Lilly und Lena | 23.11.23
Die bayrische Autorin und Poetryslammerin Teresa Reichl ist in Ebersberg mit ihrem Programm "Obacht, I kann wos" aufgetreten. Unsere Redakteurinnen Lilly und Lena waren mit dabei und schildern hier ihre Erlebnisse.
Zu unserem Interview mit Teresa geht es
hier.
Foto: Lolografie
Ebersberg. Als wir um kurz vor sieben ankommen, ist noch keine Menschenseele da, das Alte Kino hat nicht einmal das Licht an. Das Programm geht erst um 20:30 Uhr dreißig los, was auch Teresa am Ende ihres Programms kommentieren wird (“Des is ja schon lang nach meiner Bettgehzeit eigentlich!”). Etwas über eine Stunde später allerdings ist der Saal voll, nicht nur die Tische, an denen das ein oder andere Bier bequem nebenher getrunken werden kann – selbst auf dem Balkon sind alle Plätze ausverkauft. An ein Kino erinnert der Raum nicht wirklich, die Bühne ist groß, die Vorhänge blau. An den Wänden hängen überall bunte Gemälde, deren Orangetöne zur Mangoschorle passen, die an einigen Tischen serviert wird. Die Stimmung ist entspannt, das Publikum älter, als von uns erwartet, schließlich ist Teresa ja ja vor allem im Internet bekannt. Zwei Damen Ende dreißig in unserer Nähe unterhalten sich über Männer, die eine zeigt ein Bild, “in echt sieht er aber viel besser aus”. Ihre Freundin ist nicht aus Bayern, es wird an diesem Abend zwischen den beiden noch das ein oder andere Mal darum gehen, ob sie Teresa verstanden hat.
Teresa tritt auf die Bühne. Sie trägt ein blau-grün gemustertes Mesh-Oberteil, eines ihrer Markenzeichen, der Eyeliner, diesmal in blau und gold, ist on fleek. “Servus Ebersberg”, begrüßt sie uns, wie sie uns heute noch öfter ansprechen wird. “Wie viele Einwohner habt’s ihr da, Ebersberg?” Die Frage wird mit zwölftausend beantwortet, woraufhin sie in sich hineinlacht und beginnt, ihre eigene Lebensgeschichte, den roten Faden des Programms, zu erzählen.
In ihrem Geburtsort, Haunersdorf bei Simbach bei Landau an der Isar, wie sie uns erklärt, sei ihre Familie unter den 500 Einwohnern eine Lokalberühmtheit. Sie selbst, die bei Wikipedia unter dem Artikel über Haunersdorf als “Persönlichkeit” gelistet ist, sei da nichts gegen ihren Opa, der mit dem Pfarrer per Du sei oder die Oma, die schon wisse, wer gestorben ist, bevor das überhaupt eingetreten sei. Es entspinnen sich Anekdoten über das Aufwachsen im niederbayrischen Dorf. Über den Mann einer Freundin sagt sie zum Beispiel, er habe “nur drei Gefühle: Hunger, Durst und Bier. Er is aber a ganz a netter Kerl, I mog’n wirklich gern!” Als ihre Freundin sie gefragt hätte, ob sie Trauzeugin sein wolle, habe Teresa geweint und der besagte Mann, damals Verlobter, sei so überfordert gewesen, dass er die beiden mit Schokostückchen beworfen hätte. “Ja, is a schneene Gschicht, nur dass des gar ned stimmt.” Löst Teresa plötzlich auf. Sie habe diese Geschichte einmal am Tisch erzählt, um dann zu merken, dass die beiden ja dabei sitzen, da gab es nur kein Zurück mehr. “Er schaut sie o und sagt: Hä?! Und sie dann mit voller Überzeugung: Du warst doch dabei!”
Letztendlich habe sie dabei praktisch eine neue Religion erfunden, da Religion ja immer so funktioniere, dass eine Gruppe von Menschen sich eine Wahrheit ausdenke, die niemand anderes überprüfen kann, um diese dann nach außen zu tragen.
“So Ebersberg. Wenn wir jetzt allen erzählen, dass da heute 12 Milliarden Menschen da waren, dass das die tollste Veranstaltung war, die wos jemals im Alten Kino in Ebersberg gegeben hat – Teresa Reichl hat an Rückwärtssalto und an Spagat gmacht, sowas habt’s ihr no ned gesehen – dann können wir des über Jahrtausende aufrechterhalten!” Bei Jesus hätten schließlich 12 Personen gereicht, um das Christentum zur Weltreligion zu machen. Um das Publikum final zu überzeugen, macht sie einen Spagat, sagt “Schaut’s jetzt miassts ned amoi liagn!” und entlässt uns in die Pause.
Die Befürchtung, das Publikum könnte mit Unbehagen auf einen so frechen Ton reagieren, bleibt unbegründet. Gerade die erste Reihe, mit der Teresa häufig interagiert, lacht laut und wird von ihr gelobt: “Leid wia eich braucht ma im Kabarett”. Wir lernen eine Teresa kennen, die eigentlich sehr gern ein langweiliges Leben führt, der das aber ein wenig peinlich ist, weshalb sie beginnt zu lügen, und das wohl sehr überzeugend. Das ganze Programm lässt uns mit der Frage zurück, was von dem, was sie erzählt, überhaupt stimmt – der intendierte Effekt. Ihr ist nicht zu trauen, wo sie doch so überzeugend, bildhaft und mitreißend erzählt, über ihre Jugend, die Schule, das Studium.
Im zweiten Teil wird es plötzlich ernst – ihre Strategie, wie sie mir später im kurzen Gespräch erzählt, denn, wenn die Leute, die in so kleinen Orten häufig Abo-Publikum sind und nicht wissen, was sie erwartet, bis dann bleiben, ist der Kaas biss’n, wie man in Bayern sagt.
Nachdem sie ihr Lehramtstudium beendet, entscheidet sich Teresa doch für die Bühne, ihren Bruder, der eigentlich Zimmerer gelernt hat und den Betrieb des Vaters übernehmen sollte, bewegt sie mitunter dadurch, doch Gitarrist zu werden. Ihr Studium habe sie jedoch genutzt – “I hob viel Zeit ghab’t in meine Vorlesungen” – um Antwortgedichte auf Poesie aus etlichen Epochen zu schreiben. Sie trägt Parodien vor, die auf verschiedene Epochen gemünzt und im jeweiligen Reimschema umgesetzt sind, Mittelalter, Barock, neue Sachlichkeit, auch etwas Modernes ist dabei, das sich über Tim Bendzko und andere “große Dichter und Denker” unserer Zeit lustig macht, “wie Leute im Internet wirklich denken”. Gekonnt schlüpft sie in die Position misshandelter, verratener und betrogener Frauen, von denen man ja auch erst spät erfahren hätte, dass sie überhaupt Menschen seien, geschweige denn, dass sie schreiben könnten. Sie schlägt mit den lyrischen Waffen der Männer zurück, es wird deutlich, dass Teresa nicht nur ihr Handwerk versteht, sei es Comedy oder Deutschunterricht, sondern auch eine begnadete Schauspielerin ist, die nicht selten allein durch ihre Mimik zum Lachen bringt.
Die langen Jahre in der Schultheatergruppe haben sich wohl gelohnt.
Spätestens jetzt ist klar geworden, dass es im zweiten Teil politisch wird. Teresa spricht über Menstruation, ihr Sexleben und bricht irgendwann plötzlich mit der lockeren, lustigen Stimmung, indem sie übergriffiges Verhalten im Showbereich thematisiert. “Eine Studie besagt, und die is ned neu, dass Männer Frauen nur dann unterstützen, wenn sie theoretisch mit ihnen schlafen würden. Die müssen mi also ned nur guad finden, sondern hot, damit I auftreten derf.” Es wird persönlich und ich erwarte fast, dass jemand aufsteht und geht. Aber Teresa möchte nicht persönlich angreifen, es sei ja wie in der Schule, “ma ärgert si oiwei über de, de ned do san”. Die bekämen dann halt auch den Ärger, aber sie sei ohnehin positiv überrascht, nicht nur von vergleichsweise zahlreichen den Männern, die wohl von ihren Frauen mitgeschleppt worden seien (“Die dengan se einfach, ja Gisela, du host de Karten kafft, da geh ma hi”). Generell ist Teresa angetan vom Publikum, das ihr an diesem Abend nicht das Gefühl vermittle, dass ihr Job Arbeit sei.
Immer wieder überrascht sie, ob mit dem Spagat im ersten Teil oder ganz am Ende damit, dass die Ukulele, die die ganze Show schon auf der Bühne liegt und im Publikum für Gespräche und Mutmaßungen sorgt, nicht mehr ist, als ein Gag. Sie könne nämlich gar nicht Ukulele spielen. “Die muas I dann immer mitschleppen, aber des isses mir wert”.
Peinliche Momente, unangenehmes Schweigen, sagt sie, überspiele man am Besten mit einem Tiergedicht, von denen sie uns reichlich vorträgt. Auch das Lehramt, die Schule ist ein Dauerbrenner, “ich beende die Show, nicht der Gong! Des sind auch alles Sprüche, die nur außerhalb vom Klassenzimmer witzig sind.” So viele Themen sie anspricht, so sehr holen sie die Leute an verschiedenen Punkten ab. Es gibt Witze für die Internetfeministinnen, für Lehrkräfte, selbst für die älteren Herren, für alle. Dabei zeigt sich Teresa nicht nur von ihrer besten Seite, es wird deutlich, dass da eine große Unsicherheit ist. Ihre Stärke ist es jedoch, diese in Humor umzuwandeln, sich aufplustern und Show zu machen, was “auf der Bühne funktioniert, privat ist des zu viel”.
Teresa kann wos, das ist klar. Und zwar nicht nur witzig, leicht, locker, sondern auch tiefgründig sein. Feminismus herantragen, auch an Hans-Peter aus dem Dorf, beiläufig über Dating und Sex mit Männern und Frauen sprechen und dabei doch immer die junge Frau aus dem Dorf bleiben, die eigentlich “privat gerne nix erlebt”. Dafür hat sie aber viel zu erzählen. Und ob das nun genau so stimmt oder frei erfunden ist, ist letztendlich völlig egal.