Hättetihrhalt

Hätt’st halt was g’scheits glernt…


Stella | 12.11.20


Dank der neuen Corona-Inzidenzwerte über 100 Ende Oktober in Bayern und vor allem München befinden wir uns jetzt wieder in einem partiellen Lockdown. Lockdown light, wie Angela Merkel es nennt. Geschlossen wurden in erster Linie Freizeiteinrichtungen, darunter Kinos, Theater, Opern, Gastronomie und Konzerthäuser. Aber ist das überhaupt verhältnismäßig?


Die Auflagen sind so hart wie in wenig anderen Einrichtungen und werden selten so strikt eingehalten wie in Kultur und Gastro. Ist ja auch klar, weder die Intendant*innen noch Wirt*innen haben Interesse daran, Leute zu gefährden.

Die Kunst- und Kulturschaffenden schreien empört auf. Seit Beginn der Pandemie ist noch kein einziger Coronafall in Theatern oder Opern bekannt geworden, genauso wie keine einzige Infektionskette bekannt ist, d.h., niemand hat sich nachweislich beim Besuch eines Theaters oder einer Oper mit Corona infiziert. Und das, obwohl in der Staatsoper in München, nach dem Pilotprojekt mit 500 Zuschauer*innen statt den eigentlich erlaubten 200 zu Marina Abramovics Auftritt, hinterher fünf Zuschauer*innen angerufen haben, die positiv getestet wurden, wie auf der Künstlerdemo am Königsplatz vor etwa drei Wochen erzählt wurde. Also auch mit Coronakranken im Theater gab es keine Folgeansteckungen. Und das verwundert nicht. Die Auflagen, an die sich Kunst und Kultur halten muss, sind hart. Maskenpflicht auch am Platz, drei bis fünf Meter Abstand zur Bühne, je nachdem ob geschauspielert, gesungen oder ein Blasinstrument gespielt wird. Schachbrettsystem im Publikumsraum sowie nur die Hälfte der Reihen, den Bläser*innen wird sogar vorgeschrieben, wo sie aufgrund ihres Kondenswassers sitzen dürfen und wo nicht. Die Auflagen sind so hart wie in wenig anderen Einrichtungen und werden selten so strikt eingehalten wie in Kultur und Gastro. Ist ja auch klar, weder die Intendant*innen noch Wirt*innen haben Interesse daran, Leute zu gefährden. Vor allem sind aber die Gastronomie und die Kunstschaffenden besonders hart von den Verdienstausfällen seit März getroffen worden und haben wenig Hilfe erhalten. Dass man da nicht das Risiko eingehen möchte, sofort wieder zugemacht zu werden oder unter Umständen noch Strafen zu zahlen, macht irgendwie Sinn.
Die meisten Hilfspakete kamen bei den sowieso schon subventionierten Kultureinrichtungen an. Viele Selbstständige haben von dem Geld nichts oder nur sehr wenig gesehen, nachdem sich die Hilfspakete jetzt auch wieder an Unternehmen ab einer bestimmten Größe richten. So sollen Unternehmen ab 50 Mitarbeiter*innen 70 Prozent des verlorenen Umsatzes rückerstattet bekommen, größere noch mehr. Von Einzelpersonen oder kleineren Betrieben ist wenig die Rede. Im März beispielsweise galten Gagenausfälle nicht als triftiger Grund, um Überbrückungshilfen zu erhalten, sondern Betriebskosten mussten angegeben werden. Nur schade, dass man als freiberuflich Kulturschaffender keine Betriebskosten hat, nachdem man freiberuflich arbeitet und nicht ein eigenes Haus durchbringen muss, sondern z.B. nach Proben und Vorstellungen bezahlt wird. Dass das nicht als triftiger Grund gilt, um Hilfen zu zahlen, zeigt mal wieder, dass Kunst und Kultur als Beruf nicht ernstgenommen werden. Genauso, dass Theater, Opern und Konzerthäuser jetzt für den zweiten Lockdown in den gleichen Topf mit Fitnessstudios, Sportvereinen und andere Freizeitangebote geworfen werden. Nicht dass diese Einrichtungen keine Berechtigung haben, aber Kunst hat einen klaren Bildungsauftrag, nicht nur einen Unterhaltungsfaktor. Der Fakt, dass Kunst und Kultur genau wie Gastro als erstes wieder zugemacht werden, obwohl kein Coronafall bekannt ist und diese Betriebe wirklich viel Geld in Hygienekonzepte gesteckt haben, um überhaupt arbeiten zu können, wirkt wie eine klare Entscheidung.

