ein Beitrag von Laura und Marlene Beilharz | 25.02.21
Dieser Monat dreht sich rund um das Thema Freiheit.
Da mag Barrierefreiheit auf den ersten Blick nicht in die klassischen Gedanken passen, obwohl dies das Wort sogar im Namen beinhaltet. Doch was bedeutet das überhaupt? Vielen Menschen kommen wohl erst einmal Rampen neben Treppen oder absenkbare Einstiege in Busse in den Sinn, doch wie so meistens, ist das nur die Spitze des Eisbergs.
Grob gesagt heißt Barrierefreiheit, dass alles für alle Menschen gleichsam zugänglich gemacht wird. Das umfasst nicht nur öffentliche Gebäude, Plätze und Verkehrsmittel, Arbeitsstätten und Wohnungen, sondern auch den digitalen Raum und Formulierungen auf bspw. Formularen in Leichter Sprache. Wir brauchen Barrierefreiheit dringend, da nicht barrierefreie Orte und Kommunikationsmittel die Teilhabe vieler Menschen am kulturellen und politischen Leben massiv einschränken.
Dazu kommt noch, dass Barrierefreiheit allen gleichsam hilft: Alte Menschen, Rollstuhlfahrer, Familien mit Kinderwagen und Leute, die temporär in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, sind auf Aufzüge angewiesen. Texte in Leichter Sprache und mit Bebilderungen helfen nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten, sondern auch Leuten, denen die Landessprache fremd ist oder die nicht ortskundig sind.
Für Barrierefreiheit sollten sich auch Menschen ohne Behinderungen einsetzen. Auf der einen Seite, weil für eine funktionierende Demokratie die Stimmen aller Bevölkerungsgruppen wichtig ist, und - pragmatisch gedacht - auf der anderen Seite, weil sie auch irgendwann davon betroffen sein könnten. Nur vier Prozent aller Behinderungen sind angeboren, die meisten kommen einher mit Unfällen oder mit dem Alter.
Ein großer Punkt bei Barrierefreiheit ist auch, dass Freiheiten in keinster Weise von irgendwem eingeschränkt wird, sondern sie nur erweitert wird, um Chancengleichheit und kulturelle bzw. politische Teilhabe zu ermöglichen.
Als jemand, der selbst nicht auf Barrierefreiheit angewiesen ist, weil ich nicht betroffen bin, möchte ich nun jemand besonderen vorstellen, die besser erklären kann, welche Bereiche des Lebens davon beeinträchtigt werden können.
Marlene Beilharz ist 24 Jahre alt, durch einen Sauerstoffmangel während der Geburt schwer körperbehindert und Rollstuhlfahrerin. Sie studierte im Bachelor Theaterwissenschaft und jetzt im Master Film- und Medienkulturforschung an der LMU München. Ihre Schwerpunkte im Studium liegen im Bereich der Computerspiel- und Filmforschung. Des Weiteren interessiert sie sich für Theater, bildende Kunst und Schach. Als Kind spielte sie in zwei Spielfilmen, die das Leben einer Familie mit einem körperbehinderten Kind zum Thema haben. (Engelchen Flieg! und Das Leuchten der Sterne) In ihrem Blog macht sie neben Alltags-Anekdoten auf Barrieren in der digitalen Welt aufmerksam.
In ihrem Schriftfilm (Video) beschreibt Marlene Beilharz aus dem persönlichen Blickwinkel
eines Menschen mit Körperbehinderung Barrieren und Chancen in der digitalen Welt.
Auch zu sehen auf https://vimeo.com/514979369.
