Petra | 25.06.24
Von ihrem Vater wurde sie einst Olek genannt, weil der sich einen Jungen gewünscht hatte, der ihm beim Schrauben hilft. Heute macht Alex als Mecmoiselle Kunst gegen Genderstereotype – ein Gespräch.
Du bist im Rheinland aufgewachsen, hast Kunst und Englisch in Koblenz studiert – wie bist du auf die Idee gekommen, dich künstlerisch mit Feminismus und Gender-Stereotypen auseinanderzusetzen?
Ich denke, dass es schon immer mein Thema war, ohne dass ich mich „Feministische Künstlerin“ nannte. Retrospektiv war es immer ein Teil von mir. Neulich als ich die alten Studienunterlagen aus dem Elternhaus ausräumen musste, kam mir feministische Fachliteratur in die Hände. Bei Jane Austen wie auch bei Bridget Jones wandte ich im Anglistikstudium den „Feminist Approach“ an. In frühen Fotoserien, noch im Studium, hinterfragte ich die zuhause gelebten klassischen Geschlechterrollen. Und ich malte eine Stilllebenserie mit den Titeln „Frau_01-03“ und „Mann_01-03“, in denen ich für das jeweilige Geschlecht typische Gegenständige und auch meine Farbwahl dementsprechend wählte, um die Stillleben am Ende genau gegensätzlich zu benennen, sprich: Das Whisky-Glas mit Zigarre auf blauem Hintergrund nannte ich Frau_03. Kurzum: Ich denke, dass der Feminismus und Genderrollen schon immer mein Ding waren.
Mein Vater nannte mich als Kind oft „Olek", was die Kurzform für AlexanDER ist, und wünschte sich eigentlich immer einen Jungen, „der ihm beim Schrauben helfen würde“. Ich denke, all das hat mich geprägt. So wurde ich schließlich zu der starken Frau, die ich heute bin. Und heute gebe ich meinem Leben dadurch einen Sinn, dass ich meine Stärke und meine mir verfügbaren Mittel dafür einsetze, um jenen zu helfen, die aus diversen Gründen benachteiligt sind. Sei es durch ihre Geschlechtszuschreibung, sexuelle Orientierung, Herkunft, körperlichen Merkmale, sozialen Status, etc. Ja, das macht mir Spaß! Dadurch gewinne ich noch mehr Stärke.
Du fotografierst, erstellst Collagen, konzipierst Happenings und gestaltest nun sogar Fashion – hast du eine Präferenz für eine dieser künstlerischen Ausdrucksformen? Was ist für dich das jeweils besondere an den unterschiedlichen Ausdrucksformen?
Ja, ich befasse mich gerne mit den unterschiedlichsten Medien. Auch, wenn diese mir zunächst unbekannt sind und ich daher anfangs ziemliche Hürden nehmen muss. Meist stoße ich auf eine Idee, habe eine ziemlich genaue Vision von der Unsetzung und denke mir dann: Okay, verdammt! Wie bekomme ich das realisiert? Ich lasse nicht locker, bis die Arbeit annähernd an meine Vision herankommt.
So brachte ich mir neulich auch das Handrollieren von Seide bei, was natürlich viel aufwändiger und zeitintensiver ist als ein Maschinensaum – aber auch Qualitätsmerkmal von Seidentüchern ist. Der Vorteil: Das Rollieren von Hand verleiht dem luxuriösen Stoff eine nahezu unsichtbare Naht. Es ist auch ein Gegentrend zur heutigen Fast-Fashion, von der wir als Gesellschaft doch ziemlich die Nase voll haben. Hätte mir aber jemand vor fünf Jahren gesagt, ich würde mal am Abend vier Stunden lang an einem Seidentuch nähen, hätte ich der Person einen Vogel gezeigt. Ich zählte mich zu der Generation, die zum Knopfannähen Schneider*innen aufsucht.
Im Prinzip ist mir also zweitrangig, welches Medium ich verwende. Wichtig ist, was es in den Betrachter*innen auslöst. Beim Fotografieren finde ich eine romantische und melancholische Ästhetik sehr anziehend. Auch mit meinen Vulva-Carrés beabsichtige ich neben der Irritation eine sinnliche Wirkung.
Es ist also schwierig, diese Frage zu beantworten. Jedes Medium funktioniert anders und erfordert eine andere Ästhetik. Beispielsweise zeigte ich meine „Silent Voices“ schon auf höchst unterschiedliche Art und Weise. Mal als Gedenktafeln im öffentlichen Raum (2020/21), in einer Ausstellung als Memorial aus Glas (2023) und als neuestes als Billboard-Motiv (2024). Das, was jedoch bestenfalls alle Varianten bei den Betrachter:innen hervorrufen : Ein Nachdenklichstimmen. Ein Innehalten. Aber niemals durch eine Erhobener-Zeigefinger-Ästhetik und nicht verbunden mit einer Schwarz-Weiss-Denke. „Grautöne“ finde ich spannend und vermisse sie in heutigen Denkweisen der Menschen leider viel zu häufig. Haben uns die sozialen Medien und der Überfluss an Nachrichten zu vorschnellen, binären „Gut-und-Böse-Kategorisierer:innen“ gemacht?
