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Warum wir eine Trauerrevolution

brauchen


ein Text von Milla Brettschneider | 17.02.22

Vorab: Es geht um meine Erfahrung mit Trauer.

Ich möchte (deine) Trauer nicht minimieren oder ihr den Raum nehmen.

Ich möchte einfach meine Gedanken teilen.

Ich bin Milla, 18 Jahre alt.

Ich habe meine Mutter vor etwa einem Jahr an Brustkrebs verloren.
Es gibt nichts vergleichbar Einschneidendes, dass dir so sehr das Gefühl gibt eine Außenseiterin zu sein, wie den Tod.
Und Weniges ist in unserer Gesellschaft unangenehmer, als über ihn zu sprechen.
Ich glaube, wenn man damit konfrontiert wird, fragt man sich oft, wie man einer trauernden Person am besten helfen kann…
Ihr einen Rat geben?

Sie aufmuntern?

Sie daran erinnern, dass das Leben eben für die Lebenden da ist?
Und ja, es ist manchmal schwer zu wissen, was man tun kann, wenn Freunde leiden.
Tatsache ist, dass man einen Menschen nicht aufmuntern kann, indem man ihm sagt, er solle positiv denken, oder indem man ihm Ratschläge gibt.
So funktioniert es einfach nicht.


Warum wir eine Trauerrevolution brauchen

Das Gefühl, endlos missverstanden zu werden und meinen Kummer nicht in Worte fassen zu können, die nicht nur mit Plattitüden beantwortet werden, hat mich zu der Feststellung gebracht, dass wir eine Art Trauer-Revolution brauchen.


Zu lernen, wie man miteinander über Trauer, Liebe und Verlust spricht, ist wichtig.



Aber in unserer heutigen Gesellschaft, in der sich Trauernde andauern Floskeln anhören müssen, 


"Alles wird wieder gut, dieses Gefühl geht vorbei",

"selbst im schlimmsten Moment kann man etwas Positives finden",


in einer Gesellschaft, in der den Trauernden gesagt wird, sie sollen positiv bleiben,


"Sie ist jetzt bei den Engeln",

"Nur die Guten sterben jung",

"Sie wird in jedem weiterleben, dem sie begegnet ist",

"Sie hatte viel Schmerz und ist jetzt an einem besseren Ort",


in einer Gesellschaft, in der Trauernden der Gedanke an das, was danach kommt, verwehrt wird,

"Dein Schmerz wird aufhören",


"Alles wird wieder gut",


"Du wirst irgendwann weitermachen".


In einer Gesellschaft wie der unseren bleibt Trauernden nicht viel Raum, um auf eine selbst gewählte, freie Weise Trauern zu können. In ihrem eigenen Tempo.


Trauerbegleiter sind voll von wohlmeinenden und des informierenden Aussagen darüber, was es bedeutet, von Trauer betroffen zu sein oder jemandem zu helfen, der trauert.


Auch wenn diese Klauseln einen mehr oder weniger wahren Kern haben, fehlt ihnen, was jeder, der jemanden verloren hat, wirklich braucht: Einfühlungsvermögen.


Dass ich trauere, bedeutet nicht, dass ich meinen gesunden Menschenverstand verloren habe. 

Ich weiß, dass es mir irgendwann in der Zukunft wieder besser gehen wird, aber diese Zukunft ist etwas, das ich im Moment noch nicht so recht greifen kann. 


Trauer ist kein Problem, das gelöst oder weggefegt werden muss.

Ein trauernder Mensch braucht Trost, Verständnis, Mitgefühl und Bestätigung.


Eine trauernde Person muss wissen, dass jemand da ist, bei dem sie sich ausheulen kann, ohne sich kaputt und schwach zu fühlen.

Gefühle sind wichtig 

Als meine Mutter letztes Jahr starb, brauchte ich jemanden, der mir sagt, 

dass es in Ordnung ist.

Dass es sogar in Ordnung ist, dass ich sie hasste.

Ich hasste sie dafür, dass sie uns verlassen hat.


Meine Geschwister.


Meinen Vater.


Ihre Mutter.


Ihre Freunde.


Und mich.

Ihre Familie.

Sie ist einfach gegangen, ohne sich zu verabschieden.

Dass es okay ist…

Dass es okay ist, wütend und traurig zu sein. 

Und frustriert. 

Und, dass es sogar okay ist, gleichzeitig glücklich zu sein. 

Dass es okay ist.
Dass es okay ist, zu weinen und zu lachen und zu tanzen und zu singen, manchmal sogar zu weinen, während man lacht, tanzt oder singt :)
Als meine Mama gestorben ist hätte ich jemanden gebraucht, der sagt: 

"Es ist okay, nicht okay zu sein!" 

Eine trauernde Person muss wissen, dass jemand da ist, bei dem sie sich ausheulen kann, ohne sich kaputt und schwach zu fühlen.
Sie muss hören, dass sie den Erwartungen der Gesellschaft nicht gerecht werden muss, dass sie nicht funktionieren, sich nicht verstellen oder guter Dinge sein muss.
Trauernde müssen hören, dass sie sich nicht verstellen oder über das, was in ihnen vorgeht, sprechen müssen, wenn sie nicht wollen. 
Und auch wenn sie sich nicht dazu gedrängt fühlen sollten, sollten die Trauernden wissen, dass du für alles offen bist, was sie teilen möchten.
Ich hätte mir gewünscht, gesagt zu bekommen, dass es normal ist, fröhlich zu sein und manchmal einfach alles zu vergessen.

Es geht darum, Verbündete zu haben.

Ein Trauernder braucht eine Person, die einem nicht das Gefühl gibt, mit einem großen Schild über dem Kopf herumzulaufen, auf dem steht:
 "Ich habe jemanden verloren", 
eine Person, die einen unterstützt, egal was passiert; eine Person, die nicht auf Zehenspitzen um einen herumläuft, als würde man in 1000 Stücke zerspringen, wenn man vom Glück oder der Trauer eines anderen erfährt.


Es hilft nicht unbedingt, den Trauernden immer wieder zuzusprechen indem man gut gemeinte Komplimente macht, von wegen wie stark sie sein.
Das kann schnell das Gefühl in einem hervorrufen, dass man stark sein muss und dass man andererseits lästig ist. Ich weiß... es ist eine Menge aufzunehmen. Aber ich verspreche dir, du wirst irgendeinen Weg finden.

Mir persönlich hat am meisten geholfen, dass meine Freunde immer weiter meine Gesellschaft und meinen Rat gesucht haben und dass wir eine Menge dummes Zeug gemacht haben, über das ich lachen konnte. Es hat mir geholfen, eine Zeit lang von allem wegzukommen. 

Und selbst wenn es nur für ein paar Stunden war…Diese kleinen Pausen hielten mich bei Verstand.

Wenn du unser Verhalten nicht verstehst, frag einfach nach.

Die Gefühle verfolgen einen Tag und Nacht. Versuche, nicht zu urteilen.
Für mich war alles, was ich tat, irgendwie mit meiner Mutter verbunden.


Ob ich nur Kaffee kochte oder mit meinen FreundInnen neue Erinnerungen schuf, ich sah immer eine Verbindung zu ihr.

Alles, was ich jetzt tat, war etwas, das ich nie wieder mit ihr haben oder teilen konnte.

Aber selbst wenn ich traurig war und das Gefühl hatte, weinen zu müssen, bis buchstäblich keine Tränen mehr übrig waren, tat ich das meistens erst dann, wenn ich allein war, weil ich mich komisch fühlte überall einfach in Tränen auszubrechen.

Versuche also, trauernde Personen nicht zu verurteilen, was auch immer man als Trauernde*r tut, wie man reagiert oder sich verhält, hilft wahrscheinlich dabei, herauszufinden, wie man mit dem ständigen Schmerz in einer Welt, die nicht mehr dieselbe ist, umgehen kann!

Wenn du unser Verhalten nicht verstehst, frag einfach nach. Kommunizier weiter, so wie du es vorher getan hast, sei ehrlich.


Etwa 10 Monate nach dem Tod meiner Mutter habe ich die Mutter eines Freundes zum ersten Mal getroffen. Es war bei seinem Geburtstagsessen und wir hatten schon einige Zeit zusammen gefeiert, gegessen und geredet, als sie mich nach meiner Familie fragte und wenig später feststellte, dass ich diejenige war, die ihre Mutter verloren hatte. Da sagte sie dann etwa Folgendes zu mir:
"ich hätte nie gedacht, dass du das bist, du bist so glücklich und verhältst dich überhaupt nicht wie jemand, der gerade seine Mutter verloren hat."

Während ich noch überlegte, was ich sagen sollte, fügte sie noch hinzu:
"Na, dann bist du wohl ziemlich schnell darüber hinweggekommen."

Im ersten Moment war ihr wohl nicht klar, was sie da gerade gesagt hatte. 

Aber als ich anfing zu weinen, traten auch ihr die Tränen in die Augen und sie realisierte, was passiert war und entschuldigte sich, häufig.

Es gibt kein Überwinden.

Ich weiß, dass sie es nicht so gemeint hat, aber es hat mich trotzdem verwirrt, denn es war nicht das erste Mal und sicher nicht das letzte Mal, dass ich mitbekommen habe, wie Leute von „darüber hinwegkommen“ gesprochen.
Es hat mich aus der Fassung gebracht, weil ich natürlich hätte weinen können…weil ich alle fünf Minuten daran denken muss, dass ich meiner Mama nie etwas davon erzählen kann oder weil ich andere Familien sehe und richtig neidisch werde.
Ich hätte weinen können, weil ich schon einmal mit meiner Mama an dieser Straßenecke saß, wo wir gerade feierten. Ich hätte weinen können, weil mich alles, was ich tue daran erinnert, dass sie nicht hier ist und dass sie nie wiederkommen wird. Wir werden nie wieder zusammen ein Geburtstagsessen feiern oder überhaupt irgendein gemeinsames Essen teilen…Aber stattdessen habe ich versucht mich zusammenzureißen, weil es sehr anstrengend ist andauernd traurig zu sein und weinen zu müssen… 
Aber schlussendlich habe dann trotzdem  trotzdem geweint. Also denke ich, nein, ich war noch lange nicht "drüber hinweg". 

Ich habe mich entschlossen, hier von dieser Erfahrung zu erzählen, weil ich finde, dass sie ziemlich gut widerspiegelt, worum es mir geht. Es ist wichtig, dass wir lernen, was Trauer bedeutet. Und was sie nicht bedeutet. Es ist wichtig, dass wir lernen, uns in die Gefühle anderer hineinzufühlen und höflich zu fragen, wenn wir etwas nicht verstehen.

Ich glaube, die falschen Worte in ihrer Annahme waren
darüber hinweg kommen.
”
Sie gaben mir das Gefühl, dass ich mich völlig falsch verhalten hatte, in dem ich versucht habe mit dem Schmerz zu leben, während sie es Überwindung nannte.
Man "überwindet" Trauer nicht.

Es geht nicht darum, weiterzumachen.
Es hat lange gedauert, und ich habe die Veränderungen nicht einmal bemerkt, aber langsam geht es mir gut, zumindest die meiste Zeit über. Man kommt nicht drüber hinweg, man macht halt irgendwie weiter. 
Und das ist gut so, denn ich denke, um über etwas hinweg zu kommen, muss man damit auf gewisse Weise abgeschlossen haben, fertig sein…Und ich werde nie hiermit fertig werden. Niemals.

Denn damit fertig zu sein, würde für mich bedeuten, dass all diese Erinnerungen, die ich habe, nur Momente sind, die ich zurücklasse. Ohne so viel von ihr am Leben zu erhalten, wie ich nur irgendwie kann.

Aber zu sehen, zu fühlen und zu verstehen, was passiert ist, hat mich geprägt. 


Sie war meine Mama, eine außergewöhnliche junge Frau, zu der ich aufschaue, die einzige Person die ich immer gekannt habe, 

die mich bedingungslos geliebt hat und die einzige Liebe, die irgendwie in all meinen Erinnerungen und Erwartungen an das Leben eingebettet ist.
 In all meinen Träumen und Vorstellungen von der Zukunft, die nun so nie in Erfüllung gehen werden.


Ich liebe sie, ich liebe sie so sehr, dass es weh tut, aber ich will trotzdem nicht darüber hinwegkommen, weil ich Angst habe, sie zu vergessen, wenn ich nicht anerkenne, was passiert ist.

Sie ist gestorben.
 Und ich trauere, während ich endlich nach vorne schauen kann, weitermachen.

Um es auf den Punkt zu bringen

Solltest du dich jemals in der Situation wiederfinden, eine Trauernde Person in ihrem Trauerprozess zu begleiten, musst du irgendwie einen Weg finden, damit man sich wieder wohl fühlen kann.
Eine trauernde Person muss Anerkennung dafür finden, dass sie nicht nur um den Verlust eines wichtigen Menschen und das was war trauert, sondern auch um die Zukunft der Person und die eigene Zukunft mit ihr.
Und hör nicht auf sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist.
Denn selbst wenn du das Gefühl hast, dass du eine trauernde Person in einem glücklichen Moment erwischen könntest und  du nicht riskieren willst, sie herunterzuziehen, erinnere sie einfach daran, dass du da bist und dich dafür interessierst, wie es ihr geht.
Es ist schön zu wissen, dass du nicht vergessen hast, dass ich vielleicht immer noch kämpfe, auch wenn du es nicht mehr so wahrnehmen kannst wie früher.

Und, dass das, was passiert ist, immer ein Teil von mir sein wird und damit ein Teil, der dir wichtig ist.
Ich bitte dich also, auf deine Handlungen und Worte zu achten. 

Aber nur in einem gewissen Maße, wie gesagt ich bin immer noch ich und du bist immer noch du.
Und räume den Trauernden etwas Raum und Verständnis ein, denn jemanden zu verlieren, den man liebt, ist chaotisch, kompliziert und sehr, sehr frustrierend.


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