Whataboutwhataboutism

What about Whataboutism?


Lena Sophie | 06.05.21

Dann falle ich einmal mit der Tür ins Haus: Ich lebe vegan. Klischee erfüllt! Es gibt so viele Gründe, weshalb ich mich für diesen Lebensstil entschieden habe, doch darum soll es im folgenden Text überhaupt nicht gehen. Vielmehr möchte ich darüber sprechen, welche Erfahrungen man als Veganer:in in einer omnivoren Gesellschaft, in der die Mehrheit Lebewesen konsumiert, machen muss. Das sind natürlich alles meine eigenen subjektiven Eindrücke, die ich in den letzten Jahren gewonnen habe, doch mittlerweile kenne ich auch einige andere „Pflanzenfreund:innen“, die alle Selbiges erfahren haben.


Beginnen möchte ich mit einer kleinen Anekdote. Es war der Geburtstag einer meiner besten Freundinnen. Wir waren etwa 20 Leute, einige kannten sich schon, andere nicht. Das Restaurant, in dem wir feierten, bereitete Wraps zu, wovon auch ein paar vegan waren. Der Ober fragte, wo der vegane Teller hinkommen soll und ich meldete mich. Von da an wussten alle, dass ich vegan lebe, was die meisten nicht interessierte, bis auf einen, der mir den ganzen restlichen Abend immer und immer wieder Bemerkungen zukommen lies á la „Ihh. Salat essen doch nur Hasen. Naja, wer´s mag (Blick zu mir)“. Später am Abend gingen wir zu meiner Freundin nach Hause. Da sie nicht damit gerechnet hatte, hatte sie nicht genügend Gläser und verteilte Plastikbecher. Ich nahm einen. Und wieder kam ein Kommentar: „Plastik ist aber auch nicht gut für die Umwelt!“ Da reichte es mir.


Ich bin ein Mensch und keine Maschine. Ich gebe mein bestes, etwas Gutes zu tun für Tier und Umwelt. Doch warum wird genau bei mir auf jede Kleinigkeit geachtet? Bevor ich vegan wurde, hat es niemanden interessiert, ob ich bei einer Party aus einem Plastikbecher trinke. Warum wird mit dem Finger auf meine Fehler gezeigt, aber nie auf meine Bemühungen? Das kann ich euch sagen: Whataboutism.

 

Das bedeutet: Allein durch das Wissen, dass ich vegan lebe, fühlen sich einige Menschen angegriffen und versuchen durch Whataboutism meinen Lebensstil herabzusetzen. Sie beginnen, nach Fehlern an mir zu suchen. „Was ist mit Plastikverpackungen?“, „Was ist mit Flugreisen?“, „Was ist mit Autofahren?“, „Was ist mit Palmöl?“, „Was ist mit regionalen Produkten?“. So komme ich immer und immer wieder in die Situation, in der ich mich erklären und rechtfertigen muss für ganz Alltägliches, wofür sich andere hingegen nicht rechtfertigen müssen, einfach nur, weil sie von Grund auf nicht auf Nachhaltigkeit achten. Das setzt einen zu Beginn, wenn man sich gerade erst mit einem nachhaltigen, veganen Lebensstil auseinandersetzt, oft sehr unter Druck, in allen Lebensbereichen perfekt sein zu müssen, um keine Angriffsfläche bieten zu können. Dabei bin ich doch niemandem eine Rechenschaft schuldig.


Doch warum stören sich manche ausgerechnet an den Fehlern von Veganern? Diese Frage hat mich lange beschäftigt, bis ich auf folgenden Begriff gestoßen bin: „Kognitive Dissonanz“.

 

Kognitive Dissonanz kommt aus der Sozialpsychologie und bezeichnet den Zustand eines inneren Widerspruchs, wenn zum Beispiel das Handeln nicht mit den eigenen Moralvorstellungen übereinstimmt. Da der Mensch auf Konsonanz ausgelegt ist, versucht er, Situationen zu vermeiden, in denen seine Einstellung, Meinung oder Kenntnis nicht mit der Realität übereinstimmt. Niemand möchte Tierleid und Umweltverschmutzung verursachen oder unterstützen, doch durch das eigene Konsumverhalten tun viele Menschen genau das. Wenn dann ein Veganer bzw. eine Veganerin anwesend ist, fühlen sie sich mit genau diesem inneren Widerspruch konfrontiert. Sie versuchen, ihn wieder in ein Gleichgewicht umzuwandeln, allerdings nicht, indem sie ihr eigenes Tun hinterfragen und reflektieren, sondern indem sie bei der anderen Person gezielt nach Fehlern suchen, die Bemühungen anderer herunterspielen oder sich sogar darüber lustig machen.

Das große Problem an der Sache ist, dass dadurch Menschen, die sich sowieso schon Gedanken zum Thema Nachhaltigkeit machen und dafür bereits viel an ihrem Lebensstil geändert haben, das Gefühl vermittelt wird, sie würden nicht genug tun und das was sie tun, sei lächerlich und hätte keinen Wert. Dabei sollte man doch genau diese Bemühungen wertschätzen und respektieren, denn es profitieren immerhin alle von sauberer Luft, sauberem Wasser, sauberem Boden.


Man kann auch noch eine andere Art beobachten, wie Menschen mit ihrer kognitiven Dissonanz umgehen, nämlich dadurch, dass sie sich etwas so lange zurecht interpretieren, bis es in ihr gewohntes Muster passt. Dann wird zum Beispiel gerne behauptet, man würde ja nur sehr wenig Fleisch essen und dass dadurch ja auch schon sehr viel für die Umwelt getan sei. Das ist eine sehr simple Technik, da es keine genauen Anhaltspunkte dafür gibt, welche Menge denn genau „wenig“ ist. Das ist ein rein subjektives Empfinden, wodurch man sich selbst schnell von einem kognitiven in einen konsonanten Zustand manipulieren kann.

 

Natürlich sind auch Veganer:innen nicht von kognitiver Dissonanz und Whataboutism befreit. Diese Begriffe sind ja nicht nur auf das Thema Nachhaltigkeit beschränkt, sondern können auf alle Lebensbereiche zutreffen. Allerdings haben sich die meisten Veganer:innen zumindest schon einmal intensiver mit der Frage beschäftigt „welche Werte möchte ich vertreten?“ und durch ihren Lebensstil stimmt ihr Handeln größtenteils mit ihren Moralvorstellungen überein. Das nennt sich übrigens Integrität.


Ich werde mich weiterhin bemühen, mein Konsumverhalten zu reflektieren und im Rahmen meiner Möglichkeiten mein Bestes geben. Doch ich möchte meine Fehler nicht mehr vor anderen rechtfertigen. Es wird immer Luft nach oben geben. Es wird immer ein „What about …?“ geben. Es wird immer ein besser und nachhaltiger geben. Aber letzten Endes gibt es kein perfekt und dafür habe ich auch eine passende Bezeichnung gefunden: menschlich.

Share by: