Hot Takes Handmaid's Tale

Hot Takes #1

Rot wie Rebellion – Warum The Handmaid’s Tale zum Symbol für feministische Kämpfe weltweit wurde

Lena, Sofie und Kinga | 08.05.24

Texas, 2017: In roten Roben und weißen Hauben gekleidete Frauen protestieren gegen die Anti-Abtreibungs-Legislation. Buenos Aires, 2018: Frauen in Rot stehen für Abtreibungsrechte ein. Tel Aviv, 2023: Unter den großen Demonstrationen gegen Regierungschef Netanjahu findet sich eine Gruppe rot gekleideter Frauen, die auf die Gewalt gegen Frauen in der neuen Legislatur aufmerksam macht.


Diese internationalen Proteste sind das Ergebnis einer erfolgreichen Verwischung von Realität und Fiktion: Die roten Kleider imitieren die Mägde in Margarete Atwoods dystopischem Roman The Handmaid’s Tale. Sie warnen vor der Verwirklichung des totalitär-patriarchalen Regimes, das Atwood in ihrem Werk erschaffen hat.

Die Protestierenden wollen nicht in eine Welt geraten, in der Frauen jegliche Subjektivität abgesprochen und sie mit biologistischen Argumenten auf ihre Gebärfähigkeit reduziert werden – gebrandmarkt durch die Farbe ihrer Kleidung: Rot wie Blut. Bereits bei der Erstveröffentlichung des Romans im Jahr 1985 lagen Realität und Fiktion beunruhigend eng beieinander: So sagte Atwood in einem Interview, dass sich ihre Ideen ausschließlich auf reale politische Geschehnisse berufen, sie habe nichts Neues erfunden. 


Alle bisherigen autoritären Regime setzen sich wesentlich durch die Marginalisierung von und Kontrolle über Frauen(Körper) zusammen, so Atwood. Doch in den Jahrzehnten seit der Erscheinung hat sich unsere Welt immer mehr auf die im Roman beschriebenen Zustände zubewegt. Der Kampf um reproduktive Rechte hat sich vielerorts radikalisiert und bot somit passende Umstände für eine neue Adaption des Romanstoffes: So wurde 2017 die gleichnamige Serie ausgestrahlt und führte nicht nur zu einer extremen Popularisierung der Geschichte Atwoods, sondern sorgte auch dafür, dass die roten Gewänder in globale Proteste mit eingeschlossen wurden. Das Symbol der Unterdrückung wird somit in ein Symbol des Widerstands umgewandelt. 


Was macht Atwoods Roman so bedeutend, dass er fast 40 Jahre nach seinem Erscheinen solche Wellen schlägt? 

Die Geschichte wird aus der Perspektive der Handmaid Offred erzählt. Sie wird einem hochrangigen Ehepaar zugewiesen, dem sie in ihrer Position als Handmaid, also als Magd, Kinder gebären soll. Durch ihre Erzählung wird uns nach und nach die düstere Realität des Staates Gilead enthüllt, in dem die systematische Unterdrückung von Frauen das Fundament für das totalitäre Regime bildet. Die Besonderheit des Romans ist die Form, in der er erzählt wird: Durch die eingeschränkte und subjektive Perspektive der Protagonistin bleibt den Lesenden ein umfassender Überblick über die Mechanismen und den Aufbau Gileads verwehrt. Vielmehr steht die individuelle Erfahrung Offreds im Vordergrund. Mit stellenweise fast schon poetischer Sprache lässt Atwood die Protagonistin ihre Geschichte und Erfahrungen erzählen. Immer wieder vermischen sich dabei Erinnerungen an ihr vorheriges Leben in Freiheit mit der Gegenwart in Gilead. Dazu kommt das wiederkehrende Hinterfragen der Legitimität der Sprache – jeder Satz ist an die Frage seiner Erzählbarkeit gebunden. Atwood erschafft dadurch eine etwas andere Art des Erzählens, die einem die Ausmaße des totalitären Regimes beim Lesen unangenehm nahe bringt: Das beklemmende Gefühl der Isolation und das Wissen, dass man allem beraubt worden ist – sogar des eigenen Körpers.


Auch wenn sich körperliche Gewalt in diesem Roman in Grenzen hält, ist es doch ein gewaltvoller Text: Einerseits aufgrund der gewaltvollen Mechanismen des Regimes, die durch Offred fühlbar gemacht werden, doch auch ihre Erzählung selbst ist gewaltvoll, als ein radikaler Kampf um ihr Überleben. In einer Welt, in der alle Handlungen genau vorgeschrieben sind und dazu dienen, die eigene Subjektivität und Identität auszulöschen, begeht sie einen radikalen Akt des Widerstandes, indem sie durch ihr Erzählen ein “Ich” er- und die Unterdrückung des Regimes zer-schreibt. 


Wenn ihr nach
The Handmaid’s Tale noch nicht genug habt, könnt ihr übrigens auch die Fortsetzung lesen, die Atwood 2019 veröffentlicht hat. The Testaments weitet die Perspektive unter der weißen Haube auf gleich drei Erzählstimmen auf – unter anderem die von Aunt Lydia –, durch die man ein umfassenderes Bild von der Architektur des Regimes bekommt, sowie der Fortführung desselben nach dem Ende des ersten Bands. 



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