Lilly | 29.07.2021
In meiner persönlichen Bubble ist Gendern auf dem Vormarsch - es wird versucht, sich möglichst neutral auszudrücken, und mittlerweile etwa auch im Mündlichen eine Pause zwischen der männlichen und weiblichen Endung zu machen (wie etwa bei Freund_innen) oder neutrale Worte wie Studierende zu verwenden. Mir ist aber sehr bewusst, dass ich damit einer kleinen Minderheit angehöre, dafür muss ich nur einmal den Fernseher einschalten oder mit Menschen auf der Straße ins Gespräch kommen. Während ich mittlerweile so sensibilisiert bin, dass mir sofort auffällt, wenn beispielsweise Frauen über sich sagen, sie seien Student, Mieter etc. findet ein Großteil der deutschen Bevölkerung das Thema absolut nervig und überflüssig.
Interessant an dieser Stelle, dass es Berufe bzw. Worte gibt, wo es gängiger ist, die weibliche Form zu verwenden wie Ärztin oder Polizistin, gleichzeitig aber manche Berufsbezeichnungen nur in weiblicher Form verwendet werden. Sowas wie Krankenbruder ruft wohl eher ein Lachen hervor als die Berufsbezeichnung Krankenschwester. All diese Überlegungen bleiben jedoch für viele fremd. Laut einer Umfrage des MDR ist die Debatte für die meisten Befragten “vor allem eins: unwichtig. Nur 14 Prozent sind der Meinung, dass das Anliegen, alle Geschlechter in der deutschen Sprache hör- und sichtbar zu machen, wichtig ist.” Auch die FAZ berichtet: “65 Prozent der Bevölkerung halten nichts von einer stärkeren Berücksichtigung unterschiedlicher Geschlechter, wie eine Befragung von Infratest Dimap für die „Welt am Sonntag“ ergab. Mich frustrieren diese Umfragewerte, wenngleich sie nicht überraschen. Während sich die allermeisten Menschen in ihrem Alltag nicht ausführlich ihrem Sprachgebrauch widmen und viele auch kein Problem damit haben, rassistische, behindertenfeindliche oder anderweitig diskriminierende Begriffe zu verwenden, ist die Gegenbewegung, die darauf achten, plötzlich bedrohlich und Sprache wird ein besonders emotionales Thema, wie der MDR in dem Video "Große Mehrheit hält geschlechtersensible Sprache für unwichtig” zeigt. Ich lese mir die Kommentare der Befragten durch und auch bei mir kochen Emotionen hoch, ich werde wütend. Viele argumentieren, Sprache wäre durch Gendern schwerer verständlich und dadurch auch weniger zugänglich für bestimmte Personengruppen. Das würde bedeuten, dass ein Sternchen Menschen aus der Gesellschaft ausschließt, obwohl es genau diese integrierende Funktion innehaben soll. Ihr merkt schon, diese Kritik ist paradox und zieht nicht. Ein ebenfalls beliebtes Argument ist, dass es ja wichtigeres zu tun gäbe, bzw. dass es wichtiger wäre, sich für Gleichstellung in anderen Bereichen einzusetzen, wie zum Beispiel dem Gehalt. Das sehe ich total ein, ich möchte nicht behaupten, dass Sprache über allem steht, natürlich ist vor allem wichtig, wie wir zusammen leben und wie die Lebensrealität von FLINTA- Personen in der Praxis aussieht. Da wirkt es kleinlich, auf irgendwelchen Sternen, Punkten und Strichen zu beharren. Aber: Sprache formt Denken. Und Denken beeinflusst wenig überraschend das Handeln.
Interessant finde ich auch, dass viele Menschen angeben, sie seien durchaus für mehr Gleichberechtigung aller Personen, egal welchen Geschlechts, welcher sexuellen Orientierung usw. (hier werden auch gerne wieder Gender und Sexualität durcheinander geworfen), gleichzeitig aber möchten, dass die Hetero-Ehe einen Sonderstatus beibehält und auch ansonsten wenig Ideen und Lust zu haben scheinen, diese Gleichberechtigung praktisch zu leben. Gendersprache - was für ein populistisches Wort - ist jedenfalls sehr unbeliebt.
Ich liebe es, wenn Leute wenig Ahnung, aber so viel Meinung von etwas haben.
Das “Gendersternchen, auch Gender-Sternchen, Genderstern, Gender-Stern oder Gender-Star (von englisch gender [ˈdʒɛndɐ] „soziales Geschlecht“), bezeichnet die Verwendung des Sternchens (Asterisk) als Mittel der gendersensiblen Schreibung im Deutschen, um als Platzhalter in Personenbezeichnungen zwischen männlichen und weiblichen auch nicht binäre, diversgeschlechtliche Personen typografisch sichtbar zu machen und einzubeziehen.”
