zusammenisteswenigerkalt

Zusammen ist es weniger kalt

Anna | 26.11.24

ich weine

du weinst auch

ich halte deine hand, an deinem zeigefinger dein ehering

weil er auf den ringfinger nicht mehr passt

die letzten worte, die wir sprachen, hallen in meinem kopf

bis in ein paar wochen, sagte ich

hoffend, dass du noch wochen hast

Wie umgehen mit der Leere, die du hinterlässt? Mit dem Schmerz, der bleibt, obwohl du nicht mehr bist? Wer fängt mich auf? Wer nimmt mir diese Last von meinen Schultern?


Es ist ein anstrengender Tag. Langsam bahnt sich eine Erkältung den Weg in mein Bewusstsein, ich schniefe, habe Kopfschmerzen. Trotzdem arbeite ich, muss etwas fertigstellen. Ich bin müde und erschöpft, will nur entspannen. Gerade sitze ich auf meinem Bett in meiner kleinen 1-Zimmer-Wohnung, schalte den Fernseher ein und fange an, meine Suppe zu essen, in der Hoffnung, dass sie mich mit ihrer Wärme
magically gesund macht. Da vibriert mein Handy. Der Name und ein Bild meiner Mutter auf meinem Display, welches wenige Wochen zuvor von ihr bei einem Geburtstagsessen geschossen wurde. Ich weiß sofort, was dieser Anruf bedeutet. Dennoch breche ich in Tränen aus, als ich die Worte höre. 


“Es dauert nicht mehr lang. Möchtest du kommen?” 


Ich buche einen Nachtbus, packe hektisch meine Sachen und eine Stunde später bin ich auf dem Weg. Der Rest meiner Suppe im Schlepptau. Ich sehe meinen Vater noch ein letztes Mal. Ich halte ihn, während er einschläft. Doch keine Worte können beschreiben, was für ein Loch er hinterlässt.
Ich weiß nicht, ob ich jemals so traurig war.


Ironischerweise kann ich die Tage nach seinem Tod an nichts anderes denken als daran, dass niemand uns etwas zu Essen vorbeibrachte. Es gab viele Besuche, viele Tränen und Umarmungen, viele Beileidsbekundungen. Ich habe noch nie vor so vielen Menschen auf einmal geweint. Aber wieso dachte denn niemand daran, uns mal etwas zu Essen vorbeizubringen? Lag das nur an mir, war nur ich gelähmt von der Trauer und dem Schmerz? Irgendwie schienen alle um mich herum noch zu funktionieren. Meine Mama sorgte für uns, schickte uns los zum Einkaufen, putzte, kochte, kümmerte sich. Ich konnte mich meist nur schwer aufraffen, auch etwas zu tun. Zu groß die Leere in meinem Inneren.
Außerhalb Deutschlands scheint das irgendwie normal zu sein. In anderen, weniger kalten Ländern kommt die ganze Familie, ja die ganze Nachbarschaft zusammen, bringt Essen und Getränke, sitzt gemeinsam in Trauer und erzählt sich Geschichten über den:die Verstorbene:n. 


Mir ist bewusst, wie zynisch es ist, wenn ich als Deutsche, die in der Wärme und Geborgenheit eines Einfamilienhauses im Herzen eines westdeutschen Bundeslandes mit aller Gnade des Staates aufgewachsen ist, sage, dieses Land wäre kalt. Ich kann nur nicht umhin mich zu fragen, ob uns in dieser Ellenbogen-Gesellschaft nicht ein wenig der Sinn des Zusammenhaltes entglitten ist. Kapitalismus und Aufklärung sei Dank steht das Individuum über allem anderen. A
ls allererstes sind wir individuell, eigenständig, autonom. Selbstliebe, Selbstoptimierung, sei dir selbst am nächsten. Aber dieser Fokus auf das Individuum macht einsam. Wir hangeln uns von Deadline zu Deadline, fokussieren uns nur auf uns und unsere eigene Karriere. Mit ausgestreckten Ellenbogen fegen wir jede:n aus dem Weg, der:die versucht, uns den Platz in der Chefetage madig zu machen. Denn die Karriereleiter ist schmal, wir passen da nur alleine rauf. Wir wollen auch ein Stück von dem Kuchen, den die da oben haben. Aber was wäre denn, wenn wir im Kollektiv unsere Stärke finden? Und uns den Kuchen teilen?

In meinem Fall hieße das, gemeinsam trauern, anstatt bedrückt nebeneinander zu sitzen und nicht zu wissen, was man sagen soll. Da nehme ich mich selbst gar nicht raus. Vor meinem eigenen Verlust wusste ich selten, wie ich mich zu verhalten habe, wenn in meinem Umfeld jemand trauerte.
In meiner Familie und in meinem Umfeld sprach niemand so wirklich über den Tod. Was, wenn da überhaupt etwas ist, kommt nach dem Tod? Wie gehe ich um mit dem Tod einer geliebten Person? Wie gehe ich um mit Menschen in meinem Umfeld, die trauern, selbst wenn ich nicht betroffen bin? 


Heute wünsche ich mir etwas mehr Offenheit für diese Fragen. Einen offenen Umgang mit dem natürlichen Kreislauf des Lebens. Und einen kollektiven Umgang mit der Trauer. Ich wünsche mir, aufgefangen werden zu können durch die Hände meiner Liebsten. Durch meine Gemeinschaft. Wie schaffen wir Gemeinschaft in einer Welt, die auf Konkurrenz beruht? In der uns von frühauf eingebläut wird, dass wir alleine stark sind, dass wir als allererstes uns selbst brauchen?
Wie schaffen wir eine Gesellschaft, die sich gegenseitig unterstützt und warm hält? Ich möchte nicht ständig stark sein müssen. Nicht ständig kämpfen müssen für ein Dach über dem Kopf und Essen auf meinem Teller.

Ich möchte nicht behaupten, dass es Gemeinschaften nicht bereits gibt, ob Freund:innenkreise, (Sport-)Teams oder (selbstgewählte) Familie, wir alle streben nach Gemeinschaft und Geborgenheit. Dies ist lediglich ein Appell zum Umdenken der Umstände, in denen wir leben. Und ein Wunsch für ein besseres Morgen. In meinem Algorithmus auf Social Media kursiert immer wieder das Meme, was es im eigenen Sozialismus (die nächste Stufe nach dem Ende des Kapitalismus) geben oder auch nicht geben wird.
In meinem Sozialismus kann ich aufatmen, aufgefangen werden und auch mal nicht stark sein. In meinem Sozialismus wird der Kuchen mit allen geteilt. Wir geben alle aufeinander acht, sind alle füreinander da. In meinem Sozialismus leben und arbeiten und trauern wir im Kollektiv.


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