Ein Gastbeitrag von Sophia Hiss | 16.03.22
Freizeitparks erfreuen sich sowohl in Deutschland als auch international großer Beliebtheit. Der Europapark Rust glänzt neben seiner Größe auch mit den deutschlandweit höchsten Besucherzahlen, den vielen Attraktionen nach auch zurecht. Was man dort neben Achterbahnen, Karussells und Zirkusshows allerdings noch findet, sind jede Menge Länderclichés. Allen voran rassistische Überbleibsel der Kolonialzeit.
Unsere Gastautorin Sophia setzt sich für das Aufbrechen diskriminierender Strukturen ein - und wird massiv dafür angefeindet.
Wir haben mit ihr auch eine Podcastfolge aufgenommen. Hör doch mal rein!
Ich schreibe diese Zeilen nach ein paar recht anstrengenden Wochen im November 2021, in denen ich erfahren habe, was es bedeuten kann, eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit – wenn auch nur für einen sehr kurzen Zeitraum - zu bekommen. Ich bin „die Studentin“, „21-jährige“, „angehende Kulturwissenschaftlerin“ (unpräziser kann man mein Studium auch gar nicht bezeichnen), aber auch die „links-grün-geimpfte“ „Dame, die dankbar sein sollte“ und die in der Uni wohl nichts Besseres zu tun hatte, als sich mit einem Projekt zum Thema „Postkolonialismus in Freiburg“ in den Europapark zu begeben und vor Ort ein Fahrgeschäft kritisch zu diskutieren. Ich bin Teil des Studierendenduos, das es gewagt hat, sich mit dem Projekt an die Presse zu wenden, als klar wurde, dass es nicht wie erhofft in der Museumsausstellung „Kolonialismus in Freiburg. Gestern? Heute!“ im Jahr 2022 zu sehen sein wird. Ich bin diejenige, die dem Thema durch die Badische Zeitung gerne ein bisschen öffentliche Aufmerksamkeit schenken wollte. Und ich bin die, die danach persönlich massiv angefeindet wurde (oder „gemobbt“, wenn man die TZ zitieren will). Ich bin anscheinend mitverantwortlich dafür, dass jetzt eine Attraktion im Europapark umgestaltet wird und „Bananen entfernt werden“ (wenn man die BILD zitieren will). Ich bin die, hinter der sich der Europapark und Parksprecher Gabriel öffentlich stellt, aber vielleicht ja nur, weil die Kugeln von vorne kommen!
Ich möchte in diesem Text ein bisschen festhalten, was in den letzten Wochen passiert ist und würde gerne endlich einmal dazu Stellung beziehen, weil ich es natürlich für wichtig halte, meinen Senf dazuzugeben, wie die Aufmerksame Leserschaft der Badischen Zeitung, des STERNS, der Augsburger Allgemeinen Zeitung, der Stuttgarter Zeitung und der BILD wohl schon bemerkt haben könnte. Also an dieser Stelle ein dickes Sorry an alle, die dachten, sie hätten mich mit ihren postfaktischen Posaunen in Grund und Boden geschimpft. Bevor ich beginne, würde ich trotzdem gerne darauf verweisen, dass alle, denen der Begriff postfaktisch hier nicht bekannt sein sollte, bitte jetzt kurz unterbrechen und sich schnell im Internet darüber schlau machen sollten. Das wäre eine Praxis, die ich im Allgemeinen ein bisschen mehr einfordern möchte. Also, falls Sie gerade nach Postfaktisch suchen, tun Sie mir bitte den gefallen und nehmen sich noch 2-3 Minuten für Postkolonialismus, White Fragility und Alexej Nawalny (Letzterer eigentlich nur, falls Sie mit den anderen Begriffen schon durch sind, weil ich finde, dass er aktuell zu wenig Aufmerksamkeit bekommt… aber so ist das mit der Aufmerksamkeitsspanne der Menschen bezüglich medialer Berichterstattung einfach zu sein - #PrayforBeirut).
Nun, da wir alle ein kleines bisschen schlauer sind, möchte ich mich zunächst über den Artikel „Floßfahrt mit Kolonialflair“, der in der Badischen Zeitung erschienen ist, äußern. Allen, die jetzt erneut bei Google in die Tasten hauen, sei gesagt, dass er leider nicht mehr frei zugänglich ist und auch von der Plattform Facebook genommen werden musste. Das geschah aufgrund der vielen rassistischen und beleidigenden Kommentare, die nicht mehr „moderierbar“ waren.
Ich fasse deshalb kurz zusammen:
Zwei Studierende aus Freiburg hatten die Aufgabe für ein Seminar, das sich mit der Ausstellung ethnologischer Forschung in Museen beschäftigt, zu den Themenfeldern Postkolonialismus, Exotisierung, Othering, Rassismus usw. (Ja, Sie dürfen nochmal googlen) eine Übungsforschung zu tätigen und deren Resultat in ein Museumsmodul zu verpacken und so zu tun, als würde das Ergebnis der Forschung tatsächlich einmal im Museum präsentiert. Alles nur just for fun, um einmal Forscher*in zu spielen. Dachten wir…
Da wären zunächst die Kommentare, die sich auf unseren Status als Studierende beziehen. Wir seien also zugezogene, weiße Dauerstudenten, die offenbar ein irrelevantes Fach studieren, nicht arbeiteten und vor lauter Langeweile so einen Mist produzieren würden. Ach ja, und geimpft und bei Fridays for Future seien wir einigen Wutbürger*innen zufolge natürlich auch. Zunächst einmal haben wir das Projekt nicht aus lauter Langeweile, sondern als Pflichtbestandteil eines Seminars, für welches wir am Ende des Semesters eine Arbeit vorlegen mussten, auf der letztendlich unsere Abschlussnote beruht. Also wäre mir in meinem noch jungen vierten Semester langweilig gewesen, hätte ich vielleicht 50,- Eintritt in den Park bezahlt, aber nicht noch ein Aufnahmegerät und eine Kamera mitgenommen und alles danach mühsam in einen Film zu basteln, den letztendlich eh keiner gesehen hätte. Des Weiteren bin ich hier in Freiburg geboren und aufgewachsen und kenne den Park schon seit ich klein bin und auch ich habe die Bahn noch nie so kritisch hinterfragt, wie ich es nun als Studentin tue. Hier frage ich mich dann natürlich auch, ob mein Fach und meine Arbeit tatsächlich für unsere Gesellschaft so irrelevant sind, wenn sich doch so viele Leute Zeit nehmen, um einen Kommentar dazu im Netz zu schreiben. Aber das ist nur mein Eindruck nach den mehr als 800 Kommentaren, die ich mir angetan habe.
Die Kommentare, die dem Pathos „das war doch schon immer so“ und „das ist nun mal unsere Geschichte“ folgen, möchte ich so simpel und einfach, wie es ist entgegnen: Ja, das war schon immer so und ja, der Kolonialismus ist Teil unserer Geschichte, genauso wie es der Holocaust ist, aber nur weil etwas schon immer so war heißt das nicht, dass es etwas erstrebenswertes und Gutes ist. Und um es mit Frank Walter Steinmeiers Worten zu sagen, „haben wir sonst so geschichtsbewussten Deutschen [wenn es um die Kolonialzeit geht] allzu viele Leerstellen".
Allen, die sich sorgen, in Deutschland bald „gar nichts mehr“ sagen zu dürfen, würde ich hier gerne ein ehrlich gemeintes Angebot machen: Liebe Leute und Freunde der hitzigen Diskussion, ich kann es wirklich nachvollziehen, dass es die ein oder andere Person vor den Kopf stößt, wenn die Lieblingsattraktion im Park verschwindet oder umgebaut wird und man aus der Zeitung nur von einer Studentin liest, die sagt, dass das problematisch ist und keiner erklärt, warum das denn überhaupt so ist. Ich kann verstehen, dass es überfordernd ist, wenn überall Sprache verändert wird, Verhaltensänderungen gefordert werden und sich junge Menschen auf einmal weigern bestimmte Dinge weiterhin zu akzeptieren. Ich kann auch durchaus nachvollziehen, dass man hier doch einfach an die Hand genommen werden möchte und diese ganzen neuartigen Ereignisse und Wendungen erklärt haben möchte. Klar könnte man sich auch eigenständig informieren und auf sachlicher Ebene austauschen, aber das ist natürlich auch ganz schön viel verlangt von einer erwachsenen mündigen Person. Deshalb biete ich allen an, die sich überfordert, zensiert und unwissend fühlen oder irgendetwas an dem Diskurs nicht verstehen:
Stellt diese Fragen doch einfach offen und seid ehrlich, dass ihr nicht genau begreift, worum es geht und seid hartnäckig, wenn ihr mit der Antwort nicht zufrieden seid.
