Stella | 30.09.2021
Ist das Kunst oder kann das weg? Den Satz haben wir vermutlich alle schon mal gehört, egal ob als Witz über die sich seit Wochen stapelnden leeren Klopapierrollen im Bad oder als abfälliger Kommentar über irgendein Bild, irgendeine Skulptur oder andersartiges Kunstwerk, das in irgendeiner Galerie hängt, an der man vorbeikommt. Hinter dem Satz brodelt aber tatsächlich eine zu beobachtende und interessante, politisch aktuelle Kulturentwicklung, die nicht unwesentlich ein Effekt des Kapitalismus ist. Wolfgang Ullrich benennt in seinem gleichnamigen Buch das Phänomen der Siegerkunst: Kunst gemacht von Sieger*innen für Sieger*innen.
Diese Sieger*innen sind die Reichen und Superreichen der Gesellschaft, die den Kunstmarkt antreiben und dominieren. Achtung: Wir sprechen in diesem Text bewusst über den Kunstmarkt und nicht über die Werke, die öffentlich zugänglich in Museen wie den Pinakotheken oder dem MoMA ausgestellt hängen. Die haben noch einmal ein ganz anderes Problem des Elitarismus, darum soll es in diesem Text aber nicht vorrangig gehen.
Das Unangenehme gleich vorweg: Entgegen Erwartungen mancher Menschen malt ein*e Künstler*in nicht mal eben aus Lust und Laune Bilder, wird dann entdeckt und zum neuen Picasso gemacht, sondern der Kunstmarkt ist ein knallhartes Geschäft voller Konkurrenzdruck und ausgeliefert der Nachfrage von Sammler*innen (wie die Käufer*innen mittlerweile meist genannt werden, auch wenn sie keine aufeinander abgestimmten Sammlungen haben). Es ist ein kapitalistisches System von Angebot und Nachfrage. Was macht jetzt bestimmte Künstler*innen so viel erfolgreicher als andere? Es ist nicht unbedingt die Qualität oder politische Tiefe der Werke, im Gegenteil. Die findet man vermutlich tatsächlich eher in Museen oder auf Biennalen und anderen Ausstellungen. Wolfgang Ullrich beschreibt eine Strömung auf dem Kunstmarkt, die Kunst gezielt zur Ware macht, weg vom eigentlichen Charakter der Kunst. Für die Kunst der Moderne charakteristisch definiert Ullrich den Anspruch, Auseinandersetzung mit den Rezipient*innen zu provozieren und diese auch zum Nachdenken und “zu schmerzhaften Auseinandersetzungen bereit” waren (Ullrich, Wolfgang (2016). Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust. Berlin: Klaus Wagenbach, S.38). Es ging darum, sich gezielt mit der Kunst zu beschäftigen und gerade auch um Leute, die selbst (teils existenziellen) Problemen ausgesetzt waren und die Kunst als Weg angesehen haben, sich mit ebensolchen Problemen und Fragen auseinanderzusetzen, auch als Therapie (ebd.).
Mittlerweile ist in westlichen Ländern der Bevölkerungsanteil mit solchen Herausforderungen doch deutlich geschrumpft. Der*die typische Bildungsbürger*in kommt aus gebildeten, privilegierten Schichten. Tritt dann doch mal ein Problem auf (wir reden hier von alltäglichen Verstimmungen, NICHT von Leuten, die ernsthafte Probleme haben!), gibt es meistens das entsprechende Konsumgut, um sich davon abzulenken. Gerade die Reichen und Superreichen haben auch die nötigen Mittel, um sich alles Mögliche zu kaufen, was sie von Langeweile, Erschöpfung, Stress oder Einsamkeit ablenkt. Und hier finden wir die Siegerkunst. Kunst auf dem Kunstmarkt ist teuer (um nicht zu sagen sauteuer, laut einem Zeit Artikel von 2018 lag der durchschnittliche Auktionspreis in der EU bei nicht ganz 43.000€), nicht jeder kann sie sich leisten, sie ist ein Statussymbol. Warum also nicht anfangen, Kunst zu sammeln, um sich vom alltäglichen Stress abzulenken und gleichzeitig noch zu demonstrieren, dass man gebildet ist UND das zusätzliche Geld hat, um sich diese Bildung für daheim leisten zu können?
Hier findet sich auch ein Trend zu möglichst “provokanten” Werken, um gleichzeitig souverän zu wirken und zu zeigen, dass man auch andere mit dem eigenen Kunsterwerb provozieren und damit schocken kann, sich vermeintlichen “Trash” für horrende Summen leisten zu können. Es geht um Besitz, nicht um Kunstrezeption. Preis wird häufig mit Qualität gleichgesetzt, ganz egal was letztendlich vor einem steht/hängt. Künstler*innen, die ihre Werke für Hunderttausende von Euros verkauft bekommen, gelten häufig als “Stars”, als die bedeutendsten Künstler in der Branche.
Der eigentliche Kunstanspruch der Moderne geht dabei aber oft verloren: anstatt Kunst als Instrument für Gesellschafts- (und vor allem oft Kapitalismus-)kritik zu machen und kritische Rezeption zu erzwingen, werden Auftragswerke über Auftragswerke geschaffen, die von irgendwelchen reichen Sammler*innen für ihr Wohnzimmer angefordert werden, Bedingung ist, dass es zum generellen Wohnambiente passt. Werke werden zu bedeutungslosen Designobjekten.
Um die Künstler*innen hier kurz zu entlasten: das Kunstgeschäft ist knallhart. Wer davon leben will, muss irgendwie zusehen, wo das Geld herkommt. Es geht daher nicht darum, alle Künstler*innen zu kritisieren, die ihre Werke auf dem Kunstmarkt zum Verkauf anbieten. Und nicht alle Kunst, die verkauft wird, ist schlecht, bedeutungslos oder Austauschware. Aber gerade die besonders erfolgreichen Künstler*innen rutschen oft in eine Produktionsmaschinerie rein, wo Kunst wirklich nur noch reine Ware wird. Es wird sogar zum Statussymbol, wenn Künstler*innen offen damit umgehen, die Arbeit an ihren Werken aufzuteilen oder sogar abzugeben, sie werden eher zu CEOs, die die Arbeit delegieren, als zu selbst Schaffenden, dafür ist die Nachfrage zu hoch. Auch das passt zum verstärkten Kapitalismuscharakter. Ullrich nennt in seinem Buch z.B. den Künstler Anselm Reyles, der angeblich in seinem (riesigen) Atelier von Station zu Station wandert, an dem Arbeiter*innen die Bilder malen/bekleben etc. Nach einer kurzen Inspektion entscheidet er dann, ob es gefällt oder nicht, wenn nicht, wird es sofort entsorgt und mit einem Neuen begonnen. (Ullrich, S. 113). Das Ganze ist Fabrikarbeit und völlig austauschbar. Wo da der fachliche und inhaltliche Hintergrund der Kunst bleibt, ist dann doch eher fraglich. Aber das Bild passt vielleicht wunderbar in die Eingangshalle einer städtischen Bankfilliale und es kann sich damit gebrüstet werden, dass es für Tausende von Euro gekauft wurde.
Wo bleiben jetzt die restlichen Künstler*innen ab, die nicht so “erfolgreich” sind oder sich vielleicht dem Markt nicht hingeben wollen, also nicht zu Siegerkünstler*innen werden wollen? Entweder sie werden zu Biennale-Künstler*innen, die regelmäßig ausgestellt werden und zwar den elitären Charakter der Kunst für das Bildungsbürgertum bedienen (wie gesagt, anderes Problem), aber trotzdem mit thematischer Auseinandersetzung arbeiten. Diese leben hauptsächlich von Sponsor*innen und Förderung. Oder sie fallen halt hinten runter. Und auch bei Biennale-Künstler*innen wird eine Tendenz zur Ware sichtbar, so beschreibt Ullrich, dass manchmal Werke explizit für eine bestimmte Ausstellung angefertigt und danach direkt entsorgt werden, weil sie ja für einen gezielten Anlass waren.
Entziehen kann man sich diesem kapitalistischen Charakter des Kunstgeschäfts nicht. Der Gegensatz, evtl. zwar den kritischen Charakter der Kunst beibehalten zu wollen und gleichzeitig auch in der Lage sein zu wollen, von der Kunst zu leben, ist schwer überwindbar. Dazu muss ganz gewaltig etwas passieren. Siegerkunst treibt den Kunstmarkt immer weiter in die kapitalistische Richtung, bis sich nur noch Superreiche Kunst leisten können und Künstler*innen geraten immer mehr unter Druck, welche Richtung einzuschlagen ist. Es ist ja in der Regel nicht so, dass Künstler*innen sich frei aussuchen können, ob sie jetzt lieber im MoMA, auf einer Biennale oder einer privaten Galerie ausgestellt werden wollen oder ob sie für eine*n Millionär*in ein Bild malen.
Wenn Kunst aber vor allem von superreichen Sammler*innen gekauft (und damit rezipiert) wird und dann auf ewig in einem privaten Wohnzimmer hängt, werden diese Werke einer Menge Menschen, die diese Mittel nicht haben, verwehrt. Und ja, Kunst ist teuer, u.a. auch weil eben viel Vorbereitung, Recherche und Zeit in die Arbeit einfließt. Warum dann aber “Fabrikkunst” so atomische Preise hat, lässt sich mit dem Argument nicht rechtfertigen.
Es wäre interessant zu sehen, wie sich die Kunstwelt entwickeln würde, wenn diese Tendenz zur Siegerkunst und zur austauschbaren Ware weniger würde und Kunst wieder mehr gesellschaftlichen Charakter bekäme, der dazu dient, kritische Auseinandersetzungen und vor allem Bildung zu fördern, anstatt beim Kaffee seinen Kolleg*innen erzählen zu können, für wieviele Hunderttausend Euro das Bild da hinten über dem Sofa gekauft wurde.
Quellen:
https://www.zeit.de/2018/43/auktionen-kunstwerke-preise-kunstmarkt
Ullrich, Wolfgang (2016). Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust. Berlin: Klaus Wagenbach.