Kerstin | 22.03.2023
Alle, die mich erotisch und partnerschaftlich lieben oder lieben wollen, sind queer. Per Definition. Denn ich bin genderqueer. Aber was mache ich jetzt mit hetero-cis-männlichen Personen? Will ich mit ihnen noch eine Beziehung führen?
Ich wusste auch schon in meiner letzten Beziehung mit einem cis-hetero Mann, dass ich nicht-binär bin, aber ich habe mich nicht getraut, es auszusprechen, geschweige denn mich mit meiner wahren Genderidenität zu outen. Zu lange habe ich eine Rolle gespielt, die ich nicht wirklich gefühlt habe, aber von meinem Umfeld so gut kannte.
Schon seit meinem Outing als bisexuell hatte ich Angst, meine Genderidentität gleich mit zu verlieren. Bin ich nur dann eine Frau, wenn ich mit Männern in Beziehung stehe? In unserem Hetero-Patriarchat werden nämlich Heterosexualität und Identifizierung mit dem Geschlecht, das uns bei der Geburt zugewiesen wird, als selbstverständlich angenommen. Zusätzlich gehen beide Vorstellungen von Normalität miteinander Hand in Hand: Frauen gelten dann als Frauen, wenn sie mit einem Mann in einer intimen Beziehung stehen. Für Männer gilt das umgekehrt. Lesbische Frauen werden oft abwertend als “männlich” bezeichnet, schwule Männer als “weiblich”. Es ist ein Trugschluss, dass beide Kategorien von Identität kausal miteinander zusammenhängen. Aber was ist überhaupt weiblich? Was männlich? Soziale Konstrukte, die auf mich alle nicht passen wollen. Oder zumindest nicht immer.
Das Ding ist: Meine Sexualität ist so fluide wie mein Gender. An manchen Tagen fühle ich mich in meinem Körper vielleicht gar nicht wohl und jeder anzügliche Blick von Männern in meine Richtung bringt mich dem Ausraster ein Stück näher. Am nächsten Tag fühlt es sich so an, als würde ich mich einfach in die Masse einfügen und auch nach der allgegenwärtigen Norm begehrt werden wollen. Aber ich merke, wie ich wieder drohe, bei jedem flirty Treffen mit einem hetero-Mann automatisch in die gesellschaftliche Rolle des Mädchens hinein zu rutschen, wie ich sie schon immer gespielt habe. Das beginnt bei der Kleidung und endet bei meinem aufgesetzten Lachen über schlechte Witze, anstatt selbst einen Spruch nach dem anderen rauszuhauen. Ich police mich und mein Verhalten und Aussehen selbst, damit ich für mein Gegenüber attraktiv bleibe und nicht “zu unweiblich” wirke. Nach so einem Treffen habe ich aber keine Lust auf ein weiteres, weil ich nicht wirklich ich selbst war – weil ich meinem Gegenüber nur die Facette gezeigt habe, die ihm wahrscheinlich am Besten gefällt (dafür hatte ich für einen Abend lang das Privileg als bisexuelle Person, als hetero durch zu gehen und dadurch keiner aktiven Diskriminierung ausgesetzt zu sein). Mein Verhalten ist nicht per se seine Schuld – sondern eher die der Gesellschaft.
Ich will bei hetero-cis-Männern als potentiellen Partnern keine Bildungsarbeit leisten müssen, sondern ich will eine Person daten, die sich mit den Themen selbst auseinandersetzt. Ich will mich nicht erklären, nicht rechtfertigen, dass ich vielleicht nicht queer genug aussehe. Ich will niemandem sagen: “Tja, wenn du auf mich stehst, bist du automatisch queer, egal welches Gender du hast.” Auch wenn es stimmt, weil meine Identität zählt, ist mir das, glaube ich, dauerhaft zu anstrengend.
Wenn ihr das lest, dann denkt ihr vielleicht an die Versuche von Feminist*innen ab den 1960ern, wegen ihrer politischen Einstellung lesbisch zu leben. Das Experiment scheiterte jedoch, weil ihre sexuelle Orientierungen heterosexuell war. Das zeigt mal wieder, dass Sexualität und Identität keine freiwilligen Entscheidungen zwischen willkürlichen Optionen sind. Nicht mal dieser Text ist eine Entscheidung für Identität. Sondern nur eine Entscheidung, ob ich konsequent nach meiner Identität leben will oder mich weiter selbst verleugne.
Habe ich vielleicht das Gefühl, einfach zu viel zu sein? “Zu kompliziert”? Was von diesen vielen Gedanken ist internalisierte Trans*- und Queerfeindlichkeit und was bin ich eigentlich selbst – von innen heraus? Inwiefern habe ich Angst vor Aussagen, dass ich doch nur auf Krampf “anders” sein wolle und es sich nur um eine Phase handelt?
Am Ende haben sich noch mehr Rätsel aufgetan als mir zu Beginn des Textes gegenüberstanden. Kann ich mir überhaupt aussuchen, in wen ich mich verlieben werde? Wahrscheinlich nicht, aber für eine Beziehung entscheiden sich Menschen sehr bewusst, jeden Tag aufs Neue. Eigne ich mir queere Kultur nur an – also bin ich eigentlich “queer genug”? Damit erkenne ich mir meine eigene Identität ab. Und was ist, wenn ich dann doch noch Kinder bekommen will? Dann macht es queeren Paaren das Kinderkriegen wesentlich schwerer.
Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, hetero-cis Männer richtig zu daten. Aber ich darf mich gegebenenfalls auch verändern, Schritt für Schritt immer mehr selbst finden. Mit der Veröffentlichung dieses Textes habe ich das Gefühl, mein Dating in Zukunft erklären zu müssen, weil ich es in diesem Text schon einmal öffentlich gemacht habe. Aber mein zukünftiges Datingverhalten geht nur mich was an. Das hier ist nur eine Momentaufnahme auf meiner Reise, die Version von mir zu dekonstruieren, die ich nicht bin, sondern die ich gelernt habe zu sein. Aber das macht meine Identität nicht zu einer Phase, wie Queerness oft bezeichnet wird. Für alle, die denken, dass das auch nur eine Phase ist: Ich verändere mich nicht, ich werde nur mehr zu mir und trage Stück für Stück die Schichten ab, die nicht ich sind. Ich wünsche mir eine Welt, in der wir Personen ihre Identität glauben, nicht hinterfragen, sondern breitflächiger über alle Facetten der menschlichen Identität lernen.