Du schreibst, dass Kunst für sich als Selbstzweck zwar genügen kann und wertvoll ist, dass aber eine politische oder private Dimension noch einmal einen speziellen Wert hinzufügen kann. Gibt es auch einen privaten Beweggrund für deine Kunst, den du öffentlich teilen möchtest?
Nun ja, wie bereits schon erwähnt, ist meine Biografie, die Art und Weise, wie ich aufgewachsen bin, samt negativer Ereignisse, Motor für mein künstlerisches Schaffen und verleiht meiner Kunst ihre Authentizität. Es ist auch eine Möglichkeit, Dinge zu verarbeiten und so aus der passiven Opferrolle herauszutreten.
Im Gegensatz dazu scheint mir, dass vieles, was heute auf Instagram „künstlerisch“ produziert wird, irgendwelchen Trends hinterhereifert und so zum leeren Mainstream verkommt. Nur weil es gerade sehr en vogue ist Künstler:in zu sein, finde ich nicht, dass jede, noch am besten sehr gut aussehende, Person, sich mit Leinwand und Farbe bestückt vor die Kamera stellen sollte, um stimmige Farbkompositionen auf Leinwand zu bewerben. Das Ganze im scheinbar lässigen Atelier-Outfit. Das sieht hübsch aus, aber ist es mehr als diese “hübsche” Oberfläche?
Welche Forderungen stellt deine Kunst an die Politik und die Gesellschaft?
Ein Umdenken. Veränderung. In Sachen Gleichstellung und Teilhabe. Als Kind polnischer Einwanderer durften wir damals nur ganz leise Polnisch in der Öffentlichkeit reden. Die Öffentlichkeit akzeptierte damals nur die weiße, deutsche (bürgerliche) traditionelle Kleinfamilie. Alles daneben wurde unsichtbar gemacht. Seither hat sich glücklicherweise so viel getan. Und das haben wir jenen Menschen und Künstler:innen zu verdanken, die sich genau dafür einsetzten, dass das nicht mehr der Fall ist. Egal, welche Form des Ausdrucks sie wählten. Wichtig ist, dass es ankommt. Ich meine, das macht ihr ja auch mit dem BUHH!-Magazin. Euer Journalismus verändert Sichtweisen. Das ist wunderbar! Danke dafür!
Begegnet dir auch Kritik in Form von Ablehnung deiner Kunst?
Aber klar! In München beobachtete ich das Klischeebild eines „alten weißen Mannes“ dabei, wie er eines meiner Anti-Gewalt-an-Frauen-Plakate, sofort nachdem ich es an eine Litfaßsäule angebracht hatte, abriss und etwas mürrisch vor sich her murmelte. Schon bereit, ihn zu konfrontieren, dachte ich im Stillen „Ah, das ist vergeudete Energie. Die sterben eh bald aus“, und fuhr mit meiner Arbeit fort.
Trauriger macht es mich, wenn ich diese Verhaltensmuster bei jüngeren Generationen bemerke. Auch bei teils früheren Freund:innen und Bekannten oder im Random-Gespräch in einer Bar. Oft werde ich belächelt, wenn ich meinem Gegenüber erkläre, was ich als „feministische Künstlerin so mache“. Viele Leute sind genervt vom Mainstream-Feminismus und vom Gendern. Ich kann‘s auch nachvollziehen. Sie befassten sich nie persönlich mit dem Thema und werden nun quasi von der Öffentlichkeit dazu gezwungen, und tun es daher lieber schnell ab. Das ist doch wie, wenn man als Laie auf moderne Kunst trifft und sich nicht auf Anhieb dafür begeistern kann, weil man eben den Weg dorthin nicht versteht. Ist doch klar, dass man folglich das große Ganze nicht immer begreift. Andererseits herrscht heute auch eine überspitzte Radikalität in manchen Bereichen, die Schubladendenken befürwortet. Und das finde ich auch traurig. Das kann es doch nicht gewesen sein, was wir Feminist:innen wollten?
Die künstlerische (und auch dekorative) Darstellung der Vulva ist in den letzten Jahren Trend geworden. Auf Designmärkten werden Bilder feil geboten, es gibt sogar Badelatschen, die "Vulvaletten", die die Vulva in den Mittelpunkt stellen. Wird die Kunst an dieser Stelle inflationär und verliert dadurch an Bedeutung?
