Oscar Lange | 16.09.2021
Und ewig grüßt das Murmeltier. Die politischen Debatten im Vorfeld der Bundestagswahl drehen sich - mal wieder - um Klimawandel und Umweltpolitik, mehr, bzw. weniger sozialen Ausgleich durch Steuer- und Ausgabenpolitik und, ausgelöst durch die Ereignisse der letzten Wochen, überraschenderweise auch um die Außenpolitik der großen Koalition, der man dieser Tage beim Abriss ihres eigenen Vermächtnisses zusehen kann.
Die Parteien haben sich in der wilden zweiten Hälfte der Legislaturperiode auf ihren jeweiligen Schwerpunkt konzentriert, mit Ausnahme der Union, die nach der Entkernungskur "16 Jahre Merkel" eigentlich keinen richtigen Schwerpunkt mehr und folgerichtig mit Armin Laschet ein politisches Leichtgewicht aufgestellt hat. Im Englischen gibt es das nette Sprichwort "If you don't stand for something you fall for anything"- (frei: Wer für nichts steht, fällt für alles) was den aktuellen Zustand der deutschen Bundesregierung gut beschreibt: Egal was sie anpackt, es verwandelt sich in ein Desaster.
Ein Glück für Olaf Scholz, dass er, obwohl er in seiner Funktion als Finanzminister zwar ein überaus mächtiger Teil der Bundesregierung war, das nach eigener Aussage eigentlich nicht war oder sich zumindest nicht so sieht. Wer nicht Teil der Regierung ist (im Kopf), kann auch keine Verantwortung für Regierungsfehler tragen. Und diese Strategie, nebenbei bemerkt ein Markenzeichen Angela Merkels, scheint aufzugehen. Der untergetauchte SPD Kanzlerkandidat taucht langsam aus dem Umfragetief auf. Scholz' milde, gutmütige Art hilft dabei zu verdecken, dass die SPD mit einem Wahlprogramm aus dem Jahr 1972 antritt und ihr Hauptmittel für die Lösung der deutschen Probleme darin liegt, diesen Problemen eine Gelddusche zu verpassen. Niemand bestreitet, dass die fortschreitende Digitalisierung und Globalisierung für neue soziale Fragen sorgt. Ein Beispiel sind KI-generierte Dienstpläne, die wenig Rücksicht auf das Fußball-Training der Tochter nehmen, oder steigende Mieten in den Großstädten, denen der Staat durchaus Anreize aufs Land zu ziehen entgegensetzen könnte. Aber die SPD ist unwillig, neue Wege einzuschlagen. Und so wird das deutsche Rentensystem erstmal weitergeschleppt, mit verdeckten Beitragserhöhungen in Form von höheren Steuern für die Besserverdiener.
An dieser Stelle muss sich natürlich die FDP zu Wort melden, die vor der Wahl wie immer eine Steuersenkung ankündigt, für den Fall, dass sie sich entscheiden sollten, an einer Regierung teilzunehmen.
Mehr Netto vom Brutto ist zwar nicht von 1972, wirkt aber ähnlich innovativ wie der Gegenpart von Linke und SPD. Noch dazu dürfte auch der Blick auf die USA uns zeigen, dass eine zu große Vermögenskonzentration die Leistungsgerechtigkeit unseres Gesellschaftssystems bedroht und zu sozialen Spannungen führt. Dies sollte eine moderne liberale Partei auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Auch die ungleiche Besteuerung von Kapital- und Arbeitseinkommen ist etwas, was an das Gilded Age und das späte 19 Jahrhundert erinnert.
Implizit wird damit Besitz, "Investment" subventioniert, während Menschen ohne Vermögen, mit ihrer Ausbildung und ihrer Arbeit diese Subventionen bezahlen.
Allerdings kein Grund zur Sorge, die Einkommen der Zahnärzt*innen und Rechtsanwält*innen sind weiterhin sicher. An anderer Stelle sind durchaus innovative Ansätze sichtbar, wie bei der aus Schweden importierten Aktienrente.
Man wünscht sich, dass die FDP diesen Grad an Unternehmergeist auch in die Sozialpolitik mitnähme.
Dass der Klimawandel unser Leben spontan ändern kann, konnte ich vor einem Monat bei meiner Oma erleben, die aus Bad Neuenahr kommt. Praktisch über Nacht saß sie in einem Haus, was weder Strom noch Heizung hatte, weil die Fluten die Infrastruktur ohne Gnade ausradiert hatten. Im Großen und Ganzen ist damit sogar der AfD, ja der AfD, klar geworden, dass es da möglicherweise ein Problem gibt, auf das es sich vorzubereiten gilt. Das Original in Fragen der Umweltpolitik bleibt dabei die Partei Bündnis90/Die Grünen. Es ist ihr Stammterrain, unerbittlich warnen sie bereits seit Jahren vor dem unausweichlichen Desaster, sollten sich die politischen Verhältnisse nicht sehr schnell ändern. Unterwegs haben sie dabei noch ein paar urbane Linksliberale aufgegeben, die Ihnen den gewissen identitätspolitischen Touch geben. Davon angetrieben ist aus der ehemaligen Umweltpartei Die Grünen so eine Art moderne post-1972 orientierte SPD geworden, die dieser an vielen Stellen den Rang abgelaufen hat. Wasser sparen? Kannten die Grünen in den 80ern. Solarenergie? War wahrscheinlich schon Joschka Fischers feuchter Traum. Politisch hat die Partei zwei Flügel, die bis zu einem gewissen Grad miteinander im Widerspruch standen und heute noch stehen. Da wären die Realos, heute angeführt von Robert Habeck und Winfried Kretschmann, die für mehr Umweltschutz ohne allzu große gesellschaftliche Änderungen sind. In den Städten ist dieser Flügel sehr beliebt. Und da gibt's die Fundis, kurz für Fundamentalist*innen. Die kommen aus anderen sozialen Bewegungen, zum Teil aus den Reformsozialist*innen der DDR und aus der westdeutschen Frauenbewegung oder den 68ern. Sie wollen die Gesellschaft reformieren, Frauen und anderen diskriminierten Gruppen zu mehr Rechten verhelfen und den deutschen Kapitalismus zusammenstutzen. Soweit das Allgemeine. Inhaltlich haben die Grünen außer einer Reduktion der CO2 Emissionen durch die Energie und Verkehrswende noch Vorschläge wie ein Lieferkettengesetz auf dem Zettel, was europäische Unternehmen für die Arbeitsbedingungen bei Zulieferern im Ausland verantwortlich machen soll. Aber Vorsicht liebe Grünen, nicht alles kann mit dem Schlagstock geregelt werden und Verbote nützen nur, wenn man sie nicht umgehen kann. Die Kandidatin der Grünen, Annalena Baerbock ist unlängst in eine durch ihre eigene Inkompetenz und die Frauenfeindlichkeit in Teilen der deutschen Medienlandschaft (I'm pointing at you FAZ) ausgelöste Krise gerutscht. Es bleibt also abzuwarten, ob sie jemals wieder so nett rüberkommt wie Olaf Scholz. Davon könnte Ihr Wahlsieg abhängen.
Eigentlich ist damit alles gesagt. Die Union weiß selbst nicht warum man sie wählen soll, außer dass sie gerade an der Macht ist und es einen Machtwechsel gäbe wenn sie es nicht mehr wäre. Die SPD hat ein Programm, was auf Altunbewährtes setzt und einen netten Kandidaten. Die FDP hat ein paar gute Ideen und ein paar Klient*innen. Und die Grünen wären eine Alternative, die etwas abgemildert wahrscheinlich in der Lage wäre Deutschland endlich ins 21. Jahrhundert zu führen.
Und die Bürger*innen? Ja, die Bürger*innen sagen zur Sicherheit vor jedem Telefonat an Bord eine Zuges, dass sie "gerade im Zug sind" damit der Gesprächspartner auf etwaige Verbindungsabbrüche vorbereitet ist.
Vielleicht halt einfach später nochmal anrufen.