Jungfernhäutchenrezension

Das Jungfernhäutchen gibt es nicht - eine Heftrezension

Laura | 18.08.2021

 TW: Erwähnung von sexueller Gewalt, weiblicher Unterdrückung



Bei der BUUH! geht es in diesem Monat rund um die Themen Liebe, Sex und Partnerschaft. Spannende Themen, die viele Facetten innehaben und zugleich doch sehr intim und individuell ablaufen. Kann ich mich doch noch gut dran erinnern, wie ich in der fünften Klasse mit puterrrotem Kopf vor Scham vor der ganzen Klasse S-E-X und V-A-G-I-N-A sagen musste. Dabei ist sexuelle Bildung essentiell für dieses Thema. Gerade Sex und Partnerschaft beruhen viel auf Kommunikation und dem Wissen über den eigenen Körper.

Aus diesem Grund schreiben Oliwia Hälterlein und Aisha Franz in einem “breitbeinigen Heft” des Maro Verlags über den weiblichen Körper. Genauer gesagt beschäftigt sich Das Jungfernhäutchen gibt es nicht mit den Mythen der Jungfräulichkeit. Sie sprechen über Anatomie, patriarchal-konservative Anforderungen an die Körper junger Frauen*, die auf Irrtümern beruhen und die schrecklichen Konsequenzen, die so manche Frau aufgrund dessen erleiden muss.


Das Jungfernhäutchen gibt es nicht ist Teil der MaroHefte des Maro-Verlags. Anknüpfend an eine Tradition der TollenHefte, die im Jahr 2018 beendet wurde, gibt es nun viermal jährlich eine Heftausgabe, die sich mit besonderen Themen auseinandersetzt. “Populär-Relevantes, Abseitiges, Grundlegendes, Absurdes oder Tabubehaftetes.”, wie der Verlag die Themen selbst beschreibt. Wir von der BUUH! hatten die große Ehre, eines der schön illustrierten Exemplare zu lesen. Aisha Franz ist freischaffende Comicautorin und Illustratorin, die dem Heft sein buntes und detailliertes Aussehen verliehen hat. Oliwia Hälterlein gibt Workshops und Aktionswochen zu sexueller Bildung und feministischer Pornographie, was die Kulturwissenschaftlerin und Dramaturgin perfekt für diese Ausgabe des MaroHefts macht.


Auf den ersten Blick macht das Heft gute Laune.
Beim Durchblättern springen mir gleich die bunten Illustrationen ins Auge, die die gesamte Gestaltung sehr ansprechend machen. Gut gefällt mir auch das kleine Plakat, das Aisha zusätzlich gestaltet hat und das mir sofort in die Hände fällt. 


Wie die meisten Themen umfasst das Jungfernhäutchen mehr als es auf den ersten Blick scheint.
Rein anatomisch gesehen ist das Jungfernhäutchen keine Frischhaltefolie, die den Eingang der Vagina verschließt und somit die “Reinheit” des weiblichen Körpers gewährleistet, sondern eine kranzförmige Ansammlung an Schleimhautfalten, die ein bis zwei Zentimeter hinter dem Vaginaeingang angesiedelt ist. Die genaue Beschreibung dieser Schleimhautfalten ist der Einstieg in das Thema des Jungfernhäutchens. Wie verändert sich dieser Teil der weiblichen Anatomie im Laufe verschiedener Entwicklungsstadien? Und hat das Hymen überhaupt eine Funktion? Die beiden Autorinnen nähern sich über eine biologische Ausführung an die verschiedenen Irrtümer und Mythen an, die sich im Laufe der Geschichte um das Jungfernhäutchen gebildet haben. Sie gehen beispielsweise darauf ein, wie im Zuge der Beweissammlung in Vergewaltigungsfällen das Hymen untersucht wird, obwohl eine oder auch keine Verletzung nicht beantworten kann, ob zuvor einvernehmlicher Sex stattgefunden hat. Spricht mensch vom Jungfernhäutchen, steht der weibliche Körper im Fokus. In der Auseinandersetzung mit diesem als tabufreie und entsexualisierte Zone werden die problematischen Bezeichnungen der weiblichen Anatomie in den Diskurs gestellt. Begriffe wie “Scheide” reduzieren dieses Geschlechtsteil darauf, das Gegenstück zum männlichen Schwert zu sein. Zudem ist das Gespräch um die weiblichen Genitalien heteronormativ motiviert, was Transpersonen, nicht-binäre und intersexuelle Menschen bereits ausschließt.

Direkt auf der Hand liegt natürlich auch die Verknüpfung ,,Jungfernhäutchen” und ,,erstes Mal”. Diese Annahme gibt die sehr einseitige Auffassung von Sexualität wieder, die den Blick auf die männliche und heterosexuelle Lust lenkt. Zugleich wird dabei ein Narrativ weiterbespielt, das darstellt, wie die Frau durch die Berührung des Mannes “unrein” wird und sie Sex nur über sich ergehen lässt, zum Vergnügen des Mannes, weil sie sich nach wahrer Liebe sehnt. Spricht mensch also über das Jungfernhäutchen, werden dabei häufig heteronormative Geschlechterklischees impliziert, die Oliwia und Aisha mit ihrem Heft ausräumen wollen. Sehr ausführlich schreiben sie darüber, wie wir über Sex sprechen und welche Erwartungen wir damit verbinden. Es geht um Stereotype, die einen sexuell unerfahrenen Mann als schlecht darstellen und eine “unberührte” Frau als begehrenswert. Die Mutter all dieser Frauen ist dabei die Heilige Mutter Gottes, Maria. Das Motiv der unbefleckten Empfängnis holt nicht nur den Glauben und die Kirche mit ins Boot, sondern auch die Familie. In verschiedenen Kulturen ist “das erste Mal” Familiensache. Der Druck, der dadurch auf junge Frauen ausgeübt wird, dass sie ”unberührt” in die Ehe gehen müssen, äußert sich auch darin, dass es Operationen wie “Hymenalrekonstruktionen” gibt, die den Vaginaeingang verengen und ein tatsächliches Jungfernhäutchen entstehen lassen, das um eine Blutkapsel ergänzt werden kann. Dieser kleine Abriss über das “Jungfernhäutchen” beschreibt sehr einfach die Problematiken, die durch diese Narrative und ihre Folgen etabliert wurden und die im schlimmsten Fall sogar tödlich für Frauen enden können. Oliwia und Aisha fordern zum Schluss alle Mediziner:innen, Eltern, Lehrer:innen und alle anderen Menschen dazu auf, ihr Umfeld über die fälschliche Darstellung des Hymens aufzuklären, da es dabei nicht nur um Biologie und Anatomie geht, sondern auch um gesellschaftliche Erwartungen, Genderstereotype und weibliche Unterdrückung. Und ich persönlich kann den beiden dabei nur zustimmen.


Alles in allem ist diese Ausgabe des MaroHefts sehr empfehlens- und lesenswert. Auf wenigen Seiten beschreiben und illustrieren Oliwia und Aisha sehr detailliert und reflektiert Mythen und Umgangsformen mit dem “Jungfernhäutchen”. Dabei sind sie nicht nur allein darauf fokussiert, sondern spiegeln auch wider, wie die Wahrnehmung von Sexualität und Körpern sich verändern kann, wenn solche Konzepte aufgebrochen und erklärt werden.


Oliwia Hälterlein, Aisha Franz:
Das Jungfernhäutchen gibt es nicht. Ein breitbeiniges Heft. MaroHeft #2, 52 Seiten, ISBN 978-3-87512-617-4, erhältlich bei Maro, 18€.

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