Hier ist also keineswegs nur die Rede von Männern und Frauen. An dieser Stelle wird gerne gesagt, das seien zu wenige Menschen, um sie zu berücksichtigen. Abgesehen davon, dass die Sichtbarkeit nicht binärer oder auch Inter-Personen durch zunehmende “Outings” von Stars wie Demi Lovato und Sam Smith stetig wächst, ist das einfach ein dummes Argument aus dem Mund von Personen, die unfähig sind, über ihren Tellerrand zu schauen. Oft wird Gender-Befürworter*innen vorgeworfen, sie hätten nichts Besseres zu tun - wie hobbylos muss man aber sein, dass es eine*n stört, wenn Leute beim Sprechen eine Pause machen und fünf Buchstaben mehr sagen? Welche existentiellen Persönlichkeitskrisen muss man durchmachen, dass eine*n das angreift?
Wie ich schon gesagt habe, formt Sprache das Denken. Der Fakt, dass sie jedoch begrenzt ist, ist mitunter dafür verantwortlich, dass viele es so befremdlich finden, mehr als zwei Geschlechter zu denken. Wir haben für Personen sprachlich kein Konzept, das über männlich und weiblich hinausgeht - das zeigt sich allein schon im Falle von Pronomen. Ich kann nicht, wie etwa im Englischen (they im singular), über eine (hypotethische) Person sprechen, ohne ihr ein Geschlecht zuzuordnen.
Letzteres brauchen wir scheinbar so dringend, ansonsten können wir es nicht benennen und es uns damit schwer vorstellen.
Im Deutschen ist der Standard, wie u.a. in den
romanischen Sprachen
auch, männlich. Worte wie
jeder, einer, keiner, etc.
sind im ständigen Sprachgebrauch und werden auch für nicht männliche Personen verwendet. In Sprichwörtern werden immer Männer bezeichnet, jedoch alle gemeint (wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht), auch beim Sprechen über Frauen werden streng genommen nur Männer bezeichnende Begriffe verwendet (z.B. Jeder nimmt sich sein eigenes Essen mit). Mann bedeutet Mensch. Es gibt an dieser Stelle auch Diskussion über die Verwendung von “man”, da bin ich selbst allerdings ein bisschen unschlüssig. Und da haben wir's. Es ist die eigene Entscheidung, was man oder mensch sagen oder nicht sagen möchte. Und ich möchte gerne so rücksichtsvoll und inklusiv und so wenig diskriminierend sprechen wie möglich. Dass das so kompliziert und umständlich ist, spricht weder für unsere Gesellschaft, noch für unsere Sprache.
Ich kann nur darüber lachen, wenn Leute, denen Sprache 24/7 egal ist, behaupten, man würde irgendetwas verschandeln oder künstlich etwas überstülpen.
Sprache und ihre Verwendung hat sich schon immer verändert und das wird sie auch weiterhin tun.
Sie hängt eng mit gesellschaftlichem Wandel zusammen, besonders die deutsche Sprache, bei der eine Wortneuschöpfung die nächste jagt. Hätten wir vor zwei Jahren das Wort Lockdown verwendet? Wussten wir, was Inzidenzen oder Aerosole sind? Haben wir damals das Wort Maske auf Anhieb mit den Dingern assoziiert, die wir uns täglich ins Gesicht hängen? Sicher nicht.
Es macht keinen Sinn, sich gegen sprachlichen Wandel zu stellen. Es macht aber viel Sinn, sich zu überlegen, wie man diesen mitgestalten kann. Was für Begriffe geschaffen, welche Konzepte erdacht werden können. Es macht Sinn zu hören, was andere Leute so sagen und sich zu überlegen, wie man dazu steht.
Ich denke auf keinen Fall, dass wir momentan schon gute Lösungen für die sprachliche Berücksichtigung aller Menschen haben. Es ist vollkommen in Ordnung, sich gegen bestimmte Vorschläge anderer in der eigenen Sprache zu wehren, wenn dazu eine fundierte Haltung vorliegt und anderen nicht vorgeschrieben wird, wie sie zu sprechen haben (außer sie sprechen diskriminierend). Es mag vielleicht künstlich daherkommen, mit Buchstaben zu experimentieren, bis ein Wort herauskommt, was vielleicht noch nie wer gesagt hat und dann zu erwarten, dass alle das plötzlich sagen. Aber hey, wenn du irgendein Wort oft genug hintereinander sagst, klingt es auch total komisch. Wenn du einem fremdsprachigen Wort keinen Sinn zuordnen kannst, klingt es komisch, während es für Sprecher*innen ganz normal ist.
Was ich sagen will: Sprache ist super random. Lasst uns mal alle ein bisschen locker bleiben.