Foto: Niklas Herzog
Lena | 28.04.23
Ein Gespräch mit Country-Künstlerin Alina Sebastian – über sexistische Stereotypen, konservative Einstellungen und den Wandel des Countrys.
Du hast zu einem Covershoot, auf dem deine Brüste unter einer Jeansjacke angedeutet sind, massenhaft misogyne Kommentare bekommen und darauf mit einem Statement reagiert – ist dieser Vorgang repräsentativ dafür, wie es ist, sich als Frau in der Country-Szene zu bewegen?
Als ich mich entschied, das Cover so aufzunehmen und hochzuladen, hatte ich ehrlicherweise sogar mit mehr Kritik gerechnet und wurde eher positiv von den großteils bestärkenden Reaktionen überrascht. Es gab dann ein Country-Magazin, das über mich berichtet hat und vor allem unter diesem Facebook-Post wurde eine große Diskussion losgetreten, bei der Kommentare wie „Wenn man nötig hat, sich so auf einem Plattencover zu präsentieren, kann es ja mit der Stimme nichts sein“ keine Seltenheit waren und vom Großteil der Kommentierenden gefeiert wurden. Wohlgemerkt: Einige der Kommentare kamen auch von Frauen, was mich persönlich überrascht hat.
Ich würde nicht sagen, dass das repräsentativ ist für die Countryszene, die ich kennenlernen durfte, allerdings denke ich, dass solche auf den weiblichen Körper gerichteten Kommentare repräsentativ für einen großen Teil unserer Gesellschaft sind. Natürlich gibt es grundsätzlich offenere und diversere Genres und solche – in die Country einzuordnen wäre –, die prädestiniert dafür sind, dass es Raum für konservative Ansichten gibt. Im Country muss man jedoch auch zwischen neuem und alten Country unterscheiden und entsprechend sensibel oder eben nicht sind die Hörer*innen dessen.
Du bist nicht nur Sängerin, sondern produzierst deine Musik auch selbst, bist Tontechnikerin, man könnte sagen eine „self-made-woman“, eine, die es geschafft hat und somit in neoliberale Imperative passt, die propagieren, sich selbst mittels eigener Leistungen herauszubringen. Daraus stellen sich zwei Fragen: Welche Rolle spielen Frauen in der Branche, wie werden sie behandelt und wahrgenommen? Und wie stehst du zu den aus den USA importierten Werten und Narrativen von Erfolg?
Es ist teilweise erschreckend, wie ungewöhnlich ich als Frau, oft vor allem im Technikbereich, aber auch generell in einer leitenden Position eines künstlerischen Projektes wahrgenommen werde. Um die gleiche Anerkennung wie Männer zu erhalten, muss man oft viel mehr leisten: sich ein großes Selbstbewusstsein und Autorität antrainieren, um überhaupt ernst genommen zu werden. Die Vorurteile der Branche durchbrechen, indem man ihnen zum Trotz seine Aufgaben gewissenhaft erfüllt, selbstbewusst auftritt und – am besten – allen immer einen Schritt voraus ist. Zumal das Thema Gleichberechtigung immer mehr an Wichtigkeit gewinnt und viele in der Branche den Mehrwert in einem diversen Team sehen.
Wie der Streit um mein Cover zeigt, werden Frauen nach wie vor ihre Fähigkeiten abgesprochen, wenn sie sich zu “freizügig” oder “feminin” präsentieren. Es zeigen sich jedoch auch positive Tendenzen: Es gibt immer mehr Männer, die ein gesundes Bewusstsein für die Problematik entwickeln und ich persönlich hatte bisher viel Glück, sodass ich zu 80% der Zeit in sehr schönen respektvollen Teamverhältnissen gearbeitet habe.
Welches Potenzial hat Country? Kann man Country unabhängig von den USA denken? Und wie sähe das aus?
Das kann man, absolut! Für mich hat Country auch nicht zwangsweise irgendwas mit den USA zu tun. Es gibt übrigens auch eigene große Szenen in Kanada oder Australien. Country ist für mich eine ehrlichere bzw. “echtere” Version von Popmusik – sowohl durch die Texte als auch die Instrumentierung. Es ist eine Musikrichtung, die immer schon Freiheit zelebriert und daher für mich auch eine Form des emanzipierten Ausdrucks.
In deiner Single singst du “Take me back California/ Where every sunrise lets new hope in/ But my favorite thing about you is that you’re so far.” Was ist die Aussage des Songs?
In dem Song „California“ verarbeite ich überfordernde Erfahrungen auf meinem Weg zur Selbstliebe. Es hat lange gedauert, bis ich erkannt habe, dass ich in Ordnung bin, wie ich bin und es mich auf Dauer krank macht, zu versuchen, es allen anderen Recht zu machen. Ich bin sehr harmoniebedürftig und gehe Problemen am liebsten aus dem Weg. Deshalb genieße ich auch meine Unabhängigkeit so sehr, liebe es unterwegs zu sein und mich ins Ungewisse zu flüchten.
Welche Wünsche und Sehnsüchte drücken sich darin aus? Und wie passt es in deine Verbindung und Haltung zu den USA?
Als ich mit einem kleinen Team Anfang 2022 für einen Musikvideodreh in den USA war, hat mich vor allem die unendliche Weite des Landes fasziniert, sie gab mir ein Gefühl von Freiheit und Hoffnung. In der Auseinandersetzung mit meinen Gefühlen und meiner Persönlichkeit, kam mir sofort California als Titel in den Sinn, denn Kalifornien steht in diesem Kontext sinnbildlich für alle Orte, an die ich auf der Suche nach Harmonie und Selbstliebe schon geflüchtet bin.
Country ist sehr heteronormativ – sowohl im Publikum als auch auf Seiten der Künstler*innen. Was müsste passieren, damit sich die Branche für queere Menschen und generell diverseres Publikum öffnet?
Tatsächlich gibt es bereits „Queer Country“, auch wenn dieser meist nicht in den Charts zu finden ist. Ich glaube, die Musikrichtung macht gerade einen Wandel durch. Es gibt so viele Frauen in den Country Charts wie noch nie zuvor. Und wir sprechen von Frauen wie Maren Morris, Miranda Lambert oder Kelsea Ballerini, die alle auf ihre eigene Weise die Fäden ihrer Karriere selbst in der Hand haben, die Diversität auf der Bühne und im Publikum zelebrieren und damit aktuell auch gern mal anecken.
Meiner Beobachtung nach spaltet sich die Hörerschaft und auch die Musik gerade in zwei Lager auf: Moderne, progressive Countrymusik, die sich nicht scheut, für Menschenrechte einzustehen und älterer, patriotischer Country, der eher konservativ ausgerichtet ist.
Beides hat sicher seine Daseinsberechtigung, ich sehe aber auch, dass das Neue sich durchsetzt und Country sich langsam von starker Heterodominanz verabschiedet.
Auf der anderen Seite gefragt: Siehst du Potenziale für queeren, progressiven Country? Und wie würdest du dir das vorstellen, bzw. hättest du persönlich Lust darauf?
Ich selbst gehöre der queeren Szene an und habe keine Angst, darüber in meinen Texten zu schreiben, wenn es passt. Ich erzwinge es aber auch nicht, wenn ich es in dem Moment als wenig authentisch wahrnehme.
Außerdem denke ich mit meiner modernen Interpretation von Country, die sich sowohl in der Musik als auch in meinen Outfits zeigt, auch einen Teil zu progressivem Country beizutragen.
Letztendlich ist meine Musik für all jene da, die Lust haben, sich auf meine Texte einzulassen und somit in meine Gedanken- und Gefühlswelt einzutauchen. Ich freue mich, wenn ich meine Hörer*innen inspirieren kann, sie vielleicht mitnehmen kann in eine neue Welt.
Was sind deine Vorbilder in der Szene?
Ich erwähnte eben schon meine „heiligen“ drei Namen:
Maren Morris. Man kennt sie auch in der Popmusik, bspw. durch den Song „The Middle“ mit Zedd. Ihr Sound ist einzigartig, sie hat ihre ganz eigene Handschrift, was auch daran liegt, dass sie aktiv an den Produktionsprozessen beteiligt ist. Sie behandelt gerne Themen wie Freiheit und Stärke, gibt einem aber nicht das Gefühl, dass man nicht auch schwach sein darf, sondern dass aus dieser Schwäche eben gerade Stärke resultiert.
Sie polarisiert häufig mit ihrer Art, denn sie steht für die Gleichberechtigung aller ein. Zuletzt erntete sie viel Kritik dafür, dass sie sich dafür ausgesprochen hat, trans* Kinder ernstzunehmen. Morris ist im Umgang mit Menschlichkeit und ihrer Karriere vermutlich mein größtes Vorbild, denn sie nutzt ihren Erfolg, um Schwächeren eine Stimme zu geben.
Kelsea Ballerini. Ihr Sound ist verhältnismäßig sehr poppig und auch ihre Shows sind sehr modern. Sie berührt mich immer wieder emotional, denn ihre Alben sind wie Tagebücher.
Gleichzeitig setzt sie sich dafür ein, dass es mehr Frauen in der Countryszene gibt, etwa durch Kollaborationen und die Sensibilisierung ihres Publikums für die Interessen der Gleichberechtigung.
Miranda Lambert. Ihr Sound ist von den Dreien am meisten Country und ich liebe, wie sie eine glamouröse Brücke aus old school Country Sounds in Kombination mit liberalen Texten und modern interpretierten Country Outfits schlägt. Sie ist seit 2006 eine sehr anerkannte Größe in der Szene und setzt allein damit schon das größte feministische Statement, ohne im aktiven Kampfmodus zu sein.
Und dann gibt's natürlich noch Shania Twain. Sie hat Country erstmals weltweit hörbar gemacht, denn ihre Interpretation davon kannte nie Grenzen. Sie hat das Genre neu geschrieben und ist eine wirkliche Powerfrau, die sich immer schon mit der queeren Szene solidarisiert hat und insbesondere Frauen darin bestärkt, selbstständig zu sein und ihren Wünschen nachzugehen, unabhängig davon, was die Gesellschaft davon hält. Die Netflix Doku über sie ist sehr zu empfehlen!
Was macht Country aus? Und warum sollten Feminist*innen sich mit Country befassen?
Country ist feministischer als man denkt. In fast jedem Song geht es um Freiheit und unendliche Weite, die nur sinnbildlich für das Leben und dessen Möglichkeiten stehen. Man beschäftigt sich viel damit, seinen Platz im Leben zu finden, und letztendlich geht es oft darum, stolz auf das zu sein, was man ist. Sich nicht zu entschuldigen, sondern weiterzumachen, bis man an einem Ort ist, an dem man sich zu Hause fühlt, auch wenn es nur für gewisse Zeit ist.
Ich fühle mich sehr empowered durch die Musik, die ich höre und deshalb eben auch mache.
Country kann sich selbst am besten dabei helfen, ein unabhängiges Frauenbild zu etablieren, eines, das sich von traditionellen und erdrückenden Mythen und Rollenmustern emanzipiert. Für mich hängt hiermit auch eine häufig von Country-Texten übermittelte Einstellung zusammen: Sei wie du bist und liebe dich dafür, dann tun die anderen es auch.
Wir danken dir für das Gespräch!
Foto: Niklas Herzog