Diskutiert und versucht euch weiterzubilden, empört euch auch gerne, falls ihr etwas anders seht, aber tut mir einen Gefallen und urteilt nicht einfach so drauf los, wo ihr auch einfach erst einmal fragen könntet! Auch ich bin keine Expertin für die Geschichte des modernen Rassismus, der Sklaverei und des Kolonialismus, auch ich bin nicht von Rassismus betroffen (natürlich nicht!) und auch ich weiß nicht immer so genau, wie ich zu bestimmten Themen stehe, aber ich habe gelernt selbstständig zu denken und mich auf Diskussionen einzulassen. Und das werde ich auch tun, wenn wir ernsthaft und auf Augenhöhe miteinander sprechen können.
Tatsächlich drehen sich meine Lieblingshasskommentare jedoch um die Tatsache, dass es doch verdammt nochmal „Wichtigeres“ auf unserer Welt gäbe und wir einfach keine anderen Sorgen hätten. Ich empfehle für all jene Menschen mich in dieser Hinsicht zu erleuchten und mir die „wirklichen“ Probleme unserer Welt mitzuteilen und mir im gleichen Atemzug am besten noch zu erklären, wie man sie lösen könne. Wallah ich schwöre, wenn mir eine*r diesen Gefallen tun würde, dann wäre das Europapark Thema sofort gegessen und ich würde mich auf die wirklich wichtigen Probleme unserer Menschheit konzentrieren. Allen, die gerne einmal (weltliche und gesellschaftliche) Probleme gegeneinander aufwiegen, empfehle ich abschließend den Poetry Slam von Kaleb Erdmann mit dem Titel „Wie viel Mal Bus verpassen ist einmal Ebola?“.
Alles in allem war das zwar noch lange nicht alles, was ich hier gerne losgeworden wäre, aber ich sollte auch irgendwann einmal einen Punkt machen. Aktuell stehe ich in Kontakt mit einigen Aktivist*innen aus BIPOC*Gruppierungen und erfahre hier viel Rückhalt für mein Engagement. Das tut sehr gut und macht mir Mut, dass es richtig war, das Thema anzusprechen und mich für eine antirassistische und postkoloniale Aufklärung einzusetzen. Auch und gerade als weiße Person. Ich denke, in den nächsten Wochen werden einige weitere Artikel erscheinen, diesmal jedoch mit einem etwas anderen Narrativ und das ist gut so. Und bei all dem ganzen zum Teil sehr unangenehmen Trubel, bei dem ich erfahren habe, was es bedeutet, mit Klarnamen auf Facebook aktiv zu sein, darf ich nun zum Schluss feierlich verkünden, dass unser Projekt nun doch im Museum zu sein wird. Diesmal jedoch nicht im Sinne der Reproduktion von kolonialen Bildern im Europapark, sondern im Kontext der Herausforderung der Thematisierung von Kolonialismus und Rassismus in unserer heutigen Gesellschaft. Für alle, die einen Mittelfinger auf Facebook unter einen der Artikel gepostet haben ist der Eintritt frei!
Sophia ist 22 Jahre alt und studiert Islamwissenschaft und Kulturanthropologie/Ethnologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Zentral für ihr Studium ist ihr Interesse an außereuropäischen Sprachen (Arabisch und Türkisch) und Politik des "Nahen und Mittleren Ostens" sowie die Auseinandersetzung mit Postkolonialismus