Petra | 29.01.2025
Celsy Dehnert ist selbstständige Autorin und klärt online über Armutsbetroffenheit und soziale Gerechtigkeit auf. Mit uns hat sie über ihren Aktivismus gesprochen – und darüber, wie ihre eigenen Kindheitserfahrungen in ihr den Wunsch geweckt haben, Missstände aufzudecken und zu bekämpfen.
Foto: Tassja Rother
Erst einmal herzlichen Glückwunsch zu deinem ersten Buch „Das Gefühl von Armut“, das im August letzten Jahres erschienen ist. Wie fühlt sich das an für dich? Denn du teilst ja deine persönliche Geschichte mit den Leser*innen, um (Kinder-)Armut nicht nur zu erklären, sondern aus deinem Beispiel auch politische Forderungen abzuleiten. Fühlt sich das leicht an im Nachhinein oder schwer, jedem und jeder Einblick in dein Leben gegeben zu haben?
Vielen lieben Dank, ihr Lieben! Die Buchveröffentlichung war auf der einen Seite sehr emotional, weil einfach ein Traum wahr geworden ist, den ich seit über 20 Jahren mit mir herumtrage. Und ja, manchmal fühlt sich das schon alles sehr dicht an, wenn ich in Interviews dann sehr persönliche Sachen gefragt werde, eben WEIL ich ja in dem Buch sehr viel von mir preisgebe.
Gleichzeitig habe ich das, was ich preisgebe, ja sehr genau kuratiert. Das bedeutet, es sind ja wirklich nur sehr kleine Ausschnitte aus einem sonst sehr facettenreichen Leben. Es mag also natürlich so wirken, aber niemand, der nur das Buch gelesen hat, kennt mich ja hinterher. Mit dem Buch ist es wie beispielsweise mit Instagram: Man bekommt wirklich nur sehr kleine, sehr bewusst zugeschnittene Häppchen serviert, aber eben auch nur das, von dem ich auch will, dass die anderen es sehen. Entsprechend kann ich mich da auch ganz gut abgrenzen, weil ich weiß, dass die wirklich privaten Sachen eben nicht im Buch stehen.
Wie ist das eigentlich, wann hast du dich der Aufgabe verschrieben, unter anderem über Armutsbetroffenheit aufzuklären? Und wie bist du darauf gekommen?
Ich war 14 Jahre alt, als ich nach einem abermaligen Umzug in meinem Jugendzimmer saß und beschloss, eines Tages für die großen Zeitungen dieses Landes über Kinder und Jugendliche wie mich zu schreiben. Ich wollte über die Gewalt und eben auch all die Benachteiligung und die Ungerechtigkeiten sprechen, die zu meinem Alltag gehörten. Angetrieben von dem Wunsch nach Gerechtigkeit wollte ich all diese Missstände aufdecken, von denen ich naiverweise glaubte, dass die Menschen um mich herum einfach nicht wussten, dass sie passierten. Ich hab es damals zu meiner Lebensaufgabe gemacht, Menschen von Ungerechtigkeiten zu erzählen, weil ich glaubte, sie würden etwas dagegen unternehmen, wenn sie nur davon wüssten. Mein Gerechtigkeitsbestreben hat mich nie losgelassen, obwohl ich in der Zwischenzeit gelernt habe, dass Menschen sehr wohl um viele Ungerechtigkeiten wissen. Sie tun nur nichts dagegen. Es ist also eine mal mehr, mal weniger gesunde Mischung daraus, meinem eigenen Trauma eine sinnstiftende Perspektive zu geben, und der Tatsache, dass man Ungerechtigkeiten auch einfach nicht mehr NICHT sehen kann, wenn man sie einmal vor Augen hatte.
Wie sieht deine Arbeit aus, was machst du alles und wie viel Zeit wendest du dafür auf?
Meine Selbstständigkeit ist unglaublich facettenreich und der Schwerpunkt verändert sich phasenweise. Aktuell bin ich zum Beispiel viel mehr auf Lesungen und Workshops unterwegs als dass ich am Schreibtisch Texte verfasse. Ich schreibe nämlich nicht nur, sondern entwickle auf Lesungen und Workshops konkrete Ideen mit den Anwesenden, wie wir soziale Gerechtigkeit erreichen und Armut bekämpfen können. So schule ich diesen Monat zum Beispiel Kita-Fachkräfte und Sozialarbeitende zu armutssensiblem Handeln in der Kita und der Jugendarbeit.
Wenn ich am Schreibtisch sitze, dann schreibe ich Texte. Zu Armut und zu sozialer Gerechtigkeit, zu tagespolitischen Themen – entweder für meine eigenen Plattformen auf Steady und Insta oder für Medien wie die Süddeutsche Zeitung. Ich arbeite beispielsweise aktuell aber auch an Romanideen. Und als Fachautorin für beispielsweise Familien- und Nachhaltigkeitsthemen für Unternehmenskunden. Die Selbstständigkeit ist seit 8,5 Jahren mein Haupterwerb – ich arbeite circa 25 bis 30 Stunden, so lange die Kinder in der Schule sind.
Dein Instagram-Account wächst beständig – die Kommentare unter deinen Postings sind vielfältig und größtenteils von wertschätzender Kommunikation. Was denkst du, erreichst du auch die „Reichen“ oder die politischen „Entscheider*innen“, die etwas an der Situation vieler armutsbetroffener Menschen ändern könnten?
