Petra | 12.05.22
Ist das ein modisches Statement oder kann das weg? Schmerzgrenzen sind dazu da, überwunden zu werden. Ein Gedankenschweif über Tapferkeit und Toleranz.
Im Café, ich sitze da mit Hafer-Cappuccino und einem ordentlichen Ranken veganem Bananenbrot mit Sahne – ich weiß, das macht keinen Sinn, schmeckt aber gut und so bestelle ich das ernsthaft fast jedes Mal in meinem Stammcafé. Anfangs noch mit einem Anflug von Scham über mein Hipster-Menü, das noch nicht mal konsequent ist, sondern eine Provinz-Portion Sahne nötig hat. Inzwischen aus Gewohnheit, keiner schaut blöd, lebe ja Gottlob in einer Großstadt und ach, so hip ist Bananenbrot nach gefühlt 1000 Insta-Rezept-Stories zu Bananenbrotrezepten nun auch nicht mehr. Aber darum soll es hier gar nicht gehen, weder um meine seltsamen Essgewohnheiten, noch um Bananenbrot, höchstens als Metapher.
Nein, es soll darum gehen, was die Großstadt mit mildem „Schongesehen“ nicht mehr sieht, und was ich auch lieber lässig übersehen möchte, aber leider nicht kann, während ich da so sitze, im Café. Zum Beispiel labberige Pill-Wollhose mit Unterhosenabdruck zum sportlichen Nike Crop-Top, kombiniert mit Dad Joggern (für all die Provinzler unter euch, haha, richtig dicke 80er Turnschuhe) und Teddyfellmantel. Getoppt mit faseriger Baseball-Cap inklusive Speckrand. Das Make-up? Noch von gestern, da hat jemand Nerven. Und herrje, ich check‘s ja selber, was ist eigentlich mit mir los? Is doch egal! Jeder sollte seine Klamotten selbstbestimmt wählen und wenn`s eben bretterläden-dicke Wimpern sein müssen, dann hab ich damit klar zu kommen. Schließlich lebe ich auch deshalb in einer Großstadt, weil niemand blöd schaut (siehe veganes Bananenbrot mit Sahne). Und dennoch fühle ich jedes Mal ein dumpfes „Schade“ in mir hochkommen, wenn ich schlecht gekleidete Menschen sehe, insbesondere junge, attraktive Menschen, und scheiße ja, ich gebe es zu, besonders fällt mir das bei jungen Frauen auf. Und ich frage mich, was ist der Grund, sich absichtlich nachlässig, gar geschmacklos zu kleiden?
Meine steile These hierzu lautet: Eine modische Konterrevolution zeichnet sich ab. Nach jahrzehntelangem Mode- und Bodydrill wollen junge Menschen heute zeigen, dass sie da sowas von drüberstehen. Über aktuellen Trends, adretten Blusen (außer in Kombination mit ausgebeulter Jogginghose vom Second Hand), über ordentlicher Schul- und Arbeitskleidung, über Anlässen mit Dresscode, über Körperidealen sowieso! Ich bin beeindruckt, verblüfft, irritiert. Eine ganze Generation cooler Leute zieht einfach alles irgendwie an, möglichst schlecht kombiniert, damit ja niemand den Verdacht aufwirft, sie hätten sich für irgendwen zurechtgemacht, schon gar nicht für die Mode. Sich Mühe geben, zu gefallen, wie over. Wenn ich so darüber nachdenke, ist das doch verdammt cool. Und ah, da isser, mein wunder Punkt, denn womit habe ich eigentlich meine Jugend verschwendet? Ich nämlich, uncool, Jahrgang 1984, habe die Style-Regeln aus Serien wie „Sex and the City“ damals nicht im Ansatz kritisch hinterfragt. Habe viel zu viel Lebenszeit vor dem Kleiderschrank und im Bad verbracht und bin jetzt offenbar einfach nur neidisch auf eine neue Jugend, die ihre Zeit besser nutzt – weil ich eigentlich immer noch ein Provinzmädchen bin, welches das „Sowas kann man doch nicht anziehen am Sonntag, ins Café“ viel mehr verinnerlicht hat, als ich zugeben mag...
Das wäre also geklärt. Dennoch frage ich mich beim Anblick von abblätterndem Nagellack in Metallic-Lila mit einem klammen Rest von Abschätzigkeit: Gibt es eigentlich so etwas wie eine universelle Ästhetik? Eine harmonische Ordnung der Dinge, die alle Menschen gleichermaßen tief im Inneren empfinden und die glücklich macht, wenn sie gelingt, wie etwa schöne Architektur? Und wäre es dann politisch korrekt, wenn man sich vom Anblick eines desaströsen Outfits verstört fühlt? Einfach deshalb, weil die universelle Ästhetik beleidigt wurde? – Und nicht etwa, weil man in seiner eigenen Spießigkeit gefangen ist und eine intolerante alternde Mitdreißigern geworden ist? Ich hoffe es für mich.