risiken und Folgen der Beschneidung für ihre Töchter aufgeklärt. Einige von ihnen haben bereits ihre Tätigkeit aufgegeben und befinden sich in einer Umschulungsphase – ein komplexer Prozess, der von unseren lokalen Akteuren begleitet wird. Heute ist Anna Witwe, ohne Einkommen. Sie gründete einen Verein mit anderen Ex-Beschneiderinnen, um gemeinsam Hilfe für eine neue Aktivität zu finden. Sie hat wieder Hoffnung. Sobald sie genug gespart haben, planen sie, eine Kooperative für Hühnerzucht zu gründen.

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