Leni | 31.01.23
Kaffeeklatsch im Kaff ist eines meiner persönlichen Highlights jedes Heimatbesuchs. Wenn jedoch Wörter wie „Dorfmatratze“ fallen, verschlucke ich mich an meinem Cappuccino und denke daran, wie ich in meiner Bubble High-Fives für jeden Hook-up bekomme – als weiblich gelesene Person! Zurecht? Ja, denn Sex kann ein rebellischer Akt sein für Menschen, die im Falle von sexueller Aktivität in ihrer weiblichen Sozialisation mit hoher Wahrscheinlichkeit schon mit Slut-Shaming konfrontiert waren. Und es ist auch ein rebellischer Akt, weil diese ja doch auch viel weniger Lust haben sollen als Menschen mit Penis – es wurde jedenfalls noch nie einer Person vorgeworfen, „vulvagesteuert“ zu sein. Wieso sollte die Person mit ihrem Genital denken, sie denkt ja bestimmt nicht mal an ihr Genital, sie hat doch bestimmt keinen Bock.
Katja Lewina weiß es wohl besser und schrieb 2020 das Buch „Sie hat Bock“. Na sowas! Lewina schreibt hier ungehemmt von Pornos, Bettgeschichten, nicht-monogamem Leben oder Toys und zeigt auf, wie das Patriarchat und die „Maskulinisierung der weiblichen Lust“ (Sandra Konrad, zit. nach Lewina 2020) in der weiblichen Sozialisation ein wildes und unverbindliches Sexleben von Anfang an von der potenziellen Wunschliste streicht. Diesen Wunsch nun endlich ausleben zu dürfen, das scheint die stärkste Waffe gegen die (sexuelle) Unterdrückung zu sein. Denn der Wunsch schlummert in allen, auch den weiblich sozialisierten Menschen. Oder etwa nicht?
Was bei Sexpositivität oft vergessen wird, vergisst auch Katja Lewina. Das überrascht wenig, denn Queersensibilität kann sie sich grundsätzlich nicht auf die “Feminismus”-Fahne schreiben. Sexpositivität bedeutet nämlich gar nicht, dass jetzt alle Menschen auf die Frage „Möchtest du Sex mit mir haben?“ mit „positiv“ antworten. In ihrem Buch „[Un]sichtbar gemacht – Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“ definieren die Aktivist*innen Annika Baumgart und Katharina Kroschel (2021, 30) sex-positiv und romantisch-positiv folgendermaßen: „Diese Begriffe meinen eine offene und unterstützende Einstellung zu sexueller/romantischer Freiheit und Vielfalt. Das umfasst nicht nur die Unterstützung von beispielsweise Polyamorie oder der Möglichkeit, viel Sex zu haben, sondern auch die Unterstützung davon, keinen Sex zu haben oder keine romantischen Beziehungen führen zu wollen.“
Auf meine Frage, ob die beiden das Gefühl haben, dass diese Definition – und vor allem der letzte Teil - auch die ist, die in feministischen Kreisen geläufig ist, meint Katha: „Über die Definition von Sexpositivität denken wir ständig neu nach. Sex ist weder gut noch schlecht, er kann beides sein für Individuen, aber er ist nicht irgendwie inhärent aufgeladen, es ist einfach etwas, das Leute machen, wie Bungee Jumping oder mit dem Hund Gassi gehen. Ich glaube, viele Menschen haben da noch nicht so drüber nachgedacht und ich glaube, viele Leute sind gar nicht extra acefeindlich.“
Acefeindlichkeit, also „alle Formen der Marginalisierung, Ablehnung und Diskriminierung gegenüber asexuellen Menschen“ (Baumgart und Kroschel 2021, 177) ist vermutlich das größte Problem der sexpositiven Bewegung. Sex von der Schmuddelecke ins Rampenlicht zu ziehen, bedeutet nicht, alle zum Tanzen zu zwingen. Acefeindlichkeit ist eng verknüpft mit der Allonormativität, der „gesellschaftliche[n] Erwartung, dass alle Menschen ab einem gewissen Alter romantische und/oder sexuelle Anziehung verspüren“ (Baumgart und Kroschel 2021, 177).
Acefeindlichkeit äußert sich zum Beispiel in Form von Pathologisierung, im Zuge derer Leute asexuelle Menschen mit Aussagen wie „Das gehört ja dazu und ist menschlich“ belästigen, berichtet Katha in unserem Gespräch. Sex ist menschlich – aber nicht im Sinne von (ausschließlich) biologisch determiniert und für jede Person erstrebenswert, sondern im Sinne von sozial konstruiert. Allonormativer Sexpositivismus scheint leider oftmals einem sexuellen Essentialismus zu folgen, das ist nach der Feministin Gayle Rubin (1984, zit. nach Baumgart und Kroschel 2021, 89) „[die] Idee, daß Sex als natürliche Triebkraft jeder sozialen Existenz vorausgeht und eigene Ordnung formt“. Diesem gilt es sich entgegenzustellen: wenn du keine oder kaum Lust auf Sex hast, heißt das nicht unbedingt, dass du aufgrund des Patriarchats deine in dir schlummernden natürlichen Triebe noch nicht geweckt hast, sondern vielleicht bist du einfach auf dem Acespec und da schlummert gar nichts.
Sex verliert dadurch nicht an rebellischem Potential oder die sexpositive Bewegung an Legitimation – ganz im Gegenteil. Asexuelle Perspektiven bereichern diesen Bewusstseinswandel und fordern nicht dazu auf, einen Schritt zurück, sondern noch einen weiter zu gehen: auch keinen Sex zu haben ist ein emanzipatorischer Akt und bricht mit gesellschaftlichen Tabus und Unterdrückung in Bezug auf Sex.
Du kannst auch sexpositive*r Feminist*in sein, wenn du wenig oder keinen oder nur mit bestimmten Leuten oder unter gewissen Voraussetzungen Sex hast. Freut mich trotzdem für Katja Lewina, dass sie so ein tolles Sexleben hat. Wirklich.
Wer mit Leni, Katha und Anni noch mehr über Asexualität sprechen möchte, kann das am 19. Februar bei einem online-Diskussionsnachmittag, organisiert vom Verein bunt_lieben, machen. Alle Infos dazu findet ihr hier: https://www.buntlieben.ch/events/2023/sexualitaet-und-feminismus/
Und hier kommt ihr zu Kathas und Annis Buch „[Un]sichtbar gemacht – Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“: https://www.edition-assemblage.de/en/buecher/unsichtbar-gemacht/