Karla | 20.01.22
Trigger Warnung: Dieser Text thematisiert sexualisierte Gewalt.
Filmszenen, in denen sexualisierte Gewalt stattfindet, sind meiner Meinung nach das filmische Äquivalent von einem Schlag in die Magengrube. Trotzdem schauen wir natürlich hin, wie bei einem Unfall. Zuhause im warmen Bett, sicher abgeschirmt von der grausamen Welt und zugleich gefesselt und abgestoßen, sind wir einfach nur froh, nicht in dieser schrecklichen Situation sein zu müssen. Die Frage, welchen Zweck oder welche Botschaft die fragliche Szene eigentlich verfolgt oder transportiert, stellen wir uns nur selten. Vielleicht, weil wir es schon so oft gesehen haben, vielleicht, weil es uns emotional abholt. Weil es doch einfach dazugehört, besonders, wenn der Film uns eine besonders deepe Message eintrichtern will. Geht halt nicht ohne sexualisierte Gewalt – oder?
Wenn man wagt, zu fragen, ob die Darstellung sexualisierter Gewalt in Filmen und Serien vielleicht unnötig oder mitunter schädlich sein könnte, kriegt man höchstwahrscheinlich einen Typen in aufgerollter Beaniemütze gratis dazu, der einem was von Kunstfreiheit erzählen will (und hundertprozentig ist sein Lieblingsfilm Der Pate). Oder einen Nörgler, der sich beschwert, die Feministinnen würden ja alles am Leben verbieten wollen, was Spaß macht – so, als ob ihm ein zentraler Teil seiner Identität abhanden käme, wenn nicht jeden Freitag zur Prime-Time die schockierende Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt über seinen Flachbildfernseher flackern würde. Dabei geht es gar nicht darum, die Kunst zu zensieren oder aus einem keuschen Gedanken heraus reihenweise Hollywood-Produzent:innen zu canceln. Vielmehr geht es darum, eine Diskussion darüber zu beginnen, ob solche Szenen in einem Film wirklich notwendig sind, aus welchem (mitunter verwerflichen) Grund sie überhaupt ins Drehbuch gelangen, und nicht zuletzt darüber, ob Filmemacher:innen nicht eine gewisse Verantwortung gegenüber ihrem Publikum tragen.
Die Universität Rostock und die Hochschule Wismar führten im Jahr 2020 eine
repräsentative Studie durch, bei der 545 Sendungen der gängigsten deutschen Fernsehsender in Hinblick auf die Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt analysiert wurden. 34 Prozent dieser Sendungen beinhalteten geschlechtsspezifische Gewalt, im Genre „Krimi Serie” kam sie am häufigsten vor. Nur acht Prozent dieser Darstellungen nahmen eine differenzierte Betroffenenperspektive ein, erzählten die Situation also aus der Sicht der/des Betroffenen, identifizierten die Gewaltanwendung eindeutig als geschlechtsspezifisch, und thematisierten die Gefühle und Gedanken der betroffenen Person, sodass diese nachvollziehbar wurden. In 51 Prozent der Fälle war die Betroffenenperspektive wenn überhaupt nur randständig vertreten.
Die Studie zeigt also: Es geht meistens gar nicht darum, Aufmerksamkeit auf ein wichtiges gesellschaftliches Thema zu lenken (ein Argument, was ziemlich oft vorgebracht wird) – Awareness schaffen würde nämlich bedeuten, die Folgen von sexuellem Missbrauch deutlich zu machen, sich intensiv damit auseinanderzusetzen und auf den strukturellen Aspekt des Problems hinzuweisen. Stattdessen dienen Vergewaltigungsszenen viel zu oft als billiges Mittel, um den Plot voranzutreiben, Charaktere zu motivieren oder interessanter erscheinen zu lassen – und nicht zuletzt, um die Schaulust des Publikums zu befriedigen.
