Linksrutsch

Wo Linksrutsch?! - Ein Überblick über das politische Klima im Herbst

Karla | 05.11.2021


Vor der Bundestagswahl im September war sie auf einmal überall: die Drohung vom herannahenden Linksrutsch. CDU-Generalsekretär Jan Zimmer warnte: „Eine Stimme für die FDP ist eine Stimme für den Linksrutsch.” Ministerin Julia Klöckner behauptete: „Wer Annalena Baerbock wählt, bekommt die Linkspartei”, und Bild Live-Chef Claus Strunz verwirrte mit der Aussage, wer die AfD wähle, bekomme Rot-Rot-Grün. Besonders CDU/CSU machten sich die Angst vor einem Linksrutsch im Wahlkampf zunutze und bewiesen mit einer Neuauflage der „Rote-Socken-Kampagne” ihre blanke Verzweiflung und einen ziemlichen Mangel an Stil. Aber haben sich die Drohungen bewahrheitet? Steht Deutschland kurz vor einer kommunistischen Revolution?

Hier ein kleiner Recap.

14. September

Die rechtsextremistische Partei „Der Dritte Weg” fällt mit ihren Wahlplakaten in Sachsen unangenehm auf. Die Parole „Hängt die Grünen!” scheint wohl nicht allen zu gefallen – außer dem Verwaltungsgericht Chemnitz. Das entscheidet nämlich, dass die Plakate erstmal bleiben dürfen. Es sei ja schließlich nicht ganz klar, was damit gemeint sei.

26. September

Bei der Bundestagswahl wird die AfD in Sachsen stärkste Kraft und landet sowohl in Brandenburg als auch in Mecklenburg-Vorpommern auf Platz zwei. Die Linke hingegen dümpelt unter der 5-Prozent-Hürde herum und darf nur über Direktmandate in den Bundestag einziehen. Die Mehrheit der Erstwähler:innen entscheidet sich für die FDP und damit, wenn man Rechtskonservativen glauben kann, sozusagen für den Sozialismus.

Naja – so weit, so rechts. Aber vielleicht bringt ja der Oktober nicht nur Regen und Wind, sondern auch den versprochenen Linksrutsch? Schauen wir mal.

15. Oktober

Die Ampelparteien zeigen mit ihrem Sondierungspapier wahren Mut zur Veränderung. Kein Tempolimit, keine Vermögenssteuer, Festhalten an der Schuldenbremse. Was Kritiker:innen vielleicht als den wahr gewordenen feuchten Traum Christian Lindners bezeichnen würden, ist in Wahrheit natürlich ein Bekenntnis zu linker und sozialer Politik, das zeigt ja schon die angekündigte Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Also, wenn das keine ausufernden Sozialleistungen sind, dann weiß ich auch nicht!

Spaß beiseite – einen Linksrutsch sucht man hier ebenfalls vergeblich.

18. Oktober

Die Autorin Jasmina Kuhnke kündigt auf Twitter ihren Boykott der Frankfurter Buchmesse an, nachdem sie erfährt, dass dort auch der Verlag eines rechtsextremen Aktivisten zugegen sein wird, der in der Vergangenheit bereits ihre Abschiebung forderte. Aufgrund von rassistischen Anfeindungen ist die Veranstaltung für sie nicht sicher. Das Statement der Buchmesse dazu: „Meinungs- und Publikationsfreiheit stehen für uns an erster Stelle”. Naja, hauptsache die Nazis fühlen sich wohl.

24. Oktober. Die Polizei greift rund 50 Rechtsextreme auf, die an der deutsch-polnischen Grenze patroullieren. Die Verdächtigen waren einem Aufruf der Partei „Der Dritte Weg” gefolgt und hatten mit Pfefferspray, Schlagstöcken und einer Machete bewaffnet versucht, etwaige Asylsuchende am Übertreten der Grenze nach Deutschland zu hindern. Ich würde sagen, diese Nachricht spricht für sich.

26. Oktober

Laut einem Bericht des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) hat die Zahl der Verdachtsfälle wegen Rechtsextremismus in den Reihen der Streitkräfte stark zugenommen. Aber das ist natürlich NICHTS gegen folgende Nachricht: Bei der Berliner Polizei arbeitete offenbar monatelang ein Linksextremist als Hausmeister. Dieser wurde auf dem Polizeigelände beim Drogenkonsum erwischt und anschließend entlarvt. Na also, da haben wir doch unseren Linksrutsch! Rechtsextreme Bundeswehrsoldaten, die Munition horten, sind eine Sache – aber Drogenkonsum geht eindeutig zu weit! Und jede:r weiß, wenn die Linken eine Sache gut können, dann kiffen.

27. Oktober

Die Ereignisse überschlagen sich. Im Hamburger Schanzenviertel wird von Unbekannten zum dritten Mal der Schriftzug „Andy, du bist so 1 Pimmel” an eine Plakatwand gesprüht, nachdem die Polizei diesen schon zweimal übermalt hatte. Zuvor hatten Polizeibeamte die Wohnung eines Twitternutzers durchsucht, nachdem dieser Hamburgs Innensenator Andy Grote als Pimmel bezeichnete. Man fragt sich: Was planen die Linksautonomen als nächstes? Malen sie womöglich noch einen Pimmel dazu? Es bleibt spannend.

Am selben Tag wird bekannt, dass die Ampelkoalition plant, die angekündigte Aufstockung der Armee zu stoppen. Die CSU twittert dazu: „Der Linksrutsch beginnt.” Wahrhaftig, bei diesen Nachrichten hat man bereits die Hymne der Sowjetunion im Ohr. Wenn Olaf Scholz dann mit Antritt des Kanzleramts die Einführung der Planwirtschaft verkündet, ist es wohl vollends geschehen.

Aber erstmal zurück zu den Tatsachen.

28. Oktober. Es wird Anklage gegen einen 53-jährigen Mann erhoben, der über hundert Drohschreiben im Namen des „NSU 2.0” verschickt haben soll. Die Briefe, die sich unter anderem an Bundestagsabgeordnete und Aktivistinnen richteten, beinhalteten Morddrohungen und rechtsextreme Parolen.

Aber Moment, das passt mir jetzt nicht so ganz ins Narrativ. Wir wollen hier doch einen Linksrutsch nachweisen. Bitteschön: am selben Tag wird die Rotbuche zum Baum des Jahres 2022 gewählt. Die ROTBuche?! Da haben die Kommunist:innen doch bestimmt wieder ihre Finger drin.

Also, liebe Genossinnen und Genossen, es war ein wahrhaft Roter Oktober. Und solange wir die patrouillierenden Faschisten einfach ignorieren, können wir uns auch weiter einbilden, dass hier ein Linksrutsch stattgefunden hat. Den würde ich uns allen nämlich wirklich wünschen.

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