WarumunsereWirtschaftunwirtschaftlichhandelt


Warum unsere Wirtschaft unwirtschaftlich handelt

Jules | 20.05.21

Genauso wie in der Politik der Corona-Pandemie kommt mensch auch in der Klimapolitik früher oder später auf diese eine verzwickte Fragestellung zurück: Machen wir etwas, das gut fürs Klima bzw. für die Gesundheit der Menschen ist oder etwas, das gut für „die Wirtschaft“ und damit ja auch irgendwie gut für die Menschen ist. Ökologie vs. Ökonomie. Die einen wollen möglichst wenig produzieren, möglichst viel wiederverwerten und fokussieren sich auf Umwelt und Nachhaltigkeit. Die anderen profitieren davon, wenn ein Produkt ein Tag nach Ablauf der Garantie nicht mehr funktioniert und haben dafür aber ein funktionierendes Wirtschaftssystem, das Reichtum für uns alle bringt. So weit, so polemisch. Doch wo ist die Symbiose und funktioniert Ökonomie überhaupt ohne nachhaltige, ökologisch sinnvolle Strategien?


Bis jetzt ja. Bis jetzt läuft alles top – wenn man mal davon absieht, dass die Reichen immer reicher werden und diesen Reichtum größtenteils für sich behalten. Aber man kann schon durchaus anerkennen, dass zumindest in Deutschland die letzten 70 Jahre verhältnismäßig friedlich waren und die Menschen im Allgemeinen wohlhabender wurden. Das Problem dabei ist, dass Reichtum nicht aus nichts entsteht. Und dass der wirtschaftliche Reichtum, über den wir uns im globalen Norden heute so freuen, auch dadurch entstanden ist, dass wir uns die Natur angeeignet haben. Die Wälder, die Blumenwiesen, die Weideflächen, die Ozeane, die Böden anderer Staaten. All das und noch mehr wurde unser Territorium und wir haben damit gemacht, worauf wir Lust hatten. Ohne dabei auf die Konsequenzen zu achten.


Das ging solang gut, als noch genug „Natur“ für nur wenige Menschen übrig war. Doch die Weltbevölkerung wächst und wächst und tobt mit einer Zerstörungsgewalt über noch ungenutzte Flächen hinweg, die nicht mehr in Worte zu fassen ist. Und auch Zahlen können nur eine ungefähre Vorstellung davon liefern, wie destruktiv die Menschheit ist: 108 Milliarden Plastikflaschen produziert Coca-Cola pro Jahr. Alle 2 Sekunden schrumpft der Regenwald um die Größe eines Fußballfeldes. Die EU ist übrigens Vizeweltmeister bei der Tropenwaldzerstörung und nur 100 Unternehmen sind für 70 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Auf Platz 41 liegt die deutsche Firma RWE. Die Deutschen leben dabei stark auf Kosten anderer Staaten. Wären die weltweiten Ressourcen gleich auf alle Länder aufgeteilt, dann hätte Deutschland schon am 05.05.2021 seine ganzen Ressourcen für dieses Jahr aufgebraucht. Das ist der sogenannte Earth Overshoot Day. Weltweit liegt er übrigens meist erst in der zweiten Augusthälfte. Die ganze Menschheit lebt daher über ihre Verhältnisse, aber die deutsche Bevölkerung eben deutlich stärker als der Durchschnitt.

Aber es geht nicht darum, dass bösen Wirtschaftsbossen Bienenschwärme und einzigartige Regenwaldpflanzen egal sind und sie roden, während Weltverbesserer-Hippies aus der Güte ihres Herzens eben nicht wollen, dass andere Lebewesen sterben und dabei den Blick dafür verloren haben, „dass man eben auch Geld verdienen muss“ und irgendwie beide Meinungen ihre Berechtigung haben. Es geht ganz einfach ums Überleben von uns allen – und wenn wir nicht aus rein sozialer und solidarischer Sicht die Welt retten wollen, dann eben aus wirtschaftlicher Sicht.