Guter Punkt! Manchmal wirkt es geradezu lächerlich. Selbst auf mich! Ich brauche einen größeren Sinn dahinter, es sei denn die reine Ästhetik kann überzeugen. Sonst wirken solche Sachen auf mich einfach nur flach. Meine Vulva Carré Collection könnte vielleicht auch auf den ersten Blick so wirken. Wenn man jedoch erfährt, dass mir die gleichen Vulvamotive zuvor für eine Rauminstallation dienten, um eine begehbare sinnliche Erfahrung zu schaffen – ich es aber nach der Ausstellung schade fand, damit nur im Kunstkontext sichtbar gewesen zu sein –, dann bekommen meine Vulva Carrés hoffentlich in den Augen auch anderer deutlich mehr Tiefe. Ja, ich persönlich stehe auf tieferen Sinn in der Kunst. Nichtsdestotrotz ist die zunehmende Präsenz der Vulva in der Popkultur nur zum Vorteil für uns Frauen. Wir können dadurch an Selbstbewusstsein gewinnen, um mit unserem Geschlechtsorgan normal umzugehen, was bisher nur den Männern vorbehalten war.
Du hast in München bereits ausgestellt. In The Exit Gender Space konnten die Besucher*innen der Ausstellung in andere Geschlechterrollen schlüpfen. Was war dein Eindruck, wie die Menschen den Rollenwechsel fühlten?
Sie liebten es! Auch zu Fasching/Karneval lieben die Leute Crossdressing. Es ist einfach befreiend.
Du lebst seit Kurzem in Berlin – was ist dort die größte Veränderung für dich, was dein Kunstschaffen betrifft?
Witzig ist, in Berlin zu beobachten, dass hier Crossdressing sowas von angesagt ist. Fast jeder Typ ist auf dem zweiten Bild auf jeglicher Dating-App mit Rock, Make-Up und in eher "weiblicher" Pose zu sehen. Das zeigt nur, dass das Bedürfnis danach auch bei männlich-gelesenen Menschen sehr hoch ist. Und in Berlin darf das ausgelebt werden. Gleichwohl scheine ich im postfeministischen Berlin meinen Feind verloren zu haben. Hier verspüre ich eher den Drang, mich wieder stärker den Themen Migration und Identität zu widmen, obwohl meine Vulva Carré Collection in Berlin sehr gut ankommt.
Im Vergleich zu München: Siehst du in Berlin mehr Möglichkeiten, dich künstlerisch auszuprobieren? Gibt es dort mehr Förderung für junge Künstler*innen?
Oh nein, die Förderung ist mager. Die Töpfe klein, und die Nachfrage hoch. Das munkeln Leidensgenoss*innen. Jedoch ist der Spielplatz größer: Mehr kreative Räume und Köpfe bieten mehr Austausch, was auch die Qualität meiner Meinung nach steigert. Berlin ist voller Inspirationsquellen, und selten werden einem Grenzen aufgezeigt. Das kann förderlich sein oder einen auch erschlagen. In München hingegen ist es definitiv einfacher, Sichtbarkeit zu erlangen, da München gegenüber Künstler:innen viel dankbarer ist. Man schmückt sich gerne mit ihnen/uns, und eigentlich kann die Stadt sich das auch leisten. Berlin ist ein hartes Pflaster. Aber ich möchte keine Klischees reproduzieren. Dafür bin ich noch nicht lang genug da.
Bevor ich kam, wurde mir gesagt, dass es sehr schwierig sei, ein Atelier zu finden, geschweige denn ein bezahlbares in der Nähe.
50 min Fahrtweg seien völlig normal. Ich hingegen hatte das Glück, nach 3 Tagen Berlin Mieterin eines wunderschönen Ateliers am Treptower Park zu sein. Vielleicht muss man in Berlin als Künstler*in etwas mehr Glück haben als woanders.
Planst du gerade neue Ausstellungen zum Thema Gender und Feminismus? In welche Richtung wird es bei dir künstlerisch weitergehen?
Hier in der Berliner Blase erscheint das Thema Gender und Feminismus geradezu überholt. Selbst in den Schulen wird gegendert, ohne dabei holprig zu wirken. Gerade bin ich auf eine Idee gestoßen, die wieder mehr dem Bereich „Fashion As Political Statement“ zuzuordnen wäre. Ich möchte stilvolle, hochwertige Vintage-Blazer mit empowernden Schriftzügen neu interpretieren. Die Träger:innen dieser Blazer sollen Teil einer Bewegung gegen Ausgrenzung werden. Diese Modelinie ist gedacht als eine Reaktion auf die kürzlichen politischen Ereignisse, die Abschiebeideologie von Migrant*innen und den zunehmenden Rechtsruck. Hier soll wieder die Straße zum Ausstellungsraum werden. Demokratisch und inklusiv.
Wir danken Dir für das Interview!
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