Alltag
Ich bin seit meiner Geburt schwer körperbehindert. Für manche Leute bedeutet die Tatsache, dass ich im Rollstuhl sitze, viel zu viel: Sie bedauern mich, haben Mitleid, denken, ich müsse sehr unglücklich sein. Sie trauen sich gar nicht, mich normal anzusprechen, weil sie das alles so schlimm finden. D.h. meine Behinderung wird vor meinen Interessen, Fähigkeiten oder Charakterzügen wahrgenommen. Damit werde ich nicht als Person gesehen, sondern auf meine Behinderung reduziert. Außerdem bin ich nicht unglücklich und würde gern normal behandelt werden. Für andere ist es ein Unsicherheitsfaktor: Viele Menschen kennen keine Rollstuhlfahrer*innen und wissen deshalb nicht, wie sie sich verhalten sollen. Das wäre nicht so, wenn Inklusion in der Gesellschaft angekommen wäre. Manchmal bin ich schwer zu verstehen, weil meine Artikulation beeinträchtigt ist. Deshalb bemühe ich mich, mit Menschen, die mich nicht kennen, langsam zu sprechen, was dann Befremden auslöst. Dann sprechen die Leute auch sehr langsam und einfach mit mir, weil sie denken, dass ich sie dann leichter verstehen kann. Oft wird ein Rollstuhl mit geistiger Behinderung assoziiert. Man könnte natürlich auch ganz normal und unbefangen mit mir sprechen und würde dann schnell merken, dass ich sehr wohl in der Lage bin, andere zu verstehen, auch wenn ich mit meiner Artikulation und meinem Körper Probleme habe. Zum Glück ist es für viele, die mich gut kennen, ganz normal, mit mir Dinge zu unternehmen. – Zumindest in der Theorie. Für diejenigen, die sich jetzt fragen, was ich damit meine, möchte ich einige Beispiele nennen.
Freiheit: Was bedeutet das eigentlich für mich?
Was Freiheit für mich bedeutet, ist gar nicht so leicht zu sagen. Vielleicht, dass ich überall hinkomme. Leider funktioniert das aber nicht immer. Ich studiere im Master Film-und Medienkulturforschung. Um die Uni herum ist kaum ein Café, eine Bar oder Restaurant, in das ich ohne Stufe reinkomme. Das ist schade. Die Einschränkung besteht darin, dass ich entweder gar nicht mit in das Lokal kann oder mich nicht spontan mit Freund*innen treffen kann, sondern vorher planen muss. Außerdem bin ich darauf angewiesen, dass sie dorthin gehen, wo es für mich passt. Und wie gesagt, diese Orte sind rar. Es nervt auch einfach, dass man abhängig ist, und dass immer auf mich Rücksicht genommen werden muss, nur weil die baulichen Voraussetzungen schlecht sind. Bekanntermaßen beinhaltet ein Studium nicht nur Lernen, sondern auch die sozialen Kontakte und die Freizeit zwischen den Vorlesungen.
Auch in der Uni ist leider längst nicht alles barrierefrei. Es sind nicht alle Räume zugänglich, die Wege teilweise lang und umständlich, Türen sind z.B. im Hauptgebäude riesig und schwer und keinesfalls alle selbstöffnend, Aufzüge sind teilweise zu klein und manchmal auch kaputt, Seminarräume eng und zu klein usw. Weil ich andere Wege nehmen muss als die anderen Student*innen und deshalb auch viel länger brauche, bin ich oft nicht dabei. Auf der anderen Seite bemüht sich die Uni aber auch, die Räume so zu tauschen, dass ich die Kurse belegen kann, die ich möchte, hat Patienten-Lifter für die Toilette angeschafft, zeigt sich gesprächsbereit und offen. Da ich Texte nicht selbständig analog lesen und bearbeiten kann, weil ich weder selbst die Seiten umblättern, noch von Hand eine Notiz machen oder etwas unterstreichen kann, kann ich diese bei der Beratungsstelle für Behinderte der LMU einscannen lassen. Inzwischen gibt es glücklicherweise auch digitale Angebote der Bibliothek. Ein paar digital affine Dozent*innen stellen die Texte sogar von sich aus online. Das sind aber wenige....
Ich möchte meinen Hobbies nachgehen können
Freunde treffen, Kino, Theater, Museen
Ich habe viele Interessen und Hobbies, bin aber, wie viele junge Leute, oft chaotisch. Ich will gerne spontan entscheiden, aber genau das ist meist schwierig, da ich bei fast allem auf Assistenz angewiesen bin. Das muss organisiert werden. Ich brauche immer Begleitung oder Hilfe, auch bei alltäglichen Handgriffen. Reisen und Ausflüge sind kompliziert. Wie oft waren schon die Aufzüge bei S- und U-Bahn kaputt! Oder der Plattformlifter der Straßenbahn! Im Winter sind die Busse voll, manche Fahrer*innen nehmen eine*n Rollstuhlfahrer*in nicht mehr mit, wenn schon zu viele Kinderwagen im Bus sind. Draußen im Regen oder in der Kälte zu warten, ist nicht das Angenehmste, außerdem hat man nicht immer die Zeit, für einen Weg dreimal so lang zu brauchen wie normalerweise.
In meiner Freizeit (und gleichzeitig auch für mein Studium) schaue ich Filme, gehe ins Museum, in Konzerte oder ins Theater. Leider ist auch das nicht immer so einfach, wie es klingt. Bei Kino und Theater ist natürlich ein barrierefreier Zugang die Voraussetzung. Auch die Länge der Veranstaltung ist oft entscheidend, da auch ich ab und zu - wie jeder andere auch - auf die Toilette muss, es aber nicht immer rollstuhlgerechte Toiletten gibt. In fast keiner Münchner Kultureinrichtung und schon gar nicht in Kneipen gibt es sogenannte „Toiletten für alle“, d.h. eine Toilette mit Lifter, Liege, genug Platz usw. Das allerdings wäre für mich die Voraussetzung, dass ich mit einer Assistentin zu Veranstaltungen gehen und so lange bleiben kann, wie ich Lust dazu habe. Somit gestalten sich Unternehmungen oft als schwierig.
Computerspiele
Ich liebe Computerspiele. Die kann ich theoretisch alleine spielen, allerdings gibt es auch hier Schwierigkeiten. Ich kann meine Hände nicht kontrollieren und benutze einen Mini-Joystick, den ich mit dem Kinn bediene, zusammen mit einer Switch-Mouse (das ist ein Zusatzgerät zur Computeransteuerung). Eine schnelle Eingabe von Tastaturkombinationen, schnelle Reaktionen oder genaues Zielen sind für mich schwer bzw. nicht möglich. Leider treffen aber genau diese Kriterien auf die meisten Computerspiele zu, so dass ich auch hier nicht einfach nur meinem persönlichen Spielinteresse nachgehen kann. Nicht bei allen, aber bei vielen Computerspielen wäre eine barrierefreiere Bedienung machbar, z. B. wenn man Pfeiltasten oder andere Tasten, die benötigt werden, ins Spiel integriert und auf dem Bildschirm mit der Maus ansteuerbar macht. Bei vielen anderen digitalen Auftritten wäre ein barrierefreier Zugang sogar leicht zu bewerkstelligen. Das bedeutet, dass man benutzerfreundliche, übersichtliche Oberflächen macht, bei denen man leicht navigieren kann. Voraussetzung dafür ist ein Bewusstsein für die Schwierigkeiten bestimmter Personengruppen und die Bereitschaft mitzudenken und bestehende Strukturen zu ändern. Und das betrifft natürlich sowohl den digitalen, als auch den baulichen Bereich.
Schreiben
Schreiben ist einerseits ein Hobby von mir, ich schreibe gern Gedichte und Geschichten, andererseits ist Schreiben einfach für den Alltag nötig: Für’s Studium, zur Kommunikation usw. Ich schreibe mit einer Bildschirmtastatur, die inzwischen in allen Computern verfügbar ist, am besten mit Wortvorhersage, sonst muss ich jeden Buchstaben einzeln anklicken. Das bedeutet natürlich auch, dass es länger dauert. Wenn Formulare oder Anträge zeitbegrenzt sind, habe ich kaum eine Chance, sie rechtzeitig auszufüllen. Auch hier wäre eine Funktion für Menschen, die mehr Zeit brauchen (und das sind nicht nur Menschen mit Körperbehinderung!) wünschenswert.
Seit gut 9 Monaten schreibe ich ein eigenes Blog, in dem ich sowohl die mangelnde Barrierefreiheit bei Computerspielen, Websites oder z.B. die häufig zu kleinen Eingabefelder bei Online-Fragebögen kritisiere und Vorschläge für mehr Barrierefreiheit mache. (Manchmal lobe ich auch barrierefreie digitale Angebote. Leider überwiegt die Kritik, da noch vieles verbesserungswürdig ist.) Außerdem erzähle ich dort kurze Geschichten, in denen ich meinen Alltag schildere und seltsame Begegnungen mit Passanten ironisch beleuchte.
Jedenfalls ist meine (Wahl-)Freiheit durch die vorhandenen Barrieren oft eingeschränkt, so dass ich nicht alles machen kann, was ich gerne tun würde. Im Großen und Ganzen werden die Möglichkeiten zum Glück in den letzten Jahren immer besser. Aber es gibt noch viel zu tun!
https://blogfuerbarrierefreiheit.blogspot.com/
https://www.aktion-mensch.de/dafuer-stehen-wir/was-ist-inklusion/11-Vorurteile-ueber-Inklusion.html
https://www.toiletten-fuer-alle.de
Quellen: