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Prime-Serie Wir Kinder vom Bahnhof Zoo: Party Rausch statt Höllentrip?

Caro und Cilia Spitz | 15.04.2021

 

TW: Drogen, Gewalt, Vergewaltigung, Prostitution, Sucht


43 Jahre nachdem der Buchklassiker „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ erschienen ist, kann man seit dem 19. Februar die gleichnamige 8-teilige Serie auf Amazon Prime anschauen. Die Meinungen der Zuschauer*innen gehen dabei jedoch stark auseinander.  Die Macher selbst beschreiben es als ein „bildgewaltiges Coming Of Age-Epos, das ein ebenso provokatives, kontroverses wie eindrückliches Bild der Berliner Drogen- und Clubszene zeichnet“. Auf der Internetseite IMDb ist der Bewertungsdurchschnitt bei 5,9 von 10 Sternen. Einige Rezensionen beklagen, dass die Serie drogenverherrlichend ist und an der Realität vorbei schrammt, während andere die Neuinszenierung für ihre ästhetischen Bilder und die schauspielerischen Leistungen loben.

Das Buch erzählt schonungslos und offen die tragische Geschichte der Christiane F., die mit 12 die ersten Pillen schluckte und mit 13 ihren ersten Heroinrausch hatte. Schon mit 14 war sie machtlos gegen ihre Heroinsucht und prostituierte sich, um an Geld für Drogen zu kommen. Für Christiane und auch für die anderen Kinder in dem Buch dienten die Drogen dazu, ihren Problemen wie Gewalt im Elternhaus zu entkommen. Es brauchte viele Entzüge, bis Christiane am Ende clean bei ihren Großeltern im Norden wohnte. So endet das Buch und auch die Serie. 


Aber hat es das „Coming Of Age-Epos“ wirklich geschafft, die Berliner Drogen- und Clubszene realitätsgetreu darzustellen und wird die Serie dem Buch gerecht?

Der wohl größte Kontrast zwischen Buch und Serie sind die unterschiedlichen Botschaften, die den Leser*innen bzw. Zuschauer*innen vermittelt werden. Die Serie weckt beim Anschauen den Wunsch sich selbst auszuprobieren, sich lebendig zu fühlen, über die Stränge zu schlagen - eine Sehnsucht, die besonders jungen Menschen nicht fremd ist. Serienschöpferin Annette Hess sagt selbst, sie wollte „eine Serie erschaffen, die bei den Zuschauern den Wunsch auslöst Drogen zu nehmen“. Nun, das ist gelungen. Das Vorhaben, den Zuschauer*innen „gleichzeitig eine Heidenangst davor zu machen, in dem sie ihre zerstörerischen Auswirkungen zeigt“ - eher weniger. Während das Buch sowie der Kinofilm von 1981 es schaffen, die Folgen des Drogenkonsums unzensiert und schonungslos aufzuzeigen und somit für Abschreckung sorgen, stellt die Serie den Wunsch der Teenager sich auszuprobieren und der Realität zu entfliehen gut dar, wirkt aber eher Drogen verherrlichend, als dass sie der Problematik einer Drogensucht gerecht werden würde. Die schockierenden Szenen des Films aus den 80ern, die sich ins Gehirn der Zuschauer*innen eingebrannt haben, bleiben weitestgehend aus. Umso mehr geraten dafür Szenen in den Vordergrund, die die Leichtigkeit und Glückszustände während eines Drogenrauschs zeigen. 

Vintage Klamotten im 70s Look suggerieren eher die wohlstandsverwahrloste Kokain-Schickeria als heroinabhängige Kinder aus dem sozialen Brennpunkt.

Kostümbild, Szenenbild, die gesamte visuelle Gestaltung - alles wirkt zu sauber, zu durchgestylt, zu gewollt, zu bunt - schicke Ledermäntel und Vintage Klamotten im 70s Look suggerieren eher die wohlstandsverwahrloste Kokain-Schickeria als heroinabhängige Kinder aus dem sozialen Brennpunkt, die sich ihren Drogenkonsum auf dem Babystrich finanzieren müssen. Da reichen auch keine müde geschminkten Augen und ein bisschen Schweiß im Gesicht, wenn sie „auf turkey“ sind.  Es fehlen völlig die Zeichen des langfristigen, körperlichen Verfalls durch den Drogenmissbrauch. Die Figur Axel, schwer heroinabhängig, hat keinerlei Einstichstellen an den Armen, sieht jung und gesund aus und lebt ein normales Leben mit Lehrstelle. Auch die Entzugsszenen wirken verharmlosend - als wär´s mit ein paar mal in den Eimer Kotzen, Schwitzen und Bauchkrämpfen getan.

Noch dazu kommt die fehlerhafte Darstellung der Droge, denn wer sich Heroin spritzt, kommt runter, nimmt die Droge, um abschalten zu können und den Problemen aus dem Weg zu gehen. In der Serie wirkt es durch berauschende Tanzszenen, als sei Heroin aufputschend, eine ultimative Partydroge. Auch das Verhalten der Clique ist viel zu freundschaftlich und hilfsbereit. Heroin-Junkies sind von ihrer Beziehung zur Droge bestimmt und sind im Rausch nicht in der Verfassung, unterstützende Freundschaften wie in der Serie dargestellt, zu leben.


Eine Drogensucht verbaut in der Regel jegliche Zukunftschancen. Als Junkie bestimmt die Droge bzw. die Beschaffung dieser das Leben. Die Suchtproblematik bleibt ein Leben lang, sowohl die resultierenden Schäden im Körper als auch ein erhöhtes Risiko durch einschneidende Lebensereignisse rückfällig zu werden. Das Ende der Serie entlässt den Zuschauer hingegen mit dem Gefühl, dass alle (überlebenden) Charaktere nun in ein neues, drogenfreies, unbeschwertes Leben starten. Paradox, da in Wirklichkeit Christiane F. die einzig Überlebende der Clique ist. Die Traumata, die den Figuren durch ihre Drogensucht widerfahren sind (Babystrich, Vergewaltigungen etc.) bleiben glänzlich unbehandelt. Es weckt den Eindruck, als wäre die tiefgehende Problematik der Prostitution von Kindern und Jugendlichen völlig nebensächlich bzw. den Machern der Serie nicht bewusst. Deutlich wird das durch die Darstellung in Folge 5 ab der 37. Minute: Die drei Mädchen sind stylisch gekleidet, lachend auf der Suche nach einem neuen Freier. Die ganze Szene ist mit dem gute- Laune-Song „L.E.S Artistes“ von Santigold unterlegt, und das Geschehen in der Szene pervertiert, weil hier Kinder-Prostitution als cooles, selbstbestimmtes und spaßiges Happening abgetan wird. Auch die immer wieder auftretenden fiktiven Sequenzen, bei denen die Kinder durch die Luft schweben oder Wände sich bewegen, verleiten dem Ganzen einen märchenhaften Touch, der noch mehr dazu führt, dass man die Szenerie nicht wirklich ernst nimmt.

Eine Drogensucht verbaut jegliche Zukunftschancen. (...) Die Suchtproblematik bleibt ein Leben lang, (...). Das Ende der Serie entlässt den Zuschauer hingegen mit dem Gefühl, dass alle (überlebenden) Charaktere nun in ein neues, drogenfreies, unbeschwertes Leben starten.

Schnell wird klar: das Schicksal der Christiane F. wird kommerzialisiert. Nicht der Aufklärungsanspruch, sondern der Entertainmentwert steht hier im Vordergrund, generiert durch tolle künstlerische Effekte, bunte Kostüme und poppige Musik. Alles wird wild vermischt - Hauptsache es sieht sexy aus und kreiert einen neuen Look, der was hermacht - dazu gehört natürlich auch, sich sozialkritischen Themen zu widmen und sich mit den menschlichen Abgründen zu beschäftigen - aber eben nur im ästhetischen Rahmen.


Dennoch fesseln einen die großartigen schauspielerischen Leistungen des jungen Casts und lassen die Serie in einem besseren Licht dastehen. Obwohl zurecht kritisiert wurde, dass die Schauspieler*innen alle schon Anfang 20 sind und dementsprechend nicht aussehen wie 12-16-jährige Kinder, was wieder zu einer Verharmlosung der realen Geschehnisse führt.


Letztendlich bleibt die Frage: Was möchte die Serie uns eigentlich sagen? Durch die angestrebte Zeitlosigkeit der Serie wird sowohl kein korrektes Bild der Berliner Drogenszene der 70er Jahre aber ebenso wenig eins der heutigen Drogenszene, wo Drogenvermittlung und Prostitution übers Internet laufen, gezeichnet. Die ganze Serie ist wie ein ästhetisches Kunstwerk inszeniert und nicht wie ein abschreckendes Beispiel für Drogenmissbrauch, das die Gefahr und die zerstörerische Wirkung von Drogen aufzeigt und wird somit dem Buch nicht gerecht.


Quellen:

https://www.film.tv/nachrichten/2021/wir-kinder-vom-bahnhof-zoo-serie-verherrlicht-drogen-mit-absicht-53294.html , Fynn Sehne, 25.2. 21 11:58, letzter Zugriff am 13.4.21 um 11:00

https://www.imdb.com/title/tt13138972/

https://www.amazon.de/Wir-Kinder-vom-Bahnhof-Zoo/dp/B08W9F6C7M
Bildquelle: https://static.dw.com/image/56605289_303.jpg

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