Hot Takes #2 crashing

Hot Takes #2

Crashing – „Somebody needs an Orgasm“

Lena, Sofie und Kinga | 16.06.24

Die britische Serie Crashing, die 2016 erstmals ausgestrahlt wurde, vereint in sich die Rahmung einer klassischen Ensemble-Sitcom mit der grotesken Fülle eines Dramas. In insgesamt sechs Folgen erschreibt die Produzentin und Drehbuchautorin Phoebe Waller-Bridge (bekannt durch Fleabag) eine Handlung, die Szene für Szene aufs Neue in eine für sie typische Absurdität führt. Durch ständige Übertreibungen erzeugt sie fast schon eine Art Ekel beim Ansehen, der oftmals aus einer Mischung von amüsiert und peinlich berührt-sein besteht.

Die Rahmenhandlung bildet eine Gruppe von sechs jungen Leuten, die aufgrund der angespannten Wohnsituation in London in einem stillgelegten Krankenhaus als sogenannte “Property Guardians” wohnen. Das Ensemble setzt sich aus allesamt komplexen Figuren zusammen, die eine bandbreite an Themen abdecken – da ist der “Macho” mit unterdrückter Homosexualität und eine französische Künstlerin, die einen depressiven Mann, der gerade durch eine Scheidung geht, als Muse nimmt. 

Waller-Bridges Stil zeichnet sich genau durch solch ambivalente Protagonist*innen aus, die sie nicht nur erschafft, sondern auch selbst spielt. In Crashing verkörpert sie Lulu, die Katalysatorin der Handlung, mit der die Serie auch eröffnet wird: In der ersten Szene sitzt sie Ukulele spielend in einem Bus, ohne sich darum zu kümmern, was andere von ihr denken. Auf die genervte Reaktion ihrer Nebensitzerin im Bus antwortet sie singend „Somebody needs an orgasm“. Der Bus bringt sie auch geradewegs in die komplizierte (Beziehungs-)Situation zwischen ihrem besten Freund Anthony (in den sie natürlich verliebt ist) und dessen Verlobter Kate, die mit ihm keinen Orgasmus haben kann. Der erste Satz ist also für die gesamte Handlung wegweisend. 


So facettenreich sich alle Charaktere und deren Entwicklung im Verlauf der Serie auch darstellen, wollen wir uns hier vor allem auf eine konzentrieren: Kate. An ihrer Figur werden exemplarisch die Zwänge einer Frau im Heteropatriarchat verhandelt: Der Hass auf den eigenen Körper und der Wunsch, konventionelle heterosexuelle Lebensabschnitte zu erfüllen, wie eine eigene Wohnung und die Ehe. Dabei hat Kate nicht nur mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen, sondern übernimmt in der Gruppe die Mutterrolle für ihre Mitbewohner*innen (und vor allem ihren Verlobten Anthony), die ihr Leben noch viel weniger im Griff haben als sie.


Die Ankunft von Lulu bringt ihr Leben allerdings schlagartig durcheinander. Nicht nur stellt diese durch eine potenzielle alte Liebe eine Bedrohung für Kate dar, sie ist außerdem die Verkörperung all der Dinge, die Kate an sich selbst verunsichern. Lulu ist lockerer, spontaner, hat ein “befreites” Verhältnis zu Sex und ist einfach quirky. Da Lulu plant, auch im Krankenhaus einzuziehen, ist Kate nun dazu gezwungen, sich mit Lulu – und folglich auch mit ihren Unsicherheiten – auseinanderzusetzen. Dies beeinflusst auch ihre Beziehung zu Anthony maßgeblich, die – wie sich herausstellt – nur aufgrund der Komplexe, die Frauen im Patriarchat entwickeln, funktioniert. Zum Beispiel möchte sie sich nicht vor ihm entkleiden, was er schlicht nicht akzeptieren kann, und sie stattdessen verbal übergeht und sie dazu drängt, ihr Handtuch vor ihm fallen zu lassen. Im Laufe der Serie hinterfragt Kate daher immer wieder ihre Lebenssituation und möchte sie sogar gänzlich verändern. Sie beginnt, die patriarchalen Mechanismen nach und nach zu verstehen und zu hinterfragen, was letztendlich auch zur Auflösung der Beziehung führen muss.


Sehr gut zeigt sich dies bei dem Hass auf ihren eigenen Körper, einem Hauptinstrument des Partiarchats: Da Frauen selbst die Fähigkeit abgesprochen wird, sind sie auf die Bestätigung eines hetero Mannes angewiesen, um sich wertvoll zu fühlen und verwenden zudem Zeit und Geld mit Schönheitsbehandlungen und Selbsthass. All dies hat bei Kate wunderbar funktioniert: Sie versucht ständig, sich neu zu erfinden und etwas an ihrer Erscheinung zu verändern –  was beispielsweise in dem Kauf eines Hutes resultiert, den sie jedoch sofort abnimmt, sobald einer ihrer männlichen Mitbewohner ihn negativ kommentiert.


Aus dem systemischen Selbsthass der Frauen resultiert ein zweiter Mechanismus des Patriarchats: Die männliche Kontrolle über weibliche (und queere) Körper, die sich hier in Kates Beziehung zu Anthony zeigt. Nachdem sie – von Anthony bedrängt – versehentlich vor ihm auf den Boden gekackt hat, hat sie das Gefühl, die Kontrolle über ihren eigenen Körper zu verlieren. Und genau in dieser Überspitzung öffnet sich etwas: In einer kurz darauf folgenden Schlüsselszene lässt sie sich von der französischen Künstlerin obenrum frei mit Farbe bemalen und wirft ihren BH aus dem Fenster. Sie ist frei, unbeschwert, fühlt sich wohl in ihrem Körper und tanzt bunt im Atelier ihrer Mitbewohnerin. Auftritt Anthony: Zielstrebig geht er auf sie zu, bedeckt ihren Körper erst mit seinem, sodass niemand sonst – vor allem keine Männer – Kates Körper sehen und trägt sie dann gegen ihren Willen aus dem Raum. Denn ihre Befreiung bedroht die Beziehung, die darauf beruht, dass sie sich hasst und er sie bestätigt – er wird somit obsolet. Wann immer die patriarchale Dynamik in der Beziehung zu bröckeln droht, wird somit auch die Fassade der Partnerschaft aufgelöst. Kate spricht ebendies aus: “I think I’ve been pretending to be in love with you.” 


Es stellt sich ziemlich schnell heraus, dass Anthonys Charakter der eines sehr erbärmlichen Mannes ist, dessen einzige Rolle es ist, sich bis zum Schluss nicht zwischen zwei Frauen entscheiden zu können. Stattdessen sucht er bei der einen Rat zu der anderen, windet sich aus jeglicher Verantwortung heraus und kann vor allem eines nicht: Allein sein. Seine Figur hinterlässt uns mit der Frage, was diese zwei interessanten und charakterstarken Frauen in ihm sehen. 

Hier ist auch das oft widersprüchliche Verhalten Lulus eine offene Frage, denn bis zum Schluss weiß man nicht genau, was man eigentlich über sie denken soll.


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