Ich weiß, dass ein großer Teil meiner Followerschaft tatsächlich aus einem sozioökonomisch gehobenen Milieu kommt, da ist also durchaus Geld und auch Einfluss. Und mittlerweile ist mein Netzwerk auch relativ groß, es lesen einige Bundespolitiker*innen und Beschäftigte aus Ministerien bei mir mit. Eins meiner Bücher wurde sogar aus der amerikanischen Botschaft heraus bestellt. Ich glaube also schon, dass meine Inhalte da ankommen, wo sie gebraucht werden. Die entsprechenden Personen müssen nur noch Konsequenzen aus dem ziehen, was sie bei mir lernen.
Könntest du dir vorstellen, auch selbst (partei-)politisch oder institutionell aktiv zu werden, um noch mehr erreichen zu können?
Ich bin parteipolitisch und auf kommunaler Ebene überparteilich politisch aktiv, seit mittlerweile fast sechs Jahren. Gerade weil politische Arbeit an der Basis immer ehrenamtlich passiert, rufe ich auf Instagram auch immer wieder dazu auf, sich vor Ort zu engagieren. Allerdings habe ich aktuell keine Ambitionen, ein Mandat auf Landes- oder Bundesebene zu übernehmen. Ich bin Aktivistin für Gerechtigkeit durch und durch, keine Politikerin. Auch wenn ich fest daran glaube, dass Demokratie von Interessenausgleich lebt, mag ich in meinem Aktivismus keine Kompromisse machen müssen. Es braucht radikale Stimmen wie meine, um etwas zu bewegen.
Und trotz der Vernachlässigung durch deine Eltern hast du es geschafft, dich zu bilden, beruflich Fuß zu fassen und - hier ein bewunderndes Lob - so präzise auf den Punkt Missstände anzuprangern und gangbare Lösungswege instagramkonsumierbar zu formulieren. Denkst du manchmal auch, dass du dadurch, dass du komplett auf dich gestellt warst, eine Art „Biss“ entwickelt hast, allen Widerständen zu trotzen und sie zu überwinden?
Ich hatte einfach Glück. Denn meine Resilienz und meine Talente hätten mir nicht, aber so rein gar nichts gebracht, wenn ich nicht in der 10. Klasse meinen heutigen Mann kennengelernt hätte und meine Schwiegermutter mich nicht unter ihre Fittiche genommen hätte. Wir tun als Gesellschaft gern so, als ob es eine Entscheidung von Betroffenen wäre, an unterdrückenden Zuständen zu wachsen oder zu zerbrechen. Aber die Wahrheit ist: Diejenigen von uns, die es „raus“ oder „trotzdem“ schaffen, sind nicht stärker oder ehrgeiziger oder so, sondern hatten einfach nur das Glück, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Menschen an ihrer Seite gehabt zu haben.
Was würdest du sagen, hat dir als Kind am meisten gefehlt für deine Entwicklung?
Geld. Was gefehlt hat, war finanzielle Stabilität. Und ein Umfeld, das zugegeben hätte, dass es eben nicht an meinem Unvermögen lag, gewisse Dinge zu erreichen, sondern dass ich strukturell benachteiligt wurde.
Fühlst du dich heute, als erwachsene Frau und Mutter, freier als damals, auch gedanklich? Oder holt dich die erlebte Armut im Alltag noch heute ein?
Armut holt dich immer wieder ein. Armut prägt. Ich werde nie das gleiche, unbeschwerte Verhältnis zu Geld haben, das Menschen haben, die Armut nicht kennen. In meinem Buch schreibe ich über das sogenannte Katastrophengefühl. Das Katastrophengefühl ist ein Klassengefühl. Es ist das Gefühl, dass jederzeit und an jedem Punkt meines Lebens der absolute Unglücksfall eintreten kann. Wobei sich Unglücksfall vor allem darüber definiert, dass am Ende der Katastrophe ein leeres Konto steht. Das Katastrophengefühl ist das Warten darauf, dass die nächste Katastrophe passiert und das wohlgeordnete Leben unter unseren Füßen weggerissen wird. Dieses Gefühl begleitet mich – immer. Es gibt nicht umsonst zahlreiche wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Armut psychische Erkrankungen stark begünstigt.
Zu guter Letzt: Wie geht es für dich weiter? Hast du einen Plan, was du als nächstes machen möchtest?
In meinem Kalender stehen für das erste Quartal 2025 schon relativ viele Lesungen, auf die ich mich unglaublich freue. Ich will – gerade im Lichte der vorgezogenen Bundestagswahlen – mit so vielen Menschen wie möglich ins Gespräch kommen und an Lösungen für eine sozial gerechtere Gesellschaft arbeiten.
Ansonsten möchte ich mich aufs Bücher machen konzentrieren. Ich wollte zuallererst immer Autorin sein, noch bevor ich Aktivistin wurde. Für mich ist es jetzt Zeit, andere Geschichten zu erzählen als meine eigene. Der Kern meiner Arbeit war immer und wird immer sein, Menschen zu zeigen, dass sie mit ihrer Art, die Welt wahrzunehmen, nicht allein sind. Ich möchte 2025 gern Geschichten erzählen, die Menschen genau das schenken – einen Ort, an dem sie sich sicher und gesehen fühlen können, wenn die Realität da draußen zu laut und zu kalt ist.
Ich wünsche dir auf jeden Fall im Namen des gesamten Buuh!-Teams alles nur erdenklich Gute! Und allen da draußen: Lest das Buch!
Mehr zu Celsy Dehnerts Arbeit findet Ihr hier.