kochkraft

5 Dinge, die ich mir für die Musikindustrie wünsche

von Nicki Frenking / Kochkraft durch KMA | 11.01.2023


1) Keine Mails von Spotify


Ok, seien wir ehrlich: Sehr, sehr wenige Künstler*innen verdienen ernsthaftes Geld mit Streams. Für eine Millionen Streams bei Spotify bekommt man als Solokünstlerin, die 100% aller Rechte hält, nicht mal 3.000€. Und eine Millionen Streams ist schon eine ganze Menge. Dass man damit nichts verdient ist seit ein paar Jahren nun mal so, und Musik deshalb nicht bei Spotify zu veröffentlichen ist eben auch keine Lösung.

Wenn ich mir aber was von Spotify wünsche, dann bitte, dass ich nicht mehr die monatliche Mail mit den zynischen Worten „Your October/September/April was full of high notes!“ bekomme, in der mir dann nochmal gezeigt wird, dass ich durch Streams im letzten Monat einen Anteil von 12,5% von traurigen 22,67€ bekomme. Danke Spotify, nicht dafür hab ichs gemacht!



2) Mehr FLINTA+-Personen auf und hinter den Bühnen


Das Thema ist eigentlich kein neues mehr, leider ändert sich trotzdem insbesondere in Deutschland sehr wenig. Erhebungen vom deutschen Kulturrat und Keychange zeigen auf, wie schwerwiegend die strukturelle Diskriminierung von FLINTA+-Personen in der Musikindustrie sind. (Anmerkung: die meisten Zahlen wurden für cis-Frauen erhoben, es fehlen weiterhin wichtige Daten für geschlechtliche Minderheiten)

  • Bei 75 % der Musikunternehmen haben ausschließlich Männer die Führung inne.
  • Bei 15 % der Musikunternehmen ist die Besetzung der Führungsetage gemischt.
  • 10 % der Musikunternehmen werden ausschließlich von Frauen geführt.
  • FLINTA+-Musiker*innen haben im Durchschnitt ein circa 25 % geringeres Einkommen als versicherte männliche Musiker*innen.
  • Der Frauenanteil auf den größeren kommerziellen Festivals in Deutschland war laut einer Zählung von MusicNRWwomen* in den Jahren 2019 bis 2021 in aller Regel unter 20 %.


Gründe dafür, dass FLINTA+-Personen in der Musikindustrie weniger sichtbar sind, sind ein Zusammenspiel aus sexistischen Stereotypen, die nach wie vor existieren, männliche Netzwerke, die eine Vetternwirtschaft betreiben und eine fehlende Risikobereitschaft von altbewährtem abzurücken.

Dabei sind beispielsweise Festivalshows oft nicht das Resultat einer Karriere, sondern Teil ihres Beginns und die Chance vor einem großen Publikum zu spielen und dadurch bekannt zu werden. Wenn nicht die Möglichkeit besteht zum Beispiel einen frühen Slot auf einem großen Festival zu spielen, kann man auch gar nicht erst die vielen Herzen der Besucher*innen erobern. Und ohne erste Festivalshows keine Erfahrung, kein Selbstvertrauen, keine Möglichkeit zu lernen und vor allem auch keine Referenzen und Connections, die für andere Festivalshows wichtig wären. Ein Teufelskreis. Und ohne auf Bühnen sichtbare FLINTA+-Personen gibt es dann wiederum keine Role Models für andere FLINTA+-Personen und so reproduzieren sich die Strukturen immer wieder. 

Weil es aber ja langweilig ist, immer die gleichen Erzählungen und Sichtweisen, die gleichen Bands und Künstler*innen zu hören, wünsche ich mir für eine bunte, kreative, vielfältige Musikwelt Chancengleichheit und mehr Sichtbarkeit für FLINTA+-Personen! (Übrigens hat Kochkraft durch KMA gemeinsam mit dem feministischen Label den Sampler „Cock am Ring“ initiiert, um darauf aufmerksam zu machen, dass es wirklich SEHR viele geniale FLINTA+-Musiker*innen gibt!)

Foto: Nicki Frenking

3) Ehrlichkeit


Alle um mich herum - Musiker*innen, Produzent*innen, Songwriter*innen oder sonstige kreative Menschen - arbeiten wahnsinnig viel um ihre Ziele zu erreichen. Mehr Arbeit steht oft genug für mehr Erfolg, mehr Projekte, mehr Insta-Posts, mehr Likes, mehr Happiness… also arbeiten die meisten sehr, sehr hart und die wenigsten sprechen dabei über ihre Zweifel, ihre Misserfolge und über die Konzerte, die so gar nicht gut liefen. Über die völlig unproduktiven Tage, an denen keine Ideen kamen, oder Netflix tausend mal spannender war als Ableton Live. Und natürlich gibt es die Momente, in denen ich denke: „Puh, ehrlich gesagt habe ich heute nur langweilige Musik geschrieben."

