Kathi | 18.02.24
München hat laut dem Münchner Comedian Natan Bilga die zweitgrößte Comedy-Szene Deutschlands. An jedem Wochentag findet irgendwo eine Comedy-Show statt, wo unzählige Comedians ihre Gags zum Besten geben. Dabei steht die Szene auch jeder Person offen.
Es gibt viele Auftrittsmöglichkeiten, wie Stuss mit Spargel, Servus Comedy oder Lucky Shot, für Leute, die sich im Comedy-Bereich einfach mal ausprobieren wollen. Was bei den Line-Ups der Künstler*innen allerdings auffällt: Es sind vorwiegend Cis-Männer, die auf den Bühnen performen oder die Shows hosten,. Eine Tatsache, die nicht nur in München, sondern auch in anderen deutschen Städten ein Problem ist.
Aber warum ist das so? Ist die Münchner Comedy-Szene unattraktiv für weibliche oder non-binäre Personen?
Die beiden Münchner Comediennes Tina Chau und Sophia Rauchhaus haben sich bereit erklärt, uns einen Einblick in die Münchner Comedy-Szene zu geben. Tina macht bereits seit vier Jahren in München Stand-Up-Comedy, Sophia ist seit April 2023 auf der Bühne aktiv. Wir treffen uns abends in der Rio Bar gegenüber vom Lucky Punch, dem neuen Comedy Club im Gasteig. Es ist kurz vor 20 Uhr. Sophia hat gerade die 18 Uhr Show Lucky Shot gehostet. In wenigen Minuten geht eine weitere Stand-up-Comedy-Show los – Im Line-up sind 5 Männer und nur eine Frau.
Welche Klischees über Frauen in der Comedy-Szene begegnen euch am meisten?
Sophia: Das älteste Klischee ist ja, dass Frauen ganz einfach nicht lustig sind – Das hält sich seit Jahrzehnten. Ich erfahre das allerdings nicht so oft von anderen Comedians und habe den Eindruck, dass in der Szene ein relativ großer Zusammenhalt, gerade unter den weiblichen Comedians, herrscht. Aber ich glaube, dass dieses Klischee viele Comedians, Jahre bevor sie überhaupt die Bühne betreten, zurückhält. Es steckt uns allen in den Köpfen.
Tina: Ich habe ‘ne Story dazu: Das war bei Stuss (Anm. d. Red.: Comedyshow in München) und nach der Show haben mich Mädels angesprochen, dass sie meinen Auftritt mochten. Daneben stand ein Typ, der marginal etwas mit den Mädchen zu tun hatte. Zu den Mädchen meinte ich dann: „Falls ihr mal Lust habt, selbst Comedy zu machen, würden wir uns voll freuen, denn wir haben relativ wenige Frauen bei uns.“ Er sagte daraufhin: „Ja, aber das liegt an anderen Sachen.“ Woraufhin ich erwiderte: „Nee, nee, es gibt schon Faktoren, die es Frauen schwieriger machen, Stand-Up-Comedy zu betreiben.“ Ich wurde z.B. schon einmal von einem Besitzer einer Bar, wo Comedy-Shows stattgefunden haben, sexuell belästigt. Da bin ich dann nicht mehr hingegangen, weil ich mich unwohl gefühlt habe. Der Typ gab aber immer noch keine Ruhe: „Nee, also ich glaube schon, dass es Faktoren gibt, die Frauen verletzlicher machen. Das ist aber eher ein Selbstschutz, dass Frauen eher sagen, sie gehen nicht auf die Bühne. Denn Frauen sind oft ruhiger und wollen nicht so viel von sich preisgeben. Wenn sie dann auf die Bühne gehen, machen sie sich ja verletzlich.“ Ich meinte nur so:“ Denkst du nicht, dass Frauen generell etwas ruhiger sind, weil es gesellschaftlich indoktriniert ist?“ Daraufhin gab es weiterhin Unverständnis. Ein männlicher Comedy-Kollege kam dazu und wollte wissen, worum es geht. Nachdem er mir zugestimmt hatte, fing der Typ an nachzudenken, denn wenn ein Mann das sagt, muss ja was dran sein. Ich fand es einfach nur absurd, dass er mir erklären wollte, warum Frauen weniger Stand-Up machen, obwohl ich seit vier Jahren auf der Bühne aktiv bin.
Wie weiblich besetzt ist die Münchner Comedy-Szene oder die Szene generell und warum ist das so?
Sophia: Frauen sind extrem unterrepräsentiert in der Stand-Up-Comedy-Szene. Ich würde schätzen, dass in München auf eine Frau in etwa acht Männer kommen. Frauen sind die absolute Ausnahme.
Tina: Es gab eine Studie darüber, was Menschen in ihren Partner*innen suchen, und es kam raus: Alle wollen immer Humor. Aber: Das wurde von den Geschlechtern anders definiert. Wenn Frauen sagen, dass sie einen Mann mit Humor wollen, bedeutet das, dass er witzig sein soll. Wenn Männer sagen, sie wollen eine Frau mit Humor, dann heißt das, sie sollen über seine Witze lachen. Ich habe auch super oft das Gefühl, dass Männern so viel mehr vermittelt wird, dass sie unfassbar witzig wären. Wenn ich zweimal in der Woche auf eine Open-mic gehe, ist da bei mindestens einer Show ein Mann, der von seinem Freundeskreis gehört hat: Du musst auf die Bühne. Meistens ist es einfach irgendein Dude. Das ist eben oft eine Hemmschwelle für Frauen. Ich hatte auch diese Hemmschwelle, auf die Bühne zu gehen. Bei meiner Lieblings-Open-Mic-Show habe ich mich nach einem Zwischenfall einfach nicht mehr hingetraut, obwohl das meine Lieblingsshow war. Das sind Faktoren, wo ich mir denke: Wenn mir das am Anfang passiert und ich noch nicht das Gefühl habe, einen starken Rückhalt in der Szene zu haben, dann gehe ich da einfach nicht mehr hin.
Noch ein Ding sind Auftritte, für die du in eine andere Stadt fährst. Open-Mics sind meistens unbezahlt, das heißt, man muss schauen, wo man für die Nacht schlafen kann. Als männlicher Comedian kannst du einfach andere Comedians in der Stadt fragen und musst dir keine Gedanken darüber machen. Als Frau muss ich mir schon zweimal überlegen, ob das eine Person ist, bei der ich ohne Bedenken übernachten kann.
Sophia: Die Comedy-Szene ist nicht besser als jeder andere Bereich der Gesellschaft. Manchmal ist sie vielleicht sogar noch schlimmer, weil es immer noch
Männer sind, die TV-Sender besitzen,
Männer, die Shows schreiben,
Männer, die Clubs besitzen und Open-Mics veranstalten. Aber es sind, glaube ich, vor allem die Geschlechterrollen, die mich so lange von Comedy ferngehalten haben. “Frauen sind schön und Männer sind lustig”. Ich weiß, dass ich mich die längste Zeit meines Lebens überhaupt nicht als lustig empfunden habe. Ich musste erst andere Frauen auf der Bühne sehen, wie z.B. Tina oder Giada Severini, auch eine Newcomerin der Münchner Szene, um mir das selbst vorstellen zu können.
Wie ist der Umgang der männlichen Comedians euch gegenüber?
Sophia: Meinen Erfahrungen nach überwiegend gut. Ich kenne aber auch Comedians in München, die den Ruf haben, gegenüber weiblichen Newcomerinnen übergriffig zu sein. Was mich selbst allerdings noch immer beschäftigt, ist, dass Backstage schon eine sehr männliche Kultur herrscht. Also, so ein männliches Buhlen um die beste Punchline, oder auch Roasting. Dazu kommt die sehr harte Kritik bzw. hartes Feedback, das fast immer hilfreich, aber selten liebevoll ist. Für mich ist das immer noch schwer. Das ist eine Art zu kommunizieren, die ich von meinen weiblichen Freund*innen nicht kenne.
Tina: Die Comedy-Landschaft zieht eine bestimmte Sparte Menschen und da speziell Mann an. Und zwar welche, die der Meinung sind, sie hätten was zu sagen und die Welt solle dies auch hören. Das sind viele Männer mit großem Ego. Ich mache seit vier Jahren Comedy und vor zwei Monaten hatte ich meine erste Show, wo im Backstage mehr Frauen als Männer waren, weil die Show auch von einer Frau gehostet wurde. Das war insane!
Sophia: Und die Stimmung war bestimmt ganz anders, oder?
Tina: Es war wirklich ganz, ganz anders. Ich habe das auch angesprochen und die weiblichen Comdeians haben mir zugestimmt. Dann hatte ich das Glück, bei einer großen all-female Show von Maria-Clara Groppler zu spielen. Die Location war ein Theater, also war das Backstage dementsprechend groß, wir haben gegessen und über alles mögliche gequatscht. Es fühlt sich anders an! Man ist weniger angespannt.
Sophia: Ich traue mich selten, unter den männlichen Comedians meine Stimme zu erheben.
Worüber macht ihr Comedy?
Sophia: Ich mache viel Comedy über sogenannte “Frauenthemen”, über meine weibliche Lebensrealität. Aber sie als Frauenthemen zu bezeichnen finde ich platt, denn die meisten Männer machen ja auch Witze über ihre männlichen Lebensrealitäten. Wie viele Peniswitze ich schon von Männern gehört habe… Ich mache viele Frauenwitze, die vermeintlich typische Frauenthemen, wie meine Periode oder Crushes, beinhalten und das mit Stolz.
Tina: Bei mir ist viel aus meinem eigenen Leben gegriffen, Themen wie Dating usw. Es regt mich immer auf, wenn ich auf Instagram ein Stand-Up-Reel sehe, wo es um Dating oder Sex geht – Dann steht in den Kommentaren so etwas wie: „Frauen können auf der Bühne nur über Sex reden“. Es ist nervig, dass wir uns als Frauen über Thematiken den Kopf zerbrechen, über die sich unsere männlichen Kollegen niemals Gedanken machen müssen. Denn bei Frauen wird vieles generalisiert und wird mit ihrem Frausein in Verbindung gebracht, während Männer als Menschen bewertet werden. Eine Kollegin bekommt unter Videos oft Kommentare bezüglich ihres Äußeren. Als sie ein Video gepostet hat, wo sie über ihre Herkunft spricht, wurde sie gleich von einem ekligen Typen in der Story gepostet, der ihr Rassismus erklären wollte.
Was macht ihr, um nicht nur als (queere) Frauen auf der Bühne wahrgenommen zu werden?
Sophia: Ich glaube, ich werde schon sehr als Frau wahrgenommen zu jedem Zeitpunkt, auf dem ich auf der Bühne bin. Ich habe da gar keine Technik dagegen. Ich habe gerade eben in der Show eine Minute lang einen Sketch von einem Typen gehört, darüber, wie er eine Fliege tot pinkelt und es kam gut an. Aber wenn ich ‘ne Minute lang darüber sprechen würde, dass ich eine Fliege in meinem Menstruationsblut ertränke, dann ist das ein Frauenbit. Ich glaube, dass die Nachfrage nach weiblichen Comedians extrem groß ist, weil das weibliche Publikum in der Regel weibliche Comedians sehen will. Nach jeder Show kommen Frauen auf mich zu und sagen: „Ach wie schön, mal eine Frau auf der Bühne zu sehen.“ Wenn Frauen mich als Frau auf der Bühne wahrnehmen, dann ist das für mich total in Ordnung.
Tina: Ich glaube, das ist etwas, was ich versuche zu verändern. Am Anfang habe ich mich sehr bewusst angezogen. Nämlich nicht groß geschminkt, keine süßen Tops, keine Kleider, nichts mit tiefem Ausschnitt, weil ich dachte, ich möchte als Comedian wahrgenommen werden, nicht als Frau. Da denke ich mir jetzt so: „Bullshit!” Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, dass mir super bewusst ist, wie ich auf der Bühne wahrgenommen werde. Ich wollte, dass sie meine Comedy ernst nehmen. Eigentlich wollte ich, dass ein körperloser Block meine Witze vorträgt, was natürlich Bullshit ist. Schließlich ist es MEINE Comedy und MEINE Erfahrung.
Sophia: Ich denke auch viel darüber nach, was ich auf der Bühne trage. Anfangs habe ich immer extra lässige Kleidung getragen. Heute gehe ich auch mal mit Heels auf die Bühne. Heute meinte ein Comedy-Kollege zu mir: „Du kommst mit deinen hohen Schuhen und gemachten Nägeln auf die Bühne und erzählst dem Publikum, dass du Pech beim Dating hast? Das wirkt arrogant!“ Das hat mich wieder daran erinnert, dass ich eben kein körperloser Block bin, viel weniger als die Typen.
Was fehlt in der Münchner Szene?
Sophia: Vielleicht eine stärkere Verknüpfung zwischen Frauen in der Szene. Wenn wir uns untereinander bewusster wahrnehmen und gegenseitig unterstützen würden, glaube ich, wäre uns allen geholfen.
Tina: Es gibt auf Instagram mittlerweile FLINTA-Comedy-Gruppen, in denen man sich austauschen kann über Shows oder über Menschen, die komisch sind, bei denen man vielleicht besser nicht übernachten sollte und solche Sachen. Natürlich ist es super traurig, dass solche Sachen überhaupt nötig sind, um mehr Frauen im Line-Up zu haben. Dass Sophia eine Open-Mic-Show moderiert, ist super wichtig, weil davon gibt es in München nur eine weitere Moderatorin und die macht das auch nicht häufig. Es ist die eine Sache, wenn du zwei Frauen im Line-Up hast und die andere Sache, wenn da nur männliche Hosts auf der Bühne stehen.
Ich war vor kurzem bei einem Comedy-Writing-Workshop mit circa 50/50 Männer-Frauen-Anteil, was mich positiv überrascht hat. Es war eine Person als Gastdozentin da, die als schwarze Frau seit über 20 Jahren Comedy schreibt. Sie hat auch mit einer aus dem Kurs geredet und meinte: „Ich habe dich hier hosten sehen und es war so cool, dass in dem Raum mehr PoC als weiße Menschen waren.“ Ich bin eine Frau und PoC, und das ist natürlich auch nochmal ein zusätzlicher Faktor. Denn so wie Frauen auf die Bühne gehen und wissen, dass von ihnen erwartet wird, dass sie “Frauen-Comedy” machen, weiß ich, dass wenn ich auf die Bühne gehe, viele erwarten, dass ich Ethnologie-Comedy mache. Deshalb ist Repräsentation wichtig und fehlt in der Szene.
Was erwartet ihr vom Publikum und von euren männlichen Kollegen?
Sophia: Ich muss jetzt mal anbringen, dass mir mein Geschlecht in der Szene oft auch hilft. Weil inzwischen viele Comedians den Schuss auch gehört haben und wissen, dass sich was ändern muss. Jetzt ist gerade ein großer Bedarf an weiblichen Comedians da. Viele männliche Comedians trauen sich nicht mehr, eine Show ohne eine Frau aufzustellen. Es gibt aber für den Bedarf eigentlich bisher nicht genug Frauen. Deshalb kommen regelmäßig männliche Show-Hosts auf mich zu und fragen, ob ich Lust auf einen Platz in einer Show habe. Ich muss fast nicht selbst danach suchen. Auch meine Show als Comedy-Host habe ich deshalb bekommen, weil der Manager vom Club gesagt hat: „Wir brauchen mehr junge, weibliche Show-Hosts, hast du Bock?“ Ich glaube, dass gerade viel Umdenken passiert.
Vom Publikum will ich das, was sich jeder davon wünscht: Dass sie wohlwollend sind und im besten Fall lachen. Ich wünsche mir natürlich, dass sie Bock auf weibliche Comedians haben und uns nicht bloß für unser Geschlecht sehen, sondern manchmal einfach auch als körperlosen Block. Ich würde mir wünschen, dass sie große weiblichen Comedians, die das als Beruf machen, auch finanziell unterstützen, dass sie ihre Karten kaufen.
Wie stellt ihr euch die Zukunft der Münchner Comedy-Szene vor? Was muss sich ändern?
Sophia: Toll fände ich es, wenn es mal eine FLINTA-only-Show gäbe. Davon träume ich eigentlich schon, seitdem ich Comedy mache. Ich habe noch keinen Mann in der Szene getroffen, der das Bedürfnis versteht. Aber ich fände es schön, wenn wir mindestens eine Show pro Woche hätten, bei der keine Männer auftreten (dürfen). Solche Orte können dem Zusammenhalt in der Szene total zuträglich sein. Grundsätzlich wäre es natürlich schön, wenn Frauen öfter die Rollen als Show-Hosts und Club-Besitzer:innen übernehmen würden, um auch strukturell Einfluss zu nehmen und nicht bloß auf der Bühne zu stehen.
Tina: Ich sehe es ähnlich wie Sophia. Ich fände es cool, wenn es mehr Frauen in der Szene gäbe. Die FLINTA-only-Show würde daran scheitern, dass es nur sieben Comediennes in der Münchner Szene gibt, und dann hättest du jede Woche das gleiche Line-Up.
Sophia: Mehr weibliche Comedians! Das ist eigentlich das Wichtigste.
Wir danken euch für das Interview!