BORDERLINE
Fly | 26.05.2021
Der Mai ist bei uns bei der BUUH! der Klima- und Nachhaltigkeitsmonat. Aber Mai ist auch Borderline-Awareness Month.
Borderline ist eine Persönlichkeitsstörung, die sehr stark stigmatisiert ist, weshalb der Awareness Month der Aufklärung darüber und der Entstigmatisierung dienen soll.
Dieser Beitrag besteht aus zwei Teilen: einem informativen Artikel und einem Erfahrungsbericht.
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Die Borderline-Persönlichkeitsstörung, auch emotional-instabile Persönlichkeitsstörung oder Emotionsregulationsstörung genannt, ist sowohl im klinischen Kontext, als auch im allgemein gesellschaftlichen stark stigmatisiert und mit Vorurteilen behaftet.
Deshalb zu Beginn dieses Textes ein paar kurze Fragen:
Menschen mit Borderline verletzten sich alle selbst („ritzen“ sich), vielleicht wollen die ja einfach nur Aufmerksamkeit. Borderliner sind manipulativ und anstrengend.
Menschen mit Borderline sind anstrengend, dramatisieren nur und alles ist irgendwie überzogen, außerdem sind die unberechenbar und impulsiv.
Alle Menschen mit der Diagnose der Borderline Persönlichkeitsstörung sind so und alle gleich.
Diese oben genannten Sätze sind die am weitesten verbreiteten Vorurteile gegenüber Borderline. Was außerdem immer noch mitschwingt ist, dass Menschen mit dieser Diagnose am besten gemieden werden sollten, einfach anstrengend sind und „die sind halt so, das ändert sich auch nicht“. Doch wie sieht es denn jetzt wirklich aus? Woher kommen diese Vorurteile?
Nach dem Diagnosekatalog ICD-10 gehört die Borderline Persönlichkeitsstörung zum Kapitel V, psychische Verhaltensstörungen, genauer gesagt zu den Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Ganz genau ist Borderline dann unter F30.3 -emotional instabile Persönlichkeitsstörung zu finden. Hier wird noch einmal zwischen dem Impulsiven Typ (F60.30-), welcher zu aggressivem und reizbaren Verhalten neigt, und dem Borderline Typ (F60.31-), der sich vor allem durch emotionale Instabilität ausgezeichnet ist, unterscheiden. Was beide Ausprägungen gemeinsam haben sind unter anderem extreme innere Anspannungszustände, welche durch eine intensive emotionale Reaktion auf eine auslösende Situation auftreten. Emotionen können dann nicht eingeordnet oder benannt werden können, da diese in dem Moment viel zu intensiv sind. Diese Zustände sind so unangenehm, dass oft mit dysfunktionalem (selbstschädigendem Verhalten) darauf reagiert wird.
Nicht umsonst existieren die Namen Emotionsregulationsstörung und emotional instabile Störung. Die Regulation der Emotionen ist bei den meisten Menschen mit dieser Diagnose eine große Schwierigkeit, da die Emotionen im Vergleich zu anderen deutlich intensiver sind. Das bedeutet zum Beispiel, dass ungewöhnlich starke emotionale Reaktionen auf kleine und große Auslöser folgen, aber auch, dass sich die Stimmung und emotionale Lage schnell ändern kann. Neurologische Studien haben ergeben, dass das Gehirn Emotionen anders verarbeitet, so ist beispielsweise die Aktivität der Amygdala (umgangssprachlich Mandelkern, befindet sich etwa in der Mitte des Gehirn) , bei Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung abweichend zu der einer Vergleichsgruppe. Die Amygdala ist für die Verarbeitung von Stress und Gefahrenreizen zuständig, durch die Abweichung ist eine Übererregbarkeit zu beobachten. Aber auch das limbische System und der Hippocampus zeigen Abweichungen auf. Neurobiologische Veränderung sind zwar keine alleinstehenden Auslöser, aber eine interessante Beobachtung, mit der die Intensität der Emotionen und Gefühle erklärt werden kann. Für betroffene Menschen bedeutet dies ein dauerhafter „Alarmzustand“, da die Emotionen sehr intensiv und wechselhaft auftreten können, ebenso wie oben genannte Zustände der Anspannung. Dennoch beschreiben viele Betroffene auch ein Gefühl der Leere und/oder der Dissoziation als starken Gegensatz zu den intensiven und schnell wechselnden Emotionen und Anspannungszuständen. Dabei wird deutlich, dass Borderline auch Extreme bedeutet, Schwarz-Weiß denken, alles oder nichts. Zu viel fühlen oder gar nichts. Ähnlich verhält es sich auch mit zwischenmenschlichen Beziehungen, welche geprägt sein können von extremen Mustern, die durch Instabilität und sich Impulsivität sichtbar werden, ebenso wie die Angst vor dem Verlassen Werden auf der Seite der betroffenen Person, wodurch einerseits manipulatives, oder manipulativ wirkendes Verhalten auftreten kann kann, aber auch ein stetiger Wechsel von Zuneigung und Ablehnung.
Sehr charakteristisch für die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist das oben bereits kurz genannte dysfunktionale (impulsive) Verhalten, welches ganz unterschiedlich und individuell sein kann. Das Klischeeverhalten ist wohl das „ritzen“, aber genauso sind es häufig andere Formen von selbstverletzendem Verhalten, Hoch-Risikoverhalten, Suizidandrohungen- und Versuche, Substanzmissbrauch, Essanfälle und weiteres Verhalten, welches den kurzfristigen Effekt der Erleichterung und Emotionsregulation haben kann, aber auch eine Reaktion auf Selbsthass und Bestrafungsimpulse sein kann.
Klingt erst einmal so, als würde das Klischee zutreffen, oder?
Eine Borderline-Persönlichkeitsstörung kann sich ganz unterschiedlich ausprägen, nicht alle genannten Merkmale müssen zutreffen und es können noch andere hier nicht genannte Symptome zutreffen. Die Intensität der Emotionen bedeutet zwar, Ärger, Wut, Traurigkeit, Schuld und alle anderen negativ kontierten Emotionen heftiger wahrzunehmen, aber eben auch Freude, Zuneigung, Glück und Liebe. Es ist eine andere und intensivere Wahrnehmung von Emotionen und Gefühlen, welche aber auch eine ganz besondere Lebendigkeit mit sich bringt. Was auch sehr oft übersehen wird ist, dass viele Betroffenen zwar Schwierigkeiten haben ihre Emotionen zu benennen, aber durch kreativen Ausdruck einen anderen Zugang dazu haben, der eine ganz eigene Stärke haben kann.
Erinnerst du dich noch an die Klischee- Sätze? An dieser Stelle möchte ich hier noch einmal die Klischee- Schublade aufräumen:
Um noch einmal den Punkt „die sind einfach so“ aufzugreifen:
Eine Borderline Persönlichkeitsstörung ist nicht einfach so da. Die Ursachen sind vielfältig, es wird davon ausgegangen, dass es eine genetische Disposition geben kann, aber nicht muss. Außerdem haben viele Betroffene oftmals bereits in ihrer Kindheit Gewalt, Vernachlässigung oder Missbrauch erleben müssen. Doch auch hier ist es wichtig zu sagen, dass die Ursachen sehr individuell und unterschiedlich sind. Auch treten oft noch andere psychische Erkrankungen in Kombination auf, am häufigsten sind die Essstörungen, Depressionen und Traumafolgestörungen.
Boderline mag zunächst sehr abschreckend klingen, aber Menschen mit dieser Diagnose sind oft sehr sensibel und je nach Lebensphase sehr verletzlich. Dysfunktionales Verhalten kann von außen unverständlich sein, doch für die Betroffene Person war/ist dieses Verhalten mit großer Wahrscheinlichkeit der einzige Weg gewesen mit dem inneren Chaos umzugehen.
„Die sind halt so, nichts ändert das“Lange war das eine Annahme gegenüber Betroffenen, auch im psychiatrischen Bereich war Borderline sehr stark stigmatisiert und galt als untherapierbar. Inzwischen wird Borderline oft nach DBT (Dialektisch-Behaviorale Therapie), welche eine kognitive Verhaltenstherapie ist, behandelt. Marsha Linehan hat diese Therapieform für Borderline Betroffene entwickelt, heutzutage wird diese Therapieform auch auf andere psychische Erkrankungen angewendet, auch wenn diese ursprünglich nur auf Borderline bezogen wurde.
Die Ausprägung der Borderline Persönlichkeitsstörung ist also sehr individuell, genauso wie die Auslöser.
Um darauf aufmerksam zu machen und etwas gegen die Stigmatisierung zu unternehmen, gibt es den Borderline Awareness Month.
Borderline ist eine Persönlichkeitsstörung, wusstest du jetzt auch schon, richtig?
Ist meine Persönlichkeit dadurch gestört?
Ist sie dadurch falsch?
Muss ich mich deshalb jetzt verstecken und verstellen, weil falsch ist gleich schlecht?
Oder wird meine Persönlichkeit gestört? Von meinem Gehirn und meiner Psyche, die sich nicht entscheiden können, ob ich jetzt gut oder schlecht drauf bin.
Was heißt hier eigentlich gestört?
Gestört fühle ich mich eigentlich nicht. Manchmal vielleicht. Aber nicht wirklich.
Trotzdem merke ich oft, dass andere Menschen nicht verstehen, warum ich so heftig auf kleine Dinge reagiere, warum meine Stimmung sehr schnell in extreme kippt, warum ich viel zu viele Narben auf meinem Körper habe.
Aber auch das ist Borderline für mich. Die Diskrepanz zwischen dem, was ich wahrnehme, und dem, was andere Menschen in meinem Umfeld wahrnehmen.
„Übertreib nicht“
Doch. Manchmal muss ich das. Aber auch nicht immer.
Borderline war für mich lange Zeit auch ein Versteckspiel.
Ich habe versucht, meine Emotionen vor mir und vor allen anderen zu verstecken, weil ich nicht damit umgehen konnte. Zu heftige Reaktionen habe ich als gefährlich und nicht alltagstauglich abgestempelt und versucht so lange wie es geht einzuschließen. Aus Angst, alleine gelassen zu werden, wenn ich zeige, wie es wirklich ist. Denn zu viel und überzogen ist anstrengend.
So die Logik in mir.
In den letzten zwei Jahren habe ich immer mehr gelernt, dass ich mich nicht verstecken muss, dass sowohl meine Narben nicht unbedingt immer gut ankommen, doch dass die Menschen, die mir Nahe sind, die so akzeptieren wie sie sind.
Doch nicht nur meine Narben habe ich versteckt, auch viel von mir, meinen Emotionen, Gefühlen, Bedürfnissen. Ich habe all das vor anderen versteckt, aber auch vor mir selbst.
Es ist das überlegen, was ist zu viel, was nicht? Was kann ich preisgeben, was ist zu viel?
Auch jetzt denke ich darüber nach, was kann ich schreiben und was ist abschreckend. Ich versuche die Mitte zu finden, aber ich bin ehrlich: Mittelwege sind nicht unbedingt meine Stärke.
Die ständigen Suche nach dem Mittelweg
Ich habe ein ziemliches „alles oder nichts“ in mir. Mit voller Motivation studieren und dann abbrechen. War das eine impulsive Borderline-Entscheidung? (Spoiler: ich glaube nicht, aber ich hab die Entscheidung auch lange aufgeschoben, aus Angst zu spontan und impulsiv zu handeln) Oft stelle ich mir diese Frage. Ist das „Normal“ oder ist das gerade wieder ein Borderline-Ding?
Genau deshalb kündige ich manchmal an, wenn ich merke, dass es kippt. Sätze wie „Ich werde jetzt anstrengend“ , „ich glaub es geht gleich wieder abwärts“ haben die Menschen, mit denen ich gerade viel Zeit verbringe schon oft gehört.
Warum?
Weil ich oft Angst habe, zu anstrengend zu sein. Denn Borderline ist schließlich anstrengend. Und anstrengend ist nicht gut. Dann kommt das Schuldgefühl, einer meiner Endgegner.
Es kommt und bleibt hartnäckig.
Zu viel oder zu wenig.
Ich glaube das fasst für mich am besten zusammen.
Oft ist es, als würde mich alles erdrücken, alles ist zu viel, zu intensiv, zu überzogen, zu..
Und dann ist da wieder die Leere.
Manchmal tauche ich dann ab in Dissoziationen und Flashbacks, die Realität um mich herum verschwindet und ich verliere den Bezug zum hier und jetzt und zu meinem Körper.
Ich muss ein bisschen aufpassen, dass es nicht direkt wieder passiert, wenn ich darüber schreibe.
Abtauchen.
Das kann ich oft ganz gut.
Aber dann wirkt alles unreal, nicht echt. Manchmal ist das ganz gut, aber auf Dauer fehlt die Verbindung zur Welt und zu anderen Menschen. Klingt das zu dramatisch?
Borderline ist für mich immer wieder neue Trigger zu erkennen, um nicht abzutauchen.
Aber Borderline ist für mich auch die Entscheidung aus meinem alten Verhalten rauszukommen, lernen zu vertrauen, neue Erfahrungen zu machen, mich nicht immer so krass abzuwerten, mich nicht mehr dafür zu verurteilen was war.
Aber Borderline ist auch eine Achterbahn der Emotionen, viel Chaos und auch immer wieder ganz viel Dankbarkeit für die Menschen, die mir sagen, dass es so okay ist. Die sehen, dass ich mich zusammenreiße, aber die nicht erraten, dass ich alles voll und ganz verstecke, die mir sagen, dass es gut ist, das ich da bin.
Denn auch das ist für mich Borderline. Davon überzeugt zu sein, dass es ohne mich besser wäre. Und davon überzeugt zu sein, dass alles, was passiert ist, dass das, was ich erlebt habe, meine Schuld ist. Gleichzeitig ist es für mich auch der Impuls immer irgendwas blödes oder (vermeintlich) witziges zu sagen, nachdem ich etwas schweres gesagt habe.
Nachdem ich jetzt so viel negatives geschrieben habe, habe ich den Eindruck, dass es nicht ganz das beschreibt, wie es ist. Denn ja, es ist oft anstrengend, aber nicht immer.
In schönen Momenten ist auch das wahnsinnig intensiv, dann habe ich so viel Dankbarkeit in mir oder fühle mich ganz leicht.
Es ist und wird wahrscheinlich immer ein ziemliches auf und ab bleiben.
Doch ich lerne damit umzugehen, das anzunehmen und auch die anderen Seiten, die positiven Seiten zu sehen.
Oft werde ich mit Vorurteilen konfrontiert, doch inzwischen weiß ich: Ich bin kein laufendes Vorurteil und nicht nur Borderline. Ich bin ich, und ich habe Borderline.