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Zuschauer:innen wollen unterhalten werden. Wer das Publikum nicht berührt, mitreißt und damit ins Kino treibt, der kann gleich einpacken. „Im Namen der Kunst” scheißt man da schonmal auf jegliche moralischen Bedenken. Seit jeher wird sexualisierte Gewalt in Filmen und Medien deshalb so gedankenlos abgehandelt, so empathielos inszeniert, dass es einem mitunter kalt den Rücken hinunterläuft. Ein gängiges Beispiel hierfür ist die HBO Serie Game of Thrones, die lange für ihren kontroversen Umgang mit dem Thema sexualisierte Gewalt und für die Objektifizierung von Frauen in der Kritik stand. Ein Fan hat sich tatsächlich mal die Mühe gemacht, nachzuzählen: 17 (unter anderem versuchte) Vergewaltigungen fanden in der Serie statt. Und die Leute, die ihre mittelalterlichen Hüllen fallen ließen und komplett nackt gezeigt wurden? Das waren zu 83,7% Frauen.
„Das war im Mittelalter einfach so”, wird jetzt der eine oder die andere sagen. Tja, im Mittelalter war einiges anders. Da wurden faule Zähne mit der glühenden Zange gezogen und Frauen hatten – oh Schreck! – keine rasierten Achseln. Es ist halt immer die Frage, wie weit man mit dem Realismus gehen will. Und wer jetzt einwirft, die sexualisierte Gewalt sei eben ein Mittel, um die Grausamkeit der Game of Thrones-Welt zu verdeutlichen: ich finde, das war eigentlich schon geklärt, nachdem dieser eine Typ bei lebendigem Leibe von Ratten gefressen wurde. Schon die erste Folge, in der die Heldin Daenerys von dem Warlord, der sie gekauft hat – und in den sie sich später verliebt – brutal vergewaltigt wird, setzt gewissermaßen die Segel für den generellen Ton der Serie. Fast alle wichtigen weiblichen Charaktere werden früher oder später sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Besonders viel Kritik hagelte es nach einer Szene in einer späteren Staffel: Eine der Protagonistinnen, Sansa Stark, wird vom verhassten Charakter Ramsay Bolton vergewaltigt, während ein weiterer männlicher Charakter, Theon, zum Zuschauen gezwungen ist. Von Opferperspektive fehlt in dieser Szene jede Spur: nachdem für einige Sekunden Sansas Gesicht zu sehen ist, fokussiert die Kamera ausschließlich Theon, während Sansas Schreie im Hintergrund zu hören sind. Es geht also garnicht um Sansas Schmerz, und die Szene trägt auch nichts zu ihrer Entwicklung als Charakter bei: Es geht vielmehr um die Reaktion Theons, eines männlichen Charakters, und natürlich darum, das Publikum zu schockieren.
Einige Staffeln später sehen wir dann, wie die Königin Cersei von ihrem Bruder am Totenbett ihres Sohnes vergewaltigt wird. Cast und Macher der Serie zeigten sich auf Kritik daran überrascht: Die Szene sei gar nicht als Vergewaltigung gedacht gewesen, sonders vielmehr als eine sehr leidenschaftliche Liebesszene. Dabei sagt die weibliche Schauspielerin wiederholt „Stop it” und „Please”, während sie überwältigt wird. Sind wir also einfach so gewöhnt an Vergewaltigungen in Film und Medien, dass wir sie selbst in einem so deutlichen Fall mitunter verkennen? Oder nehmen Menschen sexualisierte Gewalt sogar als erotisch wahr?