Aufgrund der Zahlen und der Beobachtungen, und auch wenn man in der Stadt einfach mal die Augen aufmacht, lässt sich erahnen, dass sich die meisten Leute in den Öffis auf dem Weg zur Arbeit anstecken. Als vor knapp zwei Wochen die MVG in München gestreikt hat, stand ich mit locker 100 Leuten dicht an dicht in einem Bus. Und das ist jetzt ein niedrigeres Infektionsrisiko als im Theater, wo man nicht mal redet, sondern neben den ganzen Regelungen auch noch stur nach vorne schaut? Nee, liebe Regierung, da müsst ihr euch was Besseres einfallen lassen. Da könnt ihr noch so oft sagen, Kunst und Kultur seien systemrelevant. Eure geforderte Solidarität lässt sich da wenig ernst nehmen. Die ist doch sehr ausgewählt nach Branche und Einkommen. Student*innen z.B. sitzen auch schon wieder in der Scheisse, wenn sie Nebenjobs wie z.B. Kellnern (was ein extrem häufiger Studentenjob ist) nicht nachgehen können und die letzte Coronahilfe für Student*innen war ein ziemlicher Witz. Drei Monate 500€, aber nur wenn der Kontostand unter 100€ beträgt? Das reicht in München mit Glück für einen Monat Miete. Sonst werden auch die wieder allein gelassen.
Warum müssen Arbeitnehmer*innen in nicht eingeschränkten Berufen einen Antrag stellen, wenn sie im Homeoffice arbeiten wollen? Warum wird es nicht andersherum gemacht? Tröpfchen fliegen weit, die können auch von Schreibtisch zu Schreibtisch wandern. Und bei den mangelnden Abständen in Bus und Bahn lässt sich stark vermuten, dass das die größten Ansteckungshotspots sind. Aber wenn Theater und Co. zugemacht werden, wo sich niemand angesteckt hat, müssten konsequenterweise auch die Orte zugemacht werden, wo sich viele Leute anstecken. Schulen bleiben auch offen. Mit Begründung Söders, dass diese nicht zugemacht werden müssen, solange kein deutliches Infektionsgeschehen stattfindet. Äh, hä? Warum sind dann nochmal die Kultureinrichtungen zu?
Es wird eine Sache besonders deutlich in den Corona Maßnahmen: Die Kausalität fehlt, bzw. es ist eine klare Priorisierung von Seiten der Politik nach Vorlieben, nicht nach Logik. Warum Schulen und Kitas nicht zu sind, lässt sich vermutlich auf einen anderen Grund zurückführen: mangelnde Betreuungsmöglichkeiten von Eltern, die dann auch wieder ins Home Office müssten und mangelnde Möglichkeiten, den Schulbetrieb auch ohne Präsenz so zu gewährleisten, sodass es nicht proportional abhängig von der technischen Ausstattung und dem Reichtum der Eltern ist, wie gut das Kind mitkommt.
Corona macht mal wieder deutlich, was schon lange bekannt ist: Kunst und Kultur haben für die meisten Politiker keine Relevanz, die fordern nur Solidarität, wenn es um ihren eigenen Arsch geht. Die Augen werden zugemacht, wenn es sie nicht direkt betrifft. Schon im März wurde vor allem Solidarität von den Jungen gefordert, um die Alten zu schützen, alle Einrichtungen wurden zugemacht. Klar, alles kein Problem. Aber zurück kriegt man halt nichts. Die Kulturschaffenden, die sowieso schon alleine gelassen wurden, stehen jetzt erst recht und erneut vor dem Existenzaus, Es ist den Politiker*innen scheinbar egal, wenn die ganze Kulturszene vor die Hunde geht, Filme schauen kann man ja auch so und ihre Einkommen sind ja nicht gefährdet.
Hätten wir halt mal was gscheits gelernt, dann säßen wir jetzt nicht in der Scheisse.
Liebe Politiker*innen: Solidarität und Respekt geht anders. Macht endlich was.

Quellen

„Kultur ist existentielle Seelennahrung“, https://www.ndr.de/ndrkultur/Corona-Massnahmen-Beschluesse-und-Folgen-fuer-die-Kultur,coronaschliessungen102.html, letzter Zugriff 10.11.20.
„Söder: Keine automatische Klassenteilung und Schulschließung“, https://www.abendzeitung-muenchen.de/bayern/soeder-keine-automatische-klassenteilung-und-schulschliessung-art-681811, letzter Zugriff 10.11.20.
„Wer bekommt die Corona-Hilfen?“, https://www.n-tv.de/wirtschaft/Wer-bekommt-die-Corona-Hilfen-article22134105.html, letzter Zugriff 10.11.20.

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