Weil ich glaube, dass es noch mehr meiner Freund*innen so geht: ich wünsche mir, dass wir da alle ehrlich drüber sprechen können!



4) Gerechte Förderung unabhängig vom Musikstil


In Deutschland wird Kunst und Kultur zum Glück staatlich unterstützt. Das ist wirklich eine tolle Errungenschaft und ich finde diese Förderung großartig. Leider gibt es die seltsame Unterscheidung in U- und E-Musik und die wiederum wirkt sich darauf aus, wer welche Förderung bekommt.

Dazu folgende Beispiele:


  • Mitglieder eines klassischen staatlichen Orchesters sind fest angestellt mit Möglichkeit auf Verbeamtung und Bruttogehältern zwischen 3.000€ und 5.000€. 
  • Ein Opernbesuch kostet durchschnittlich 40€, wird aber pro Karte mit 210€ staatlicher Subvention unterstützt. 
  • Im Bereich der Popularmusik werden immer mal wieder Projektförderungen ausgeschrieben auf die man sich als Künstler*in oder Band relativ aufwändig bewerben kann (natürlich ohne Erfolgsgarantie). Bei dieser Projektförderung muss man dann selbst einen Eigenanteil zwischen 10 und 50% tragen, kann aber beispielsweise die restlichen 50-90% der Kosten einer Albumproduktion oder Tourausgaben bezahlen. Dabei darf man aber nur eigene Kosten und Ausgaben decken, nicht aber sich selbst eine Gage bezahlen.


Etwas vereinfacht heißt das, dass klassische Musik in Deutschland fast vollständig staatlich bezahlt ist, während die freien Akteur*innen der Popmusik (und allem was hier weitestgehend dazu gezählt wird) finanziell auf eigenen  (privaten) Beinen stehen müssen und im freien Markt agieren und dabei in Konkurrenz zu allen anderen Kulturveranstaltungen stehen. Sie können sich zwar immer wieder von Teilstipendium zu Förderantrag hangeln, aber ohne jemals Sicherheit zu haben, dass sie mit ihren Bewerbungen Erfolg haben und ohne dass sie jemals davon selbst leben könnten. 


Ich will natürlich wirklich nicht den vielen staatlichen Orchestern ihr Existenzrecht absprechen und freue mich, dass Deutschland so eine hohe Dichte an Opern- und klassischen Konzerthäusern hat, aber selbst der Opernintendant Karsten Wiegand sagt: „Natürlich ist das Fördersystem nicht gerecht“. Ähm. Das würde ich mir aber eigentlich schon wünschen! 


5) Geht zu Live-Konzerten!


Die Live-Branche hat bekanntermaßen unter der Corona-Zeit stark gelitten. Das führt auch jetzt noch zu einer unguten Dynamik: Viele Besucher*innen wollen verständlicherweise ihre Tickets erst an der Abendkasse kaufen, weil so oft Events wegen Corona-Erkrankungen doch noch spontan abgesagt und verschoben werden. Veranstalter*innen und Künstler*innen müssen dann ihrerseits wiederum Veranstaltungen absagen, weil die Vorverkaufszahlen so niedrig sind, dass das finanzielle Risiko größer bis untragbar wird. 

Hinzu kommt, dass sich viele in zwei Jahren Corona-Pandemie an ein Leben gewöhnt haben, das mehr zuhause und weniger in Kulturräumen stattfindet. Außerdem sorgen Inflation und nachvollziehbare Sorgen vor der nächsten Nebenkostenabrechnung nicht unbedingt für Feierlaune. Insbesondere letzteres bedeutet natürlich wirklich für einige, dass sie sich schlicht und einfach Kulturveranstaltungen aktuell nicht leisten können. 

Nichtsdestotrotz möchte ich mir hier umso mehr wünschen, dass jede Menge Menschen auf Konzerte gehen! Einfach weil Live-Konzerte unvergessliche Abende sind und die Gelegenheit etwas völlig einzigartiges zu erleben. Ein Erlebnis, das so nicht zu streamen oder auf Instagram zu erleben ist. Die Möglichkeit gemeinsam mit anderen Teil eines Abends, einer Szene und einer Community zu sein und diesen einen Abend zusammen mit anderen Menschen zu erleben und zu zelebrieren. 

Das für mich schönste Beispiel war ein Konzert von Coldplay im Berliner Olympiastadion. Allerspätestens bei „Fix You“ hatten alle um mich herum Tränen in den Augen (mich natürlich eingeschlossen) und haben gemeinsam gesungen, egal wer sie waren und woher sie kamen. 

Auch Konzerte von Kochkraft durch KMA sind tatsächlich immer einmalige Interaktionen zwischen den einzelnen Menschen im Publikum und der Band auf der Bühne, egal wie viele Leute gekommen sind. Kein Abend ist da gleich, außer dass es immer die halb-therapeutische Gelegenheit ist mal alle Energie, Wut und Stress rauszutanzen. Und das wiederum kann ja vielleicht auch dabei helfen durch den kommenden Winter zu kommen. 

Share by: