Wieso die italienische Mafia nichts mit der romantisierten Vorstellung des organisierten Verbrechens in unseren Köpfen zu tun hat
Laura | 10.06.2021
“Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann.” Das wohl berühmteste Filmzitat seit James Bond, Al Pacino als Don Corleone, der berüchtigte Mafiaboss mit genügend Gaunerehre, um vor zu schmutzigen Geschäften Halt zu machen. Die Figur Pacinos war an den berühmten Mafia Boss Vito Cascio Ferro angelehnt, der Sizilien auf der Flucht vor der Polizei verließ, um dann in New York sein Unwesen zu treiben. Doch Hollywoodkino und die romantische Vorstellung strukturellen Verbrechens sind weit entfernt von der Realität.
Doch wie sieht die Mafia in der Realität aus?
Ihren Ursprung hat die Mafia vermutlich in Sizilien, doch mit der Zeit hat sie sich über alle süditalienischen Gegenden verbreitet.
Das bekannteste Syndikat ist die Cosa Nostra in Sizilien. Streng hierarchisch aufgebaut, an der Spitze der Capo dei Capo - der Boss aller Bosse. Die Cosa Nostra kann an die 5000 Mitglieder vorweisen, die kräftig ihre Haupteinnahmequelle, nämlich die Schutzgelderpressung, antreiben. Seit Anfang der 60er Jahre gehört auch Waffen- und Drogenhandel, sowie Schmuggel zum Tagesgeschäft. Aufgrund mehrerer Mordanschläge an hochrangigen Politikern ist die ehemals führende Cosa Nostra immer noch das am stärksten überwachte Syndikat Italiens.
Mittlerweile hat die kalabrische 'Ndrangheta der Cosa Nostra den Rang abgelaufen und ist somit die nicht nur einflussreichste und mächtigste, sondern auch reichste Organisation der Welt. Im Gegensatz zur sizilianischen Mafia sind diese als loses Netzwerk verschiedener Familien organisiert, wobei auch sie ihr Vermögen durch Drogen- und Waffenhandel sowie Schutzgelderpressung erlangt haben.
Die Camorra, auch bekannt als “das System” handelt in Neapel und Kampanien. Sie besteht aus verschiedenen Bündnissen, die sich ständig gegenseitig aufgrund von Geld und Macht bekriegen. Dennoch schaffen sie es dabei, den Bau von Müllverbrennungsanlagen zu verhindern, um ihren Einfluss auf bereits bestehende Mülldeponien nicht zu verlieren oder zu verringern. Neben dieser Haupteinnahmequelle geht es bei der Camorra vor allem um Markenfälschung, Waffenhandel und Bauwirtschaft.
In Apulien herrscht das momentan jüngste und kleinste (ca. 1800 Mitglieder) Syndikat Sacra Corona Unita. Sie arbeiten eng mit dem organisierten Verbrechen in Osteuropa zusammen, weshalb sie ihr Vermögen vor allem durch Drogenhandel, Zwangsprostitution und Einschleusung illegaler Einwandernden, vor allem aus Osteuropa, scheffeln.
In Italien spricht niemand über die Mafia und ihre Machenschaften: Es wird der Mantel des Schweigens darüber gelegt, es handelt sich um ein unausgesprochenes Gesetz, genannt Omertá. die organisierte Kriminalität ist kein Zuckerschlecken oder einfaches Business, sondern baut auf der Ausbeutung und Kriminalisierung anderer auf. Und da diese Tatsachen den meisten Leuten trotz der Pate I-III mittlerweile bewusst sind, sind die Syndikate gezwungen mit der Zeit zu gehen und ihr Image aufzupolieren. Das Mittel ihrer Wahl: TikTok. Klingt wie ein Scherz, ist aber bittere Wahrheit. Videos mit verschiedenen Inhalten, bunten Emojis und Popmusik sollen nun schaffen, was der Pate vorgemacht hat. Die Mafia ist cool, bunt und hip und vor allem ist es erstrebenswert, ein Teil davon zu sein. Die Inhalte der Videos unterscheiden sich. Auf der einen Seite gibt es welche, die Macht demonstrieren sollen, die zeigen, wer in der Stadt das Sagen hat. Auf der anderen Seite gibt es auch noch solche, die Glamour und Luxus implizieren. Videos von großen Autos, schicken Wohnungen und teurer Kleidung.
Dass die Mafia TikTok für ihre Zwecke nutzt, ist kein Zufall. Auf der einen Seite ist die Inszenierung des Luxus und des Reichtums natürlich praktisch. Die bunten Videos enthalten nicht nur Prahlereien, sondern auch italienische Schlager über Familie und Ehre, also Werte, die die Mafia seit jeher vertritt. Doch auf der anderen Seite ist das natürlich nicht alles. Ihren Einfluss konnte die Mafia über all diese Jahrzehnte nur halten, weil sie mit der Zeit geht. Klingt absolut sinnvoll mit dem Hintergrund, dass TikTok im Moment das Soziale Netzwerk mit dem größten Zuwachs ist. Es wird ein erstrebenswerter Lebensstil inszeniert. Gefängnisentlassungen und Wiedersehen werden zu tollen Events, es gibt Videos, in denen Verurteilte sich die Fußfessel entfernen und Leute, die sich damit aufplustern, viel Geld von der Mafia für einfache Jobs zu bekommen. Doch diese Darstellungsweise ist gefährlich. Sie lässt das organisierte Verbrechen nahbar erscheinen und sie machen die Strukturen für junge Menschen, auch Minderjährige, zugänglich, in dem sie Likes von ihnen sammeln. Die Präsenz der Mafia auf dieser Plattform macht es für Behörden schwer. Gegen Prahlereien mit Autos, Wohnung und sonstigem Luxus lässt sich rechtlich nicht vorgehen, während die Mafia so weiterhin demonstriert, dass der Staat ihnen nichts kann.
Der Prozess gegen die N'drangheta
TikTok täuscht leicht darüber hinweg, wie gefährlich das organisierte Verbrechen wirklich ist. Somit ist die Plattform wohl das, was der Pate in den 70ern war. Der Grund, warum wir das organisierte Verbrechen in unseren Köpfen romantisieren. Allerdings bin ich mir sicher, dass Don Corleone entsetzt wäre, wenn er wüsste, dass die Syndikate heutzutage ihren Reichtum überwiegend durch Drogenhandel erlangen und auch halten. Kein Funken Gaunerehre in ihren Leibern. Doch dass das alles eigentlich kein Spaß und die Mafia wirklich gefährlich ist, zeigt der aktuelle Mammut-Prozess gegen die ‘Ndrangheta, der Anfang des Jahres begonnen hat, und der nun öffentlich darlegt, was die Syndikate in welchem Ausmaß tun.
Der Justizpalast in Lamezia, Italien, 13.01.2021: 355 Mafiosi auf der Anklagebank, die Formalitäten dauern ewig. Es geht um den größten Schlag seit Jahrzehnten gegen die italienische Mafia. Ende Dezember 2019 wurden bei einer Großrazzia in Vibo Valentia unter dem Decknamen Rinascita-Scott bereits 334 davon festgenommen. Jetzt angeklagt sind die Mitglieder des Macusa-Clans, ansässig in eben dieser Provinz und ein Teil der zuvor beschriebenen 'Ndrangheta. Diese gelten als Drogen-Großhändler, die Unmengen an Kokain an andere Organisationen im In- und Ausland verscherbeln. Ein Einwuf zur Orientierung: Wie schon gesagt, dieses Syndikat ist das mächtigste und reichste im Moment. Mit ihren kriminellen Geschäften nehmen sie im Jahr rund 50 Milliarden Euro ein, wovon der Großteil aus Drogengeschäften stammt. In Europa haben sie sozusagen das Monopol auf den Kokainhandel. Doch weiter mit dem Prozess: Die Angeklagten sind nicht nur “normale” Mafiosi, sondern auch Politiker:innen, Anwält:innen, Justizangestellte und Dorfpolizisten, die dem Clan gegen Schmiergelder Zugang zu den Datenbanken der staatlichen Sicherheitsorgane ermöglicht haben. Neben all diesen Angeklagten, die zum Teil auch in Deutschland ansässig waren, gibt es 900 Zeugen und Kronzeugen und über 400 Anwälte. Der Star der Show ist der verantwortliche Staatsanwalt Nicola Gratteri. Dieser hat über vier Jahre lang Mafiosi überwacht, ehemalige Mitglieder befragt und Geldströme verfolgt. Aufgrund dieser Hartnäckigkeit und seiner früheren Erfolge ist er auch als der “Mafia-Jäger” bekannt. Doch so cool das auch klingt, in seiner Haut zu stecken, bedeutet, auf der Todesliste der Mafia ganz oben und aufgrund dessen ständig unter Personenschutz zu stehen. Im Allgemeinen sind die Sicherheitsvorkehrungen bei diesem Prozess enorm hoch. Für rund 2 Millionen Euro wurde ein ehemaliges Call-Center zum neuen Hochsicherheitsgerichtssaal umgebaut, der wohl auch von Nöten zu sein scheint, da einige der Kronzeug:innen selbst einmal Mitglieder des Syndikats waren und für den Prozess bereit sind, die Omertá zu brechen. Es wird davon ausgegangen, dass dieser Prozess mindestens ein Jahr lang andauern wird.
Der letzte große Prozess fand im Jahre 1987 statt, bei dem gegen die damals mächtigste Cosa Nostra vorgegangen wurde. Über 400 Mitglieder saßen damals auf der Anklagebank, von denen der Großteil auch verurteilt wurde. Doch auch wenn die Cosa Nostra sich von diesem Schlag nie mehr erholen konnte und dann ihren Rang als reichste, mächtigste, einflussreichste Organisation an die ‘Ndrangheta abgeben musste, wurden im Anschluss an den Prozess aus Rache die beiden Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino von der Mafia ermordet.
Dass die Mafia so erfolgreich ist, könnte man der Einfachheit halber darauf herunterbrechen, dass die Strukturen globaler Gesellschaften das zulassen. In Wirklichkeit ist es natürlich komplizierter. Auch wenn kapitalistisches Gedankengut dahinter steht, dass der vermeintlich luxuriöse Lebensstil, den die Syndikate inszenieren, als erstrebenswert scheint, ist das noch nicht alles. Die Ausbeutung von Menschen, die unter schlechten oder schlechteren ökonomischen Bedingungen leben, ist eine der Grundvoraussetzungen für das organisierte Verbrechen, die von der Abhängigkeit verschiedener sozial und finanziell schwachen Bevölkerungsgruppen profitieren.
Doch gehen wir ein Stück zurück...
Es wird vermutet, dass der Ursprung des Mafiosi aus Sizilien Mitte des 19. Jhd. stammt. Der so genannte “Gabelloti” verpachtete gepachtetes Land an Bauern weiter. Auf diesen Feldern arbeitete er dann als Aufseher und Wächter, wofür er allerdings einen Teil der Ernte verlangte. Die erste Form der Schutzgelderpressung war somit geboren. Mittlerweile führt die Mafia legale sowie illegale Geschäfte. Letztere können nicht nur erhebliche Auswirkungen auf Produktionsfaktoren haben, sondern stören auch Finanzkreisläufe und verändern den Wettbewerb sowie die Regeln des Marktes, wodurch fair Teilnehmende Nachteile in diesem Konkurrenzkampf haben oder sogar ausscheiden. Die illegalen Machenschaften sorgen für einen neuen Konsens, der die Grenzen zwischen Verbrechen und ziviler Gesellschaft verschwimmen lässt. Auch wenn Italien nach all der Zeit ein Rechtssystem geschaffen hat, mit dem gut gegen strukturelles Verbrechen vorgegangen werden kann, ist das insofern utopisch, als dass sich die Mafia bereits zu Beginn des 20. Jhd. internationalisiert hat. Die Modernität der organisierten Kriminalität bietet ihren Kund:innen eine Bandbreite an Waren, die weltweit zur Verfügung stehen. Nur im Gegensatz zu normalen Unternehmen, liefern sie illegale Produkte und Dienstleistungen. Und die Nachfrage steigt, was einen der wesentlichsten Faktoren ausmacht, warum strukturelles Verbrechen sich immer weiterentwickelt.
Im Laufe verschiedener Ermittlungen hat sich herausgestellt, dass die italienische Mafia auf der ganzen Welt Verbündete und / oder Geschäftspartner hat; dazu gehören die russische und türkische Mafia, die chinesischen Triaden, die japanischen Yakuza, sowie afrikanische, osteuropäische, und süd- bzw. nordamerikanische Kartelle. Die Geschäfte gehen auch mittlerweile über die klassischen Mafia-Geschäfte hinaus. So hat man Verbindungen zu terroristischen Vereinigungen wie die Al Quaida gefunden. Doch das große Problem bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens ist die Uneinigkeit und Un-Immunität. Viele Länder kooperieren nicht oder Verbindungen ( wie die EU bspw.) haben ungesehene Schlupflöcher für Mafiosi in ihrem Regelwerk.
Don Corleone würde sich sich im Grabe umdrehen, wenn er sehen könnte, wozu die Mafia nun fähig ist und wie sehr sie verkommen ist. Der Einfluss, die Macht und die Verbündeten eines jeden Syndikats ist mittlerweile weit über den Mittelmeerraum hinaus gewachsen, ganz gemäß dem Motto: Halte deine Freunde nah bei dir, doch deine Feinde noch näher.
Quellen:
https://www.italien.de/info/mafia
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/mafia-tiktok-101.html
https://www.tagesschau.de/ausland/ndrangheta-prozess-103.html
https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/verbrechen/organisierte_kriminalitaet/pwiemafia100.html
Grasso, Dr. Pietro: Bekämpfung mafiöser Strukturen. Der italienische Weg. Vortrag. Wiesbaden, 13.11.2008.