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Safer Spaces in der Techno-Szene Zwischen hegemonialer Männlichkeit und Awareness-Arbeit

Julia | 12.03.2025

In der Liste der 100 erfolgreichsten DJs des britischen Magazins DJ Mag aus dem Jahr 2022 finden sich gerade einmal 15 FLINTA+-Personen wieder. In die Top 10 der 100 erfolgreichsten DJs hat es keine einzige FLINTA+ geschafft. Und auch wenn der Anteil von FLINTA+-DJs auf Festivals langsam zu steigen scheint, wird deutlich, dass die Zahl von FLINTA+-DJs in der elektronischen Musik-Szene klar hinter der der männlichen Kollegen zurückbleibt.


 Soviel also zu dem, was auf der Bühne passiert. Doch was hat das mit dem Publikum zu tun? Wie willkommen fühlen sich FLINTA+ inmitten von heteronormativ geprägten Festival-Crowds? Und noch viel wichtiger: Wie können wir dafür sorgen, dass sich FLINTA+ sowohl auf als auch vor der Bühne sicher fühlen? Schließlich geht mit fehlender Repräsentation von FLINTA+ auf Line-Ups ein Mangel von sicheren Räumen einher. Wie bekämpfen wir also vor diesem Hintergrund strukturelle Probleme einer patriarchal geprägten Musiklandschaft? All diese Fragen möchte ich im Folgenden auf ein bestimmtes Genre elektronischer Musik zuschneiden: Techno. Denn das Genre Techno stand in seiner Entstehung wie kein anderes Genre für sichere Räume und Toleranz.


Von Anfang bis Mitte der 1980er-Jahre entwickelte sich in Amerika ein konzeptioneller, experimenteller Stil elektronischer Tanzmusik: Techno. Hier kamen die unterschiedlichsten Menschen zusammen und kreierten den ersten Safer Space der elektronischen Tanzmusik: Insbesondere schwules afroamerikanisches Klientel fand hier zusammen und durchtanzte die Nacht. Nach verschiedenen Etappen und Entwicklungen in Amerika schwappte die Techno-Welle Ende der 80er Jahre auch nach Europa über und entwickelte sich zur Rave-Kultur weiter.


„Die Technik intensivierte das lustvolle Erleben der Musik, die Überschreitung körperlicher Grenzen und das Gefühl von Verbundenheit im Tanz."


Was die gesamte europäische Rave-Szene gemein hatte, war die körperliche und mentale Hingabe, mit der getanzt wurde. Nebel, Laserstrahlen und Stroboskope verwandelten die Rave-Locations in eine neue Welt – fernab von Politik, Krieg und Machtkämpfen. Die Technik intensivierte das lustvolle Erleben der Musik, die Überschreitung körperlicher Grenzen und das Gefühl von Verbundenheit im Tanz. Maria Pini, die den Artikel „Women and the early British Rave Scene” veröffentlichte, erzählt davon, wie sich Frauen das erste Mal mit Männern gleichgestellt fühlten. Es war egal, wie sie sich kleideten, es war egal, dass sie schwitzten. Alle genossen gemeinsam das Tanzerlebnis und ließen sich in der Techno-Musik fallen. Die Frauen fühlten sich zum ersten Mal frei von traditionellen Bildern und Zwängen. Sie waren nur knapp bekleidet und dennoch fühlten sie sich nicht sexualisiert: Sie fühlten sich sicher.


Nach anfänglicher Euphorie seitens der Techno-Enthusiastinnen und FLINTA+-Personen, die sich erste DJ-Skills beibrachten, dauerte es jedoch nicht lange, bis sich die kommerzielle Musikindustrie die Techno- und House-Musik aneignete. Die weiß und Cis-männlich geprägte Musikindustrie gründete zahlreiche kommerzielle Labels und trieb das Massengeschäft der elektronischen Tanzmusik voran. Je kapitalistischer die Musik wurde, desto weniger Plätze hatten Frauen im Musikgeschäft. Im Laufe der 90er Jahre stieg die Zahl von kommerziellen Partys an, während die Rave-Szene schrumpfte und sich zu kleineren, illegalen Raves zurückzog. Somit entwickelte sich eine vielversprechende Szene, in der Frauen und FLINTA+ einen Platz zu haben schienen und die von schwulen afroamerikanischen Männern begründet worden war, zu einer weißen heterosexuell geprägten Szene. Nach und nach entwickelte sich diese sichere Umgebung von Techno-Raves zu kommerzialisierten Events mit gender-geprägtem Leistungsdruck. Der Rahmen der Techno-Szene wurde professionalisiert, nahm patriarchale Strukturen an und verursachte eine Stagnation der Repräsentation von FLINTA+-Personen.  Sie wurden weniger vermittelt, bekamen weniger Jobs und fanden sich schnell in Aufgaben wie der Arbeit hinter der Bar oder an der Garderobe wieder. Dieser Vorgang bestätigte gängige Geschlechterbilder, nach denen FLINTA+-Personen keinen Zugang zur Technik haben sollten. Während das männlich dominierte Netzwerk von Clubbetreiber*innen und DJs folglich expandierte, wurde es für FLINTA+-Personen immer schwieriger, eine Schlüsselposition innerhalb dieser Netzwerke einzunehmen. 


„Aus einem offenen Subkultur-Publikum wurde Mainstream, womit auch Unsicherheiten für FLINTA+-Personen entstanden. Besonders die dunklen Tanzflächen mit einer schlechten Raumübersicht durch das Stroboskop-Licht schaffen einen täterschützenden Raum."


Hand in Hand mit fehlenden Räumen für FLINTA+ gingen auch unsichere Räume für Besucher*innen von Techno-Veranstaltungen einher. Aus einem offenen Subkultur-Publikum wurde Mainstream, womit auch Unsicherheiten für FLINTA+-Personen, insbesondere gegenüber männlich gelesenen Personen, entstanden. Besonders die dunklen Tanzflächen mit einer schlechten Raumübersicht durch das Stroboskop-Licht schaffen einen täterschützenden Raum. Auch das Zusammenspiel mit dem für das Nachtleben typischen Konsum von Drogen und Alkohol lässt die Hemmschwelle von Männern für Belästigungen und Übergriffigkeiten sinken. Zudem stoßen FLINTA+ in der Zusammenarbeit mit männlichen Bookern und dem Publikum immer wieder auf Situationen, in denen ihre Hemmungen und Unsicherheiten ausgenutzt und sie aktiv benachteiligt werden – beispielsweise mit schlechten Zeitslots. 


Ein weiteres Problem ist die fehlende Repräsentation: Fast alle Namen, die in der Historie der Entwicklung der Techno-Musik in der Literatur zu finden sind, sind männliche Namen. Dabei stellt sich die Frage, ob es FLINTA+-Personen in der Geschichte gab, deren Namen bewusst ignoriert wurden. Frauen in der westlichen Welt wurde zu dieser Zeit nämlich der Zugang zu Musik und zu musikalischem Schaffen weiterhin verwehrt, weil feminisierte Musik häufig mit Lärm gleichgesetzt wurde. Von Lärm als Quelle der Kreativität und Inspiration war stets im Zusammenhang mit männlichen Künstlern die Rede, während Lärm in Verbindung mit FLINTA+ „disorder, chaos, complexity and excess“ bedeutete. Die daraus folgende Trivialisierung ihres Schaffens führte entsprechend zur Minimierung ihrer akustischen Präsenz. Folglich wurden FLINTA+-Personen in historischen Darstellungen der Entwicklung elektronischer Musik häufig nur am Rande erwähnt, weil der  Fokus auf männlichen Vertretern liegt.


Was können FLINTA+ gegen dieses Machtgefälle unternehmen? Die Antwort liegt in zwei Lösungsansätzen: FLINTA+-Netzwerke und Awareness-Arbeit. FLINTA+ können sich in den patriarchal geprägten Gruppendynamiken der elektronischen Musik nur emanzipieren, wenn sie selbst Netzwerke gründen. Schließlich basiert das DJing auf einer „Do-it-yourself-Kultur“, weshalb es unabdingbar ist, dass das Wissen um Techniken sowie Equipment und angesagte Musik weitergegeben werden. Insbesondere der Austausch über Probleme und Unsicherheiten unterscheidet sich maßgeblich von heteronormativ männlich dominierten Netzwerken. Eine weitere wichtige Bedeutung queerfeministischer Kollektive liegt im Aufzeigen von Sexismus, Rassismus, Ableismus und Diskriminierung innerhalb der Szene. Schließlich ist es wichtig, Übergriffigkeiten und Misogynie in Techno-Clubs zu benennen und sich klar zu positionieren, um dem entsprechenden Verhalten entgegenzuwirken. 


Der zweite Ansatz, mit dem FLINTA+ Personen für sichere Räume in der Techno-Szene kämpfen, besteht in der Awareness-Arbeit. Awareness-Teams setzen sich für emanzipierte Partys ein, auf denen sich alle wohlfühlen können. Wer eine negative Erfahrung macht, kann sich somit an das Awareness-Team wenden und Unterstützung suchen. Ebenfalls sehr wichtig für Veranstaltende von Techno-Parties ist der Blick auf den DJ-Timetable. Sind alle guten Slots von Männern besetzt? Wie sieht die Gesamtdramaturgie aus? Haben FLINTA+ einen guten, ihnen entsprechenden Platz im Line-Up? Grundsätzlich sollte der gesamte Party-Raum zur Aufklärung über feministische Inhalte genutzt werden. So können beispielsweise Ausstellungen oder Bauchläden, die Themen wie das queerfeministische Verständnis von Inklusion und Achtsamkeit oder körperliche Selbstbestimmung und Sexualaufklärung behandeln, für jede Person frei zugänglich sein. Zudem ist es wichtig, nicht nur die beliebtesten und bekanntesten DJs einzuladen, sondern auch weniger bekannte Künstler*innen zu präsentieren – vielleicht auf kleineren Bühnen. Auch sollten Veranstaltende ihre Macht, das Lineup zu kuratieren, delegieren, um andere Meinungen und Ideen miteinzubeziehen. Wenn beispielsweise ein Festival über größere Kapazitäten verfügt, sind auch Workshops und Skillsharing-Räume ein guter Rahmen für den Austausch von Fähigkeiten und Wissen. 


Und auch FLINTA+-Personen, die als Besucher*innen oder als DJs an Techno-Veranstaltungen teilnehmen, können sich für Awareness und Aufklärung stark machen. Somit sind die bereits erwähnten Netzwerkstrukturen überaus wichtig, um einander kollegial zu unterstützen und einander zu Auftritten zu verhelfen. Schließlich profitieren FLINTA+ sowohl vor als auch auf der Bühne von sicheren und achtsamen Strukturen. Ein wichtiges Werkzeug für FLINTA+-DJs sind außerdem Inklusions-Rider. Darin können sie manifestieren, welche Voraussetzungen sie hinsichtlich Diversität und Inklusion an die Veranstaltenden stellen. Sollte eine FLINTA+-DJ-Person dann beispielsweise eine Veranstaltung absagen müssen, könnte diese Person in ihrem Inklusionsrider festschreiben, dass als Ersatz für sie nur andere Personen aus marginalisierten Gruppen in Frage kommen.


„Awarenessarbeit muss strukturell in die Nachtkultur implementiert werden."


FLINTA+ machen Marginalisierungs- und Diskriminierungserfahrungen, die aus ihrer Geschlechtsidentität und unterschiedlichen Machtpositionen resultieren. Sozialisationsbedingte misogyne Ansichten führen dazu, dass patriarchale Strukturen negativ auf FLINTA+ einwirken und diese ihre Positionen nicht durchsetzen können. Zudem sind sie immer wieder sexualisierter Gewalt ausgesetzt und von übergriffigem Verhalten betroffen, was für Männer seltener zutrifft, und folglich immer wieder unsicheren Räumen ausgesetzt. Um dies nachhaltig zu verändern und die Techno-Szene, die ursprünglich geradezu fortschrittlich für sichere Räume stand, zu verändern, müssen FLINTA+ Netzwerke bilden und sich auf nachhaltige Awareness-Strukturen verlassen können. Entsprechend müssen Personen in der Awarenessarbeit professionell ausgebildet und fair bezahlt werden. Awarenessarbeit
muss strukturell in die Nachtkultur implementiert werden. Denn nur so können Sicherheit und Teilhabe von FLINTA+ in der Techno-Szene - und auch in anderen Club- und Party-Strukturen - langfristig gewährleistet werden. 




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