queer:rauminterview

Mai Strathmann by ©Francesco Giordano

Queering des Konzepts vom perfekten männlichen kreativen Genie? Künstler*innen Stella Traub und Mai Strathmann im Interview


Kerstin | 24.11.2020

Die Künstler*innen Stella Traub und Mai Strathmann sind Teil der queer:raum Ausstellung, die am Wochenende vom 2./3.7. in der Aids-Hilfe München den Auftakt zum zweiwöchigen Pride-Programm. Kerstin Thost hat sie im Innenhof der Hochschule für Film und Fernsehen auf einen Kaffee und mehrere Zigaretten getroffen und mit ihnen über ihre Arbeit, Visionen und Learnings geredet.

 Film ist für mich wie eine super anstrengende Beziehung. Foto ist wie  eine Freund*-innenschaft, die seit Jahren läuft.

Die schwierigste Frage immer zuerst: wer seid ihr – stellt euch und eure Arbeit im queer:raum doch gerne vor!

Stella: Ich bin Stella (sie/ihr), studiere Dokumentarfilmregie und arbeite als freie Fotografin. Mit Mai zusammen habe ich für die queer:raum Ausstellung eine Videoinstallation und eine Fotoserie gemacht, die sich mit Nippeln, Schönheitsidealen, Haaren und Körperpflege sowie gesellschaftlichen Erwartungen an Pflege und Körper auseinandersetzt. 

Mai: Ich bin Mai, ich verwende keine Pronomen oder they/them und bin ausgebildete Maskenbildner*in. Bei unserer gemeinsamen Arbeit setzen wir und mit dem Begriff Care auseinander. Einerseits im Zusammenhang mit “weiblichen” Schönheitsidealen und dann natürlich auch weiblich gelesenen Körpern und allen Körpern. Außerdem habe ich dann noch eine eigene Body-Paint-Session im queer:raum, bei der alles relativ improvisiert sein wird und male noch Alfonso, den Tänzer aus der Gruppe an für seine Performance. 

Ich werde euch heute Entweder-oder-Fragen stellen, für jede Person zwei. Stella, für immer nur noch Fotos machen oder nur noch Videos?

Stella: Uff, da triffst du einen wunden Punkt bei mir – das ist so meine große Lebensplanungsfrage. Film ist für mich wie eine super anstrengende Beziehung. Es gibt für mich so krasse Hochs und super krasse Tiefs. Und Foto ist wie so eine Freund*innenschaft, die einfach immer seit Jahren läuft. Sie gibt mir nicht die krassesten Hochs, aber auch nie tiefe Tiefs, auf die kann ich mich sehr gut verlassen.

Stella Traub by ©Francesco Giordano

Die zweite Entweder-Oder-Frage geht an Mai. Gemeinsam oder alleine Kunst machen?

Mai: Safe gemeinsam - keine Frage!

Wie genau habt ihr beiden denn eigentlich damit begonnen, gemeinsam zu arbeiten?

Mai: Wir haben uns kennengelernt, da hat Stella meine Bachelor-Arbeit fotografiert. Davor kannten wir uns zwar noch nicht, aber das, was ich vorher von dir gesehen hatte, hat großes Vertrauen geweckt. Und in Zukunft - das ist der Antrag jetzt hier - kann ich mir das auf jeden Fall weiter vorstellen mit dir zusammen zu arbeiten.

Stella: Sehr gerne! [beide lachen]

Mai: … aber natürlich auch mit anderen coolen Queers. Das macht einfach unfassbar Spaß, sich da auszutauschen und nochmal andere Perspektiven zu bekommen. In der Vorbereitung haben wir gemerkt: durch Gespräche entsteht alles! So: was in unseren eigenen Köpfen passiert, ist wundervoll. Aber als es dann aufeinander geclasht ist, ist nochmal so viel mehr passiert! 

Stella: Es war auch so schön, das zu merken, dass dieses komische Denken, was man von so einem künstlerischen Genie in Anführungsstrichen hat, ist totaler Quatsch. Also, dass man so die Erwartung hat von: “Das muss aber in meinem Kopf passiert sein, weil ich studiere Regie. Und das ganze kreativ-künstlerische muss von Mai kommen, weil they ja Maskenbild studiert hat.” 

Mai: Dieses Gespräch haben wir auch geführt. So: wir haben beide irgendwie die gleiche Angst geteilt: jetzt kam die Grundidee von dir, Stella…Aber wir haben uns erst im Gespräch gegenseitig angestachelt.
Bei eurer Kunst: nur noch minimalistische Optik oder nur noch maximalistische Optik? Bodypainting ist ja beispielsweise total bunt, während eure Videoinstallation ja eher nur mit Naturfarben arbeitet.

Mai: Da kann ich mich gar nicht festlegen. Für mich geht es um die Liebe zum Detail. Aber im Gesamtkontext und gerade auch im queer:raum – maximalistisch. Da wollen wir auch einfach mal ballern und sichtbar sein. Und das auch mit Form und Farbe. 

Stella: Ich schwanke auch immer sehr dazwischen. Unser gemeinsames Filmprojekt “Drip” war maximalistisch. Aber bei Porträts, wenn mich dann oft schon nur der Blick schon packt. 

Wenn ihr euch entscheiden müsstet nur noch Nippel shooten oder nur noch Gesichter?

Mai: Das ist schwierig. Weil wir wollen ja gerade das entweder oder brechen. Das gibt es einfach in unserer Welt nicht mehr. Wir wollen alles. Und wir wollen uns alles erlauben. Natürlich mit Konsens, aber… Wie du auch eben mit dem Genie-Begriff meintest, denken wir, man muss eben nicht im Leben eine Sache finden, die man dann von vorne bis hinten und oben bis unten durcharbeitet. Wir haben sicher eine Handschrift, aber die muss sich nicht so starr festlegen.

Stella: Ich hatte das auch gerade bei einem anderen Filmprojekt, dass ich eine Mind-Map gemacht habe und dachte: “Ist das jetzt so ein Film oder so ein Film?” Das ist schon ein Gedanke, der einen ganz arg plagt, dass man sich festlegen müsste.

Mai: In so Institutionen werden uns ganz viele Regeln beigebracht, die wir wieder verlernen und durchbrechen müssen, um etwas Eigenes zu finden und einen eigenen Weg zu finden. Um wieder etwas Neues zu schaffen, was noch nicht da war. 

Mai Strathmann by ©Francesco Giordano

 Wir überspitzen, um zu zeigen: Wo ist Haar, das historisch geprägt ist, wo es Stile und Merkmale und Codes gibt? Und wo ist Haar, das wir verstecken oder entfernen? 

Um was genau geht es denn bei euren beiden Projekten? Was ist das Neue daran?

Stella: Am ehesten könnte man es vielleicht unterteilen in Utopie und Dystopie. Aber das trifft es eigentlich auch nicht ganz. Das Care-Video reproduziert erst einmal etwas, das in der Gesellschaft als positiv angesehen wird. Dieses Pflegen und kümmer dich um dich selbst und schau nach deinem Körper! Was aber am Ende nicht empowernd ist, sondern eher Sorge auslöst, was Care ja auch ist. Das Video darf  Zweifel an diesen Körperpflegekulten auslösen. Bei weiblich gelesenen Nippeln haben wir als Erstes an das Auszupfen von Nippelhaaren gedacht. Dort wird einem bewusst, wie absurd das ist, dass man an dieser super feinen Haut da rumdoktort. Die Fotos sollen eher etwas Empowerndes haben…

Mai: Aber auch etwas Ironisches! In den letzten Jahren wurden ja auch super viele feministische Debatten über Haare an weiblich gelesenen Körpern geführt. Wir wollten dadurch auch zeigen, wie sehr der Nippel als Symbol auch durch Binarität geprägt ist. Es ist ja alleine schon immer eine politische Entscheidung, ob er gezeigt wird oder nicht – wie auf Instagram zum Beispiel. Wir überspitzen, um zu zeigen: Wo ist Haar, das historisch geprägt ist, wo es Stile und Merkmale und Codes gibt? Und wo ist Haar, das wir verstecken oder entfernen? 

Stella: Wir wollten die Schönheitsideale, die man eher beim Kopf oder den Wimpern hat, an so eine Stelle setzen, wo wir sagen: “Da wollen wir aber keine Haare haben.” Wir wollten zeigen, wie prächtig das auch da aussehen kann.

Bei euren Shootings hat ja aber nicht nur das Endkunstwerk eine politische Message, sondern ihr wollt ja auch währenddessen einen Safer Space kreieren… Wie macht ihr das?

Mai: Ich glaube, sehr sehr viel reden und sehr viel Kommunikation. Erst mal unter uns, aber dann natürlich auch mit allen Menschen, die dann dazu kommen. Auch immer wieder nachfragen, womit sich die Leute wohl fühlen und auch sagen: “Es ist ok, wenn sich da währenddessen etwas ändert.” 

Stella: Und auch sich immer wieder gegenseitig auf Aspekte aufmerksam machen. Manchmal denkt man selbst so in eine Richtung und ist sich mancher Problematiken gar nicht bewusst. Im Gespräch handeln wir aus: “Wie gehen wir damit um, dass das passiert ist, oder wenn das passieren könnte?”

Mai: Ich hoffe auch offen zu sein für Leute, die uns darauf aufmerksam machen, dass noch etwas verändert werden könnte, um sich wohler zu fühlen. Dass man nicht nur von Konsens spricht, sondern auch wirklich konkret umsetzt und bereit ist, Kritik anzunehmen und zuzuhören.

Stella: Gerade bei so einem intimen Shooting ist es wichtig einmal zu sagen, dass man offen für Kritik ist – aber nicht nur da. Man kann überall Grenzen überschreiten.
Was bedeutet der queer:raum für euch? Wie war da euer Prozess die letzten Wochen in der Konzeption und in der Vorbereitung?

Mai: Ich empfinde gerade Euphorie, weil gerade im Münchner Raum endlich etwas angestoßen wird und wir schaffen da jetzt gemeinsam etwas Queeres. Mir hat das total gefehlt, sich hier mit Queers auszutauschen gerade auch auf einer künstlerischen oder kreativen Ebene. Das hat schon utopische Momente!

Wie nehmt ihr die queere Szene in München wahr? Kommt sie euch auch manchmal wie ein Dorf vor?

Mai: Ich glaube, was wirklich ganz dringend gebraucht wird, ist ein Raum. Weil so begegnet man sich nur auf so Veranstaltungsreihen, die aber keinen festen Platz in der Stadt haben. Man kennt sich so vom Sehen, aber wirklich Gespräche habe ich noch lange nicht mit allen geführt. Zu diesem Austausch über eigene Prozesse bräuchte es einen Raum. 

Stella: Manchmal habe ich auch so das Gefühl, es ist so ein Dreieck aus queerer Identität, künstlerisch sein und der politischen Einstellung. Dass das zusammen kommt, ist wirklich selten. Da bist du, Mai für mich eine der wenigen Personen, die das abdecken kann zum Austausch. Oder ich habe sie einfach noch nicht kennen gelernt. Zum Beispiel in künstlerischen Räumen ist es mir oft nicht queer genug. Oder es hat keinen politischen Ansatz. 

Was könnt ihr uns über die Zukunft nach der Ausstellung sagen? Mit der Gruppe und mit eurer Zusammenarbeit?

Mai: Wir wollen uns im Anschluss auf jeden Fall nochmal zusammen setzen und schauen, wie gestalten wir das noch und in welcher Form? Weil der Austausch ist gewünscht. Und vielleicht kommen auch noch neue Leute dazu. Und was uns beide betrifft: wir haben noch einiges vor. Mal sehen, was aus unserer engen Beziehung noch entstehen wird. Aber noch nichts Konkretes.

Stella: Was im Zusammenhang von queerer, politischer Kunst auch immer die Frage ist: Wie repräsentiert man seine Kunst? Dass das auch wieder vom Zugang her offen ist. Und dass man auch im Miteinander ausprobieren kann. Und auch voreinander zu zweit mal zu sagen: “Ich habe zwar ein grobes Bild im Kopf, aber sonst weiß ich es noch nicht.” Das ist auch das Umdenken von so einem männlichen Genie-Wahn. Wir kommunizieren anders. Auch über Kunst.

Mai: Wir zeigen auch Prozesse und Fehler und nicht nur das perfekte Endergebnis, was uns ja auch in Institutionen immer beigebracht wird. Davon lösen wir uns. Weil in der Gesellschaft ist eh schon Leistungsdruck. Und dann vielleicht auch einfach mal in der Bubble dagegen vorzugehen. Da probieren wir auch Dinge aus, die nicht zu unserer Kern-Profession zählen. Da darf ich mich auch außerhalb des Labels Maskenbildner*in bewegen und Dinge machen, worauf ich Bock habe. 

Das ist doch ein tolles Schlusswort! Vielen lieben Dank, dass ihr euch Zeit für das Interview genommen habt! Wir sehen uns bei der queer:raum Ausstellung dieses Wochenende.

Stella Traub by ©Francesco Giordano

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