Karla | 20.10.2022
Mit dem haushohen Wahlsieg der rechtsextremen Partei Fratelli d’Italia ist ein weiteres EU-Land nach rechtsaußen gerückt. An ihrer Spitze steht die Rechtspopulistin Giorgia Meloni, die ihre politische Karriere in der neofaschistischen Partei MSI begann und es bis heute vermeidet, sich vom Erbe Mussolinis abzugrenzen. Für viele liberal-konservative Medienmachende scheint jedoch die Tatsache, dass Meloni die erste weibliche Ministerpräsidentin Italiens wird, schon eher eine Headline wert zu sein. Eine gefährliche Verschiebung des Diskurses.
Während Meloni und ihre Partei einen erdrutschartigen Sieg davontrugen, hatte ich das Gefühl, ich sitze in einer toleranten Oase mitten im politischen Äquivalent einer atomaren Wüste. Die norditalienische Stadt Bologna, in der ich mein Auslandssemester mache, wird nämlich nicht nur wegen der charakteristischen Färbung ihrer Häuser “Die Rote” genannt, sondern auch wegen der politischen Tradition, in der sie steht. Bologna gilt als linke Hochburg: Die Italienische Kommunistische Partei war hier lange Zeit sehr erfolgreich, und die große Zahl von Studierenden sorgt noch heute dafür, dass das Stadtbild die antifaschistische Gesinnung widerspiegelt. Das zeigt sich an zahlreichen Graffitis und Slogans, die eine sozialere Politik einfordern und dem Rechtsextremismus den Kampf ansagen.
Demonstrationen und Widerstand in den Tagen vor und nach der Wahl blieben jedoch auch in dieser „roten Festung” Italiens irgendwie zaghaft. Die Resignation und Politikverdrossenheit der Italiener:innen zeigte sich an der niedrigen Wahlbeteiligung, die den Sieg des Rechtsbündnisses begünstigte. Trotzdem ist die Angst vor dem, was jetzt auf das Land zukommen könnte, deutlich spürbar.
In den Tagen nach der Wahl irritierte mich vor allem die Berichterstattung in den deutschen Medien sehr. Immer wieder wurde die Frage aufgeworfen, was Melonis “Frausein” nun für ihren Sieg bedeute – und ob es womöglich sogar einen Gewinn für den Feminismus darstellen könnte, dass Italien nun seine erste Ministerpräsidentin bekommt. Akribisch wurde Melonis Ideologie aufgeschlüsselt, ihr Bild der Frau als willenloses Muttertier, ihre Einstellung zu Abtreibung und Verhütungsmethoden, ihr Rassismus und ihre Queerfeindlichkeit – um auf den dümmlich blinzelnden Schluss zu kommen, dass das ja nicht so feministisch sein kann. Anna Clauß kam im
Spiegel dann trotzdem auf die Idee, dass eine Frau – Populismus hin oder her –
für den Job vielleicht dennoch besser geeignet sein könnte als ein Mann. Die
Süddeutsche Zeitung glänzte mit der Überschrift „Frauenpower trifft Rechtsregierung” und betonte
Melonis Durchsetzungswillen. Zwar kamen die meisten Debattenbeiträge auf den einzig richtigen Schluss: Natürlich ist es kein Sieg für den Feminismus, wenn eine Frau wie Meloni zum Staatsoberhaupt wird. Doch allein das Stellen dieser Frage in diversen Headlines, sowie die Darstellung Melonis als „starke Frau”, die sich gegen ihre machohafte Konkurrenz behauptet hat, beweist ein mangelhaftes Verständnis davon, was Feminismus eigentlich ist.
Den Anfang machte Hillary Clinton. „Die Wahl der ersten Frau zur Premierministerin eines Landes stellt immer einen Bruch mit der Vergangenheit dar, und das ist sicher eine gute Sache”, behauptete sie
in einem Interview zum Thema Meloni. Im besten Fall stellte Clinton damit auf ziemlich peinliche Weise ihr Unwissen zur Schau, denn Melonis Partei hat unter anderem mit der Aufstellung von Mussolinis Enkelin zur Rathaus-Wahl in Rom
einen „Bruch mit der Vergangenheit” ziemlich entschieden abgelehnt. Im schlimmsten Fall hingegen kann man hier die katastrophale Eskalation jener Art von Liberalismus beobachten, die sich gerne mit dem Begriff „Feminismus” schmückt. Menschen wie Clinton glauben, dass Gleichberechtigung erreicht werden kann, indem mächtige Frauen genau die Positionen einnehmen, die früher Männern vorbehalten waren: „Gleichstellung von oben” sozusagen. Oder es geht ihnen überhaupt nicht um Gleichberechtigung, sondern darum, aus den Kämpfen unserer Vorfahrinnen ihren persönlichen Profit zu schlagen.
Vergessen wird dabei, dass Frauen nicht mit dem Default-Setting „Pro Feminismus” auf die Welt kommen, nur weil sie Frauen sind. Im Gegenteil haben Frauen seit jeher aktiv und passiv zu ihrer eigenen Unterdrückung beigetragen – aus Bequemlichkeit, Konventionstreue oder aufgrund der Tatsache, dass sie selbst davon profitierten. Der Feminismus darf sich deshalb nicht darauf beschränken, eine Handvoll Frauen in Führungspositionen zu befördern, sondern muss die Machtstrukturen aufbrechen, die patriarchale Unterdrückung überhaupt erst möglich gemacht haben. Dazu gehört auch, zu verhindern, dass mächtige Frauen sich mithilfe von traditionell „maskulinen” Eigenschaften über marginalisierte Menschen erheben.
Giorgia Melonis Rolle als Frau ist es dennoch wert, näher betrachtet zu werden – nämlich im Kontext ihrer politischen Strategie. „Ich bin Giorgia! Ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin Italienerin, ich bin Christin!”, ruft die Populistin auf Kundgebungen: Es wird deutlich, dass Melonis Ideologie auf Gruppenzugehörigkeiten und klaren Identitäten beruht. Die Identität als Frau ist für ihren Erfolg dabei nicht unwichtig. Immer wieder inszeniert sich Meloni als volksnahe Frauenversteherin, die „von Mutter zu Mutter” spricht und der die Sicherheit der italienischen Frauen besonders am Herzen liegt. So stand Meloni beispielsweise in der Kritik, nachdem sie die Aufnahme einer Vergewaltigung auf Twitter geteilt hatte, die mutmaßlich von einem Asylbewerber begangen worden war. „Ich werde alles tun, um die Sicherheit in unseren Städten wieder herzustellen”, schrieb sie dazu. Mit derartigen Aktionen und ihrer Meinungsmache gegen die angebliche „Translobby” sendet Meloni ein deutliches Signal: Das Frausein ist etwas schützenswertes, kostbares, und es ist in Gefahr. In diesem Sinne ist Melonis Taktik mitverantwortlich für ihren politischen Erfolg und durchaus erwähnenswert. Sie darf jedoch nicht davon ablenken, dass Meloni und ihre Partei eine reale Gefahr für Demokratie und Menschenrechte darstellen.
Die mediale Berichterstattung zeigt in ihrer simplen Denkweise wieder einmal, dass Frauen in der öffentlichen Meinung noch immer primär Frauen sind – und sekundär Menschen, die unabhängig von ihrem Geschlecht gedacht werden. Im Falle von Rechtspopulistinnen wie Meloni, Le Pen und Weidel kann das dazu führen, dass ihre hochgefährlichen und demokratiefeindlichen Ansichten heruntergespielt oder beschönigt werden. Doch Meloni unterscheidet sich kein bisschen von den Orbáns und Trumps dieser Welt, und zweifellos wird sie ihre Macht nutzen, um das Leben von Frauen, Queers und allen anderen Menschen erheblich zu verschlechtern. Oder naja, ihr wisst schon, Frauenpower halt.