Das Problem mit GNTM
Laura | 18.03.2021
Pünktlich wie die Eisenbahn: ein neuer Beitrag zu Heidi Klums Show Germanys Next Topmodel. Ich kann förmlich spüren wie ihr nun die Augen verdreht und euch entweder denkt, was zur Hölle dieser Scheiss hier zu suchen hat, oder, dass ich euch wirklich nichts mehr Neues erzählen kann. Und vermutlich stimmt Letzteres sogar. Dennoch habe ich zwei große Punkte dazu. Auf der einen Seite ist es zwar ein nicht nur aus feministischer Sicht fragwürdiges Format im Free-TV, doch auf der anderen Seite ist das Bashing dagegen, vorzugsweise von Personen mittleren Alters, misogyn.
Momentan läuft die 16. Staffel von Germanys Next Topmodel, einer Sendung des ehemaligen Topmodels und der mittlerweile erfolgreichen Produzentin Heidi Klum, die seit 2006 jedes Jahr ausgestrahlt wird. Und jedes jahr hagelt es von allen Seiten Kritik. Die Sendung ist nicht divers genug, die Sendung ist nicht innovativ genug, die Sendung vermittelt ein verabscheuungswürdiges Frauenbild. Und ja, das stimmt. Und ich kann das so bestimmt sagen, weil ich diese Sendung verfolge, seit ich 15 bin.
Jahrelang folgte GNTM dem gleichen Muster. Jedes Jahr dieselben Juror:innen, jedes Jahr dieselben Challenges, jedes Jahr die gleichen jungen Frauen. Während sich so manches etabliert hat (“ich habe heute leider kein Foto für dich”), weil es gute Quoten gibt (das tränenreiche Umstyling in Folge fünf, bei der mindestens ein Mädchen mit langen Haaren dran glauben muss), wurden viele Sachen ausprobiert (wechselnde Gast-Juror:innen) und wieder verworfen (die eh schon miteinander konkurrierenden Mädchen in zwei Gruppen zu stecken). Herausgekommen ist nun ein”Model-Casting”, bei denen die teilnehmenden jungen Frauen mehr oder weniger lernen, wie sie richtig modeln. Tatsächlich aber müssen sie haarsträubende Aufgaben erfüllen, um ein heiß ersehntes Foto zu bekommen, wobei das Ziel seit den letzten Jahren weniger Topmodel werden lautet, als viel mehr Follower auf Instagram sammeln (verständlich, Influencer:innen sind häufig erfolgreiche Geschäftsleute). Immer öfter drängt sich den Zuschauenden bei alledem die Frage auf, was genau das exzessive Bloßstellen der Mädchen nun mit dem Modelbusiness zu tun hat. Ja, keine Frage, Modeln ist ein harter Job, in dem Selbstdisziplin und Körperbeherrschung das A und O sind, doch 20 Mädchen in ein Schlafzimmer zu stecken, sie dem enormen Druck eines mehr oder weniger fairen Wettkampfes auszusetzen und dann darauf zu warten, was passiert, kommt mir beinahe grausam vor.
Vorweg: Diversität ist wichtig, denn sie repräsentiert die Vielfalt der Gesellschaft und ermöglicht es, Minderheiten zu gesellschaftlichen Akteur:innen zu machen und einen (öffentlichen) Raum zur Artikulation zu schaffen.
Wie GNTM dies jedoch für die eigenen Zwecke instrumentalisiert, zeigt gleich die jeweils erste Folge jeder Staffel. Ein überaus gruseliges Schaulaufen, in dem sich verschiedene junge Frauen vorstellen dürfen. Vorzugsweise solche, die eine Backstory oder - noch besser - eine Backstorywound vorzuweisen haben. Diese beiden Begriffe aus der Filmwissenschaft beschreiben die Ausschmückung einer Figur mit einer beispielsweise tragischen™ Vergangenheit, um die Motivation für ihre Handlungen rechtfertigen zu können. Dieses Jahr hatten wir Maria, eine junge Frau ohne Gehör (sie ist leider bereits nach der zweiten Folge rausgeflogen, vermutlich weil der/die Gebärden-Dolmetscher:in zu teuer war), Soulin, die mit ihrer Familie vor dem Krieg in Syrien geflüchtet ist, und Chanel, die an Morbus Crohn leidet. Neben diesen besonders hervorgehobenen Geschichten gibt es dieses Jahr zwei Plus Size Models (Plus Size bedeutet wohl alles über Größe 36), zwei schwarze junge Frauen, eine Transfrau und - welche Neuerung - zwei petite Models. Schon die Auflistung ist ein Albtraum.
Man muss Punkte dafür vergeben, dass in diesem Format Platz für bestimmte Debatten eingeräumt wird, doch leider geht die Thematisierung nicht über eine Schlagzeilen heischende Erzählung hinaus, stattdessen werden bestimmte Kandidat:innen in Rollen und Stereotypen gedrängt, die die problematische Darstellungsformen unterrepräsentierter Gruppen noch weiter reproduzieren.
Diversität schön und gut, doch bitte alles nur innerhalb des Schönheitsideals. Aufgrund des propagierten Frauenbildes, das die Sendung vermittelt, sieht sie sich jedes Jahr aufs Neue mit immer größer werdender Kritik konfrontiert. Es ist zwar der allgemeinen Modeindustrie geschuldet, die immer noch auf Fashion Shows und mit ihrer Haute Couture große und übermäßig dünnen Körper inszeniert und zelebriert, doch die Körpermaße, die GNTM bevorzugt, sind unrealistisch und problematisch. Auch wenn Plus Size und Petite Models nun in das Repertoire der Teilnehmer:innen aufgenommen wurden, so ist die ständige Hervorhebung und Betonung dieser nur ein Zeichen für die fehlende Norm. Außerhalb des großen und dünnen Rahmens gerne, aber nur in der Minderheit und auch nur eines davon. Trägst du Kleidergröße 38, dann bitte nur ab 1,75m, bist du nur 1,60m groß, dann aber bitte Kleidergröße XXS. Dass diese “Ausreisser:innen” der Norm eher die Realität widerspiegeln, wird schön ignoriert, weil die jungen Frauen wollen ja alle erfolgreiche Topmodels werden.
Schon ziemlich witzig, dass eine Fernsehsendung, die viele der strukturellen Probleme unseres Frauenbildes, das abhängig von der weißen Vorherrschaft des Mannes ist, verkörpert, so verhasst bei eben jenen weißen Männern mittleren Alters ist. Dabei rechtfertigt die Inszenierung der jungen Frauen doch nur das Klischee der dummen hübschen weiblichen Person auf das man(n) mit Freuden herabsieht. Gerne und viel zitiert wird Roger Willemsens Antwort in der TAZ auf die Frage, ob GNTM frauenfeindlich ist. Dass er dabei selbst vollkommen frauenfeindlich und oberflächlich argumentiert, wird außer Acht gelassen. Immer wieder aufs Neue wird sein kurzer Text unreflektiert weiter verbreitet.
Sein erster Satz beginnt mit “Eine unschöne Frau mit laubgesägtem Gouvernanten-Profil”, was aus seiner Sicht zwar stimmen mag, doch wer ist er, als dass seine Meinung zu Heidi Klum relevant ist. Weiter im Text geht es um “kleine Mädchen”, die zum Weinen gebracht werden. Hat ihm niemand gesagt, dass die Teilnehmer:innen mit einem Durchschnittsalter von ca. 20 bereits erwachsene Frauen sind? Heidi Klum rede permanent über Persönlichkeit, aber könne sich selbst nicht mehr dran erinnern, was das sei. Meiner Meinung nach zeugt es eher von niederer Persönlichkeit, so über eine ihm fremde Person in der Öffentlichkeit zu sprechen, ganz abgesehen von der vollkommen überzogenen Stilistik dieser Formulierung. Es folgen noch einige weitere Zeilen, in denen er über die Sinnlosigkeit schwadroniert, die er in Heidi Klum persönlich sieht, bevor er mit “Da möchte man dann elegant und stilsicher, wie der Dichter sagt, sechs Sorten Scheiße aus ihr rausprügeln – wenn es bloß nicht so frauenfeindlich wäre.“
schließt. Ich liebe wie Männern eine solche Meinungshoheit zugesprochen wird, dass sie ihnen erlaubt, frauenfeindlich und oberflächlich über Frauenfeindlichkeit und Oberflächlichkeit zu lästern. Mal abgesehen davon, dass er mit dieser Aussage Gewalt gegen Frauen relativiert. Natürlich ist das nur seine Meinung, und jedem steht natürlich auch frei, sich dieser anzuschließen, doch an Scheinheiligkeit ist das wirklich kaum zu übertreffen.
Erfolgreiche Frauen zu kritisieren ist offensichtlich immer einfacher als ihnen die Anerkennung zu schenken, die ein Mann bekommen würde oder - Gott, bewahre - die sie verdient. In letzter Zeit wird immer häufiger aufgedeckt, dass der Erfolg von Frauen für die patriarchale Gesellschaft einen fahlen Beigeschmack hat. Sie werden dafür verachtet, dass sie einfordern, was Männer geschenkt bekommen. Das, was Heidi Klum unter anderem mit Germanys Next Topmodel leistet, ist kaum mit etwas anderem vergleichbar. Keine andere Casting-Sendung im deutschen Free-TV kann einen solch anhaltenden Erfolg vorweisen. Doch Frauen werden mit einem anderen Maßstab bemessen. In dem Text von Roger Willemsen geht es nicht per se, um ihn und seine Worte, sondern viel mehr darum, wie internalisiert Frauenhass ist, dass solche Worte vollkommen unreflektiert Jahr für Jahr aufs Neue geteilt und weiterverbreitet werden. In dieser Diskussion kann mensch mir vermutlich vorwerfen, dass ich dieses Format jedes Jahr aufs Neue verfolge und das auch zu Recht. Doch es geht nicht darum eine Sendung zu boykottieren oder eben auch nicht, sondern sich damit auseinanderzusetzen, warum mensch bestimmte Dinge ablehnt. Wie gesagt, gibt es genügend Kritikpunkte an GNTM, die darlegen, warum das Format problematisch ist, aber Heidi Klum persönlich ist es nicht. Maximal nur das, was sie in der Öffentlichkeit an patriarchalen Strukturen verkörpert.
Quelle: https://taz.de/Ist-Germanys-Next-Topmodel-frauenfeindlich-DIE-SONNTAZFRAGE/!655956/