Gefahren des ,,Male Gaze”
Der „Male Gaze”, ein Begriff, der von der Filmkritikerin Laura Mulvey geprägt wurde, ist in der Debatte um die Darstellung sexualisierter Gewalt zentral. Mulveys Theorie besagt, dass Frauen in Literatur und Film aus einer männlichen, heteronormativen Perspektive betrachtet werden, um den Bedürfnissen des männlichen Zuschauers zu entsprechen. So wird etwa der weibliche (oder weiblich gelesene) Körper als Objekt inszeniert und in den Fokus gerückt, während männliche Charaktere als souveräne Subjekte auftreten und viel seltener ein offensichtliches Objekt der Begierde darstellen sollen. Der „Male Gaze” kann auch beeinflussen, wie wir sexualisierte Gewalt auf dem Bildschirm oder der Kinoleinwand wahrnehmen. So kann diese sogar als erotisch und sexy wahrgenommen werden: Der Mann als dominanter Part, der sich nimmt, was er will; die Frau als machtloses Objekt, deren entblößter Körper in einigen Fällen sogar bewusst erotisch in Szene gesetzt wird.
Der „Male Gaze” verhindert jede vernünftige und empathische Auseinandersetzung mit der Thematik. Und er ist übrigens nicht auf männliche Regisseure und Produzenten beschränkt: Jede:r kann sich dem „Male Gaze” bedienen, denn wir alle sind beeinflusst von den Bildern, die wir von klein auf um uns herum wahrnehmen: Frauen sind Körper, Männer sind Geist.
Diese Bilder sind gefährlich, denn Kunst existiert nicht in einer losgelösten Blase, sondern beeinflusst unser Denken und unser Handeln. Glorifizierung und Normalisierung von sexuellem Missbrauch in Filmen sind sowohl bittere Konsequenzen unserer Lebensrealität, als auch zwei ihrer vielen kleinen Verstärker.
Das perfekte Opfer
Falls ihr Tarantinos Pulp Ficition gesehen habt, dann könnt ihr euch wahrscheinlich an die Szene erinnern, in der der Protagonist Butch und sein Feind, der Gangsterboss Marsellus Wallace, in einem Pfandleihhaus gefangen gehalten werden und Marsellus daraufhin von einem der Besitzer vergewaltigt wird.
Was genau schockiert uns so sehr an dieser Szene? Ist es die für Tarantino typische, ausufernde Brutalität? Das merkwürdige, fast humoristische Setting? Nicht nur, glaube ich. Es ist auch die mangelnde Übereinkunft der Szene mit unserer Vorstellung davon, wie das Opfer einer Vergewaltigung aussehen muss. Marsellus Wallace ist ein großer, kräftiger schwarzer Mann – ihm kann so etwas doch nicht passieren, oder? Denn das richtige Opfer, so haben wir es gelernt und so zeigt es uns jeder Krimi Streifen, jeder Thriller, jedes Familiendrama, ist weiß, weiblich, jung und normschön. Der „Male Gaze” will uns weismachen, es gäbe nur dieses eine Art von Vergewaltigung: Eine Frau geht in einem Park spazieren, ein Mann in Strumpfmaske springt aus einem Busch hervor und zerrt sie mit sich. Sicher, so etwas gibt es, aber die Realität sieht eigentlich ganz anders aus. Besonders sexueller Missbrauch an Männern wird in Film und Fernsehen kaum thematisiert, und wenn, dann häufig geschmacklos und verharmlosend. So etwas wie das perfekte Opfer gibt es aber nicht. Insofern hat uns Pulp Fiction einen Gefallen getan und etwas thematisiert, das ziemlich oft tabu ist. Und obwohl man über die Darstellungsweise diskutieren kann, so sagt doch Marsellus Wallaces Antwort auf Butchs Frage, wie es ihm geht – „Nah, man. I’m pretty fucking far from okay” - eigentlich mehr als tausend Worte.
Kill your Rapist - Das Problem mit Rape-and-Revenge Filmen
Häufig ist der Weg, den Drehbuchautor:innen einschlagen, die Rape-and-Revenge-Storyline.
Das ist ein eigenes Subgenre: Die vergewaltigte Frau, die sich rächt. Und das oft ziemlich blutig. Oder alternativ der männliche Protagonist, der sich für die Vergewaltigung an seiner Ehefrau/Schwester/Mutter rächen will. In den Siebzigern war das richtig populär. Klar hat es Unterhaltungswert, wenn der Böse am Ende sein Fett wegkriegt – aber warum muss es immer eine Vergewaltigung sein, die das Blutbad motiviert? Und es ist ja nicht so, als wäre das Trauma, das eine solche Erfahrung unweigerlich nach sich zieht, verschwunden, nur weil der Täter unter der Erde liegt. Mit vernünftiger Auseinandersetzung und vor allem Betroffenenperspektive hat das wenig zu tun, obwohl diese Filme häufig als besonders emanzipatorisch gedeutet werden.
Doch die Inszenierung von einer traumatisierten Frau als bluttriefender Racheengel, der ein Katana schwingt, ist so dermaßen weit von der Realität entfernt. Denn das Trauma besteht nicht (nur) aus Rachegedanken, es besteht aus ganz anderen Emotionen: Wut, Scham, Ekel, Angst, Verdrängung. Und ziemlich häufig dem Wunsch, den oder die Täter/in niemals wieder sehen zu müssen, auch nicht, wenn man diesmal körperlich überlegen wäre. Ich möchte nicht für Betroffenen sprechen, aber so habe ich das zumindest bei meiner Recherche und im Gespräch mit Betroffenen wahrgenommen. Betroffene hingegen so darzustellen, als wären sie ihr Leben lang Opfer, und könnten erst durch die Abrechnung mit dem Täter wieder glücklich werden, ist schlicht und ergreifend falsch.
Ich bin nicht überzeugt von dem Konzept, die Darstellung von sexualisierter Gewalt aus den Kinos und Streaming Plattformen zu verbannen. Wir brauchen einen Umgang mit diesem wichtigen Thema, der es weder verharmlost und glorifiziert, noch die Brutalität für den Schockmoment ausschlachtet. Wissensvermittlung und Prävention von sexualisierte Gewalt kann in Bildern ein Teil der Kunst sein, ohne dass man eine Aufklärungsbroschüre schwingen muss. Und wenn es ein wirklich wichtiger Teil der Story oder ein entscheidender Moment in der Entwicklung der Charaktere ist, dann spricht auch nichts gegen eine solche Szene, solange sie sinnvoll eingesetzt wird. Sowas haben viele Filme und Serien natürlich schon geschafft. Die
Netflix-Serie
Sex Education zum Beispiel erzählt in einer Nebenhandlung, wie die Schülerin Aimee in einem Bus sexuell missbraucht wird. Aimees Umgang mit dem Trauma, ihre Schwierigkeiten mit der eigenen Sexualität und ihre Angst, sich anzuvertrauen werden daraufhin sehr gefühlvoll und ausführlich beleuchtet, ohne dass die Serie an Witz und Leichtigkeit einbüßt.
Ein ziemlich unterschätzter Film, der sich noch noch wesentlich ausführlicher mit dem Thema auseinandersetzt, ist Speak mit Kristen Stewart in der Hauptrolle. Er erzählt die Geschichte der 14-jährigen Melinda, die auf einer Party vergewaltigt wird und daraufhin komplett verstummt und sich in sich selbst zurückzieht. Die Vergewaltigungsszene ist wesentlich graphischer als in Sex Education, jedoch so eindeutig aus der Betroffenenperspektive erzählt, dass sie tatsächlich etwas dazu beiträgt, dass man sich in Melindas Gefühlswelt hereinversetzen kann. Außerdem kann ich die Serie Big Little Lies empfehlen, die sich unter anderem mit Partnerschaftsgewalt auseinandersetzt. Auch hier sind Szenen teilweise sehr graphisch, jedoch sinnvoll eingesetzt.
Sexualisierte Gewalt ist kein Thema, das sich einfach auf die leichte Schulter nehmen lässt. Doch wir können sie thematisieren, indem wir den „Male Gaze” abstreifen – und die Perspektiven von sexualisierter Gewalt betroffener Menschen filmisch darstellen.