bleibt einfach mal Zuhause und macht nichts. Schaut Netflix, gönnt euch die Gammelzeit, die ihr sonst nicht zugesprochen bekommt, weil ihr dann ein fauler Sack seid (eine Bezeichnung, die auch in einem Video auftaucht). Ganz einfach!
Nur leider nicht für alle.
Die besonderen Helden in den Videos sitzen alle in riesigen Wohnzimmern, liegen auf Sofas vor einem Flachbildfernseher oder vertreiben sich die Zeit mit Computerspielen vor zwei riesigen Desktops mit Light-Up Tastatur. Dinge, zu denen nicht jeder Zugang hat. Klar, es ist wichtig, seine sozialen Kontakte einzuschränken, um Corona einzudämmen. Aber so leicht, wie es dargestellt wird, ist es eben leider nicht für alle. Menschen sind Rudeltiere und brauchen sozialen Kontakt. Wenn der nun nicht gegeben ist, weil man alleine wohnt, keine*n Partner*in hat oder anderweitig alleine ist, wird das Alleinsein schnell zur Zerreißprobe. Vor allem, wenn dann eben der Flachbildfernseher fehlt und man in seiner Ein-Zimmer-Wohnung oder seinem 10qm großen Zimmer festsitzt. Irgendwann fällt die Decke auf den Kopf. Wenn dann noch ein geregelter Tagesablauf fehlt, weil keine Uni stattfindet, man arbeitslos ist, die Schulen zu sind oder was auch immer, dann können die Folgen für die psychische Gesundheit fatal sein.
Was außerdem außer Acht gelassen wird,
ist, dass, allein sein nicht unbedingt bedeuten muss, die einzige Person in der Wohnung zu sein. Was ist mit alleinerziehenden Elternteilen, die im Home Office sitzen oder gar arbeitslos sind, aber ihren Kindern Zuhause beim Online-Unterricht helfen sollen (z.B. im ersten Lockdown)? Da wird fehlender Sozialkontakt mit dem Spagat zwischen Arbeit und Kinderbetreuung gepaart und das ist im schlimmsten Fall ein Rezept für Burnout.
Auch in einem ZDF-Beitrag wird zugegeben,
dass es schwierig wird, Kinder und Homeoffice zu deichseln, wenn kein*e Partner*in da ist. In dem Falle solle man doch ganz früh morgens oder abends, wenn die Kinder im Bett sind, arbeiten.
Dafür braucht es natürlich entsprechend tolerante Arbeitgeber*innen. Wem das nicht gegeben ist, der hat die Arschkarte.
Und deshalb ist es leider sehr einfach, das Zuhausebleiben als das Leichteste auf der Welt hinzustellen und es ironisch mit Kriegsheldentum zu vergleichen.
Was, ganz nebenbei, auch eine Bagatellisierung von Krieg ist. Das zieht Leute, für die es nicht so leicht ist, ins Lächerliche und stellt sie unnötig unverantwortlich hin. Denn ist es wirklich so unverständlich, dass die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, der 70-jährige alleinlebende Mann von gegenüber oder auch die Studentin in der Ein-Zimmer-Wohnung das Bedürfnis hat, sich mit Leuten zu treffen oder zumindest mal an die frische Luft zu gehen?
Es ist leider noch nicht besonders angekommen, dass psychische Gesundheit ebenso wichtig ist wie körperliche Gesundheit.
Und für Menschen in bestimmten Lebenssituationen oder Personen mit psychischen Problemen ist es eben ganz und gar nicht leicht, ein “Held” oder eine “Heldin” zu sein.
Was ist mit Menschen, die auf der Straße leben?
Die können nicht Zuhause bleiben, weil sie keins haben. Und für die wird die Lockdown Situation so richtig schwierig, wenn keine Personen mehr auf der Straße sind, die ihnen Geld spenden oder auch mal was zu essen oder zu trinken schenken. Die sind Kälte, mangelnder Hygiene, Armut und Alleinsein ausgesetzt, ohne dass darüber geredet oder ihnen besonders geholfen wird.
Personen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind,
haben es ebenfalls ganz und gar nicht leicht, einfach Zuhause zu bleiben. Hier bekommt das Alleinsein wieder eine andere Definition, die des Ausgeliefertsein und des Nicht-Beachtet-Werdens. Die Zahlen schwanken, aber Berlin berichtete im Juni beispielsweise
einen Anstieg von häuslicher Gewalt
um 30% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das ist nicht nichts
- es ist ein enormes Päckchen zu tragen.
Die
psychische Belastung
in schwierigen Situationen, egal ob es um tatsächliche Isolation oder um Alleinsein im Sinne von Schutzlosigkeit geht,
ist hoch. Die meisten Menschen fühlen sich durch die Coronakrise psychisch belastet. Der eingeschränkte Handlungsspielraum nimmt da einen recht großen Teil ein, genauso trägt aber natürlich die Sorge um Angehörige, die nicht gesehen werden können oder auch die Sorge um die eigene Gesundheit einen großen Teil dazu bei. Wenn man dann noch mit seinen Problemen alleine gelassen wird, weil man die ganze Zeit alleine zuhause sitzt und keine anderen Personen treffen kann/soll, ist das hochgradig schwierig. Die Folgen ebenso. Es gibt bereits jetzt einen Anstieg von Depressionen und Angstzuständen als Ursache für Krankschreibungen.
Wir sind leider nicht alle in der gleichen Situation und wir sind nicht alle gleich privilegiert. Klar mag es einfach sein, zuhause zu bleiben und Held*in zu spielen, wenn man die nötigen Gadgets zuhause hat, um sich die Zeit zu vertreiben. Klar mag es einfach sein, wenn man keine psychischen Vorbelastungen hat, die durch Alleinsein oder Einsamkeit noch verstärkt werden. Klar mag es einfach sein, wenn man die finanziellen Freiheiten hat, sich zu unterhalten oder auch einfach mal “faul” auf dem Sofa zu liegen. Die Möglichkeiten haben aber leider nicht alle Menschen.
Und daher darf auf keinen Fall außer Acht gelassen werden, dass Menschen mit anderen Privilegien nicht so einfach in Isolation oder Quarantäne leben können. Und gleichzeitig müssen Privilegien nicht unbedingt bedeuten, dass es einem alleine super geht und es dadurch automatisch einfach ist. Es ist eine schwierige Situation.
Es muss bessere Möglichkeiten geben, die Menschen aufzufangen und ihnen Tagesabläufe, psychische Betreuung o.ä. zu liefern. Dass nicht alle Regelungen aufgrund der psychischen Belastung gekippt werden können, ist auch klar. Aber sie als total einfach hinzustellen und damit Leute zu entwerten, die sich damit schwertun, ist unfair. Genauso ist es unfair, über die weniger privilegierten Leute einfach nicht zu sprechen. Wir sind nun mal eine diverse Gesellschaft mit diversen Problemen.