An einer Kohlefabrik ist nichts wirtschaftlich Sinnvolles – zumindest nicht langfristig. Aber es ist sehr viel Wirtschaftliches an der Natur. Die Natur und all ihre Lebewesen: Pflanzen, Bakterien, Pilze, Tiere – alle verrichten ständig Dienstleistungen für sich und für uns. Bäume binden CO2 und produzieren O2. Bienen und andere Insekten fliegen umher und bestäuben. Würmer kriechen durch den Boden, lockern ihn auf und stellen fruchtbare Erde her. Würde man die Dienstleistungen, die die Natur pro Jahr verrichtet, zusammenrechnen, dann wäre das mehr als das gesamte jährliche Bruttoinlandsprodukt der Welt zusammen (1).


Zu oft höre ich ein: „ja, da wird schon noch etwas erfunden werden, dass das CO2 wieder aus der Luft filtert“. Ja – gut möglich und gar nicht unwahrscheinlich. Aber wie sollen wir uns das leisten können? Selbst wenn solche Maschinen irgendwann im großen Stil funktionieren können: Anschaffung und Instandhaltung kosten. Bäume und Algen hingegen betreiben die ganze Zeit für uns kostenlose Photosynthese. Aber wir roden und wir übersäuern die Meere und wir töten. Auch Mini-Drohnen, die die Aufgabe von Bienen übernehmen sollen, können wir uns schlichtweg nicht leisten. Eine Technisierung der Natur ist zu teuer und dadurch – Überraschung - unwirtschaftlich. Trotzdem sind umwelt- und klimafeindliche Projekte oft noch im Gesamtbild okay, weil sie gut für „die Wirtschaft“ sind, in dem sie zum Beispiel Arbeitsplätze liefern. Aber was ist denn überhaupt „die Wirtschaft“? Reden wir da von einem hoch komplexen System, das Berufssicherheit, Wohlstand und Chancengleichheit generieren soll oder von Lobbyist*innen und hochrangigen Industriebossen? Bitte über ersteres, dann finde ich es nämlich gar nicht doof, wenn etwas „gut für die Wirtschaft“ ist. Nur bewirken klimaschädliche Industriezweige dann eben das Gegenteil.

Die Politik muss Leitlinien vorgeben, sonst tut es niemand  - und diese riesige Maschinerie rollt weiter, bis zur kompletten Zerstörung des Planeten.

Spinnen wir das Gedankenkonstrukt einer post-klimakatastrophalen Welt mal weiter: Wie sollen Überflutungen von Großstädten, vermehrte Erdrutsche, zahlreiche Wirbelstürme, Ernteausfälle oder Wasserknappheit bezahlt werden? Wir müssen aber gar nicht so weit in die Zukunft denken. Auch jetzt schon kostet die Umweltzerstörung viel Geld, nur spüren wir das in Europa noch nicht direkt. Allein die deutschen Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2016 haben laut Umweltbundesamt Umweltkosten in Höhe von 164 Milliarden Euro verursacht.


Diese Kosten werden nur oft nicht mit einberechnet. Mitentscheidend sind also auch wirtschaftliche Theorien: Welches Menschenbild liegt zugrunde? Der Homo Oeconomicus, der immer rational handelt und ausschließlich an einer Nutzenmaximierung interessiert ist oder mehr realistische Menschenbilder?) Für wie viele Jahre wird in die Zukunft geblickt? Werden Dienstleistungen der Natur und ihre Zerstörung in wirtschaftliche Prognosen mit einberechnet?


Problematisch ist: Den meisten Wirtschaftswissenschaftler*innen ist das bewusst. Sie wissen schon seit Jahren, dass zum Beispiel fossile Energien „unwirtschaftlich“ werden und der Kohleausstieg bevor steht. Nur ist das Fazit in der Politik auf solche Prognosen leider selten Handlungsbedarf oder aktives Verändern des statuos quo, sondern nur zu oft „ja perfekt, dann regelt der freie Markt das ja eh für uns“. Ohne direktes menschliches Eingreifen wird also die Wirtschaft grüner und nachhaltiger werden. Das ist natürlich entspannt, weil dann müssen wir ja nichts tun, nicht diskutieren, uns nicht engagieren und vor allem müssen wir uns ja dann auf gar keinen Fall einschränken. Nun ja.


Als ob der Markt jetzt frei wäre und nicht Regeln und Gesetze schon seit Langem einen rechtlichen Rahmen bilden: Menschenrechte, Verbot von menschenfeindlichen Arbeitsmethoden, Mindestlohn. Die Politik muss Leitlinien, Gesetze und Anreize vorgeben, sonst tut es niemand und diese riesige Maschinerie aus Arbeit, Ausbeutung und Konsum rollt unaufhaltsam weiter, bis zur kompletten Zerstörung des Planeten. Klare politische Regeln und Gesetze würden es für uns alle einfacher machen. Momentan könnten uns Gesetze zum Beispiel vor Greenwashing schützen oder uns nachhaltiges Einkaufen erleichtern. Und vielleicht würde ein Eingreifen in den Markt durch beispielsweise eine richtige CO2-Steuer zu wahnsinnig vielen Innovationen führen, wie wir CO2 einsparen können. Klimafeindliche Unternehmen müssen stärker besteuert werden, damit sie keinen Profit mehr aus Umweltverschmutzung schlagen können. Geben solche Unternehmen dann eine klimafreundliche Agenda vor, muss kontrolliert werden, ob diese auch tatsächlich durchgeführt wird. Anstatt viele Milliarden Euro in unrentable und klimaschädliche Energieträger wie Kohle, Öl und Gas zu stecken, sollte die deutsche Bundesregierung viel eher klimapositive Unternehmen subventionieren. Das wäre nicht nur nachhaltig, sondern vor allem auch wirtschaftlich logisch.

Natürlich macht es Angst, unser gesamtes Wirtschaftssystem in Frage zu stellen. Es macht aber auch Angst, sich vorzustellen, welche verheerenden Folgen die Klimakrise haben wird. Verständlicherweise haben die wenigsten Menschen Lust darauf, den eigenen Konsum umzustellen und womöglich einzuschränken. Aber gerade wenn wir jetzt nichts tun und nicht umdenken, müssen wir uns früher oder später viel stärker anpassen. Daher: umdenken! Es gibt mehr als nur die Planwirtschaft als Alternative zum jetzigen kapitalistischen System, wie Postwachstumsökonomien oder feministische Wirtschaftssysteme.


Vielleicht existiert die Theorie unserer zukünftigen Wirtschaft auch noch gar nicht. Trotzdem gilt: nachhaltige Wirtschaft ist nicht automatisch „unwirtschaftlich“. Eine nachhaltige Gesellschaft muss nicht zwangsläufig was mit „einschränken“ und „weniger Möglichkeiten“ zu tun haben. Ich zum Beispiel würde mich sehr über die Freiheit freuen, nicht jeden Tag darüber nachdenken zu müssen, wie die Welt zugrunde gehen wird – für mich also eher ein Gewinn an Chancen und Perspektiven. Nachhaltigkeit und Klima sind ganz eng mit unserer Wirtschaft verknüpft und nicht unbedingt, wie so oft propagiert, Antagonisten. Und die Politik sollte ständig daran erinnert werden, dass sie durchaus eingreifen darf und soll, weil sie in der Verantwortung ist, unsere Leben zu schützen. Nachhaltig.


Zuletzt: Die Klimakrise ist kein linkes Thema. Wären Wahlprogramme logisch aufgebaut, dann hätte jede Partei die Bekämpfung der Klimakrise ganz oben auf der Liste. Denn sie betrifft uns alle. Nur leider arme Menschen noch schlimmer als reiche Menschen. Menschen im globalen Süden schlimmer als Menschen im globalen Norden. Menschen, die in ihrer Arbeit auf die Natur angewiesen sind, schlimmer als Menschen, die ausschließlich digital arbeiten. Mir ist dann auch egal, ob die Politik, die Industrie oder einzelne Menschen aus egoistischen oder altruistischen Gründen Klimaschutz betreiben, ob für sich oder für andere oder für die Allgemeinheit – Hauptsache, sie tun es überhaupt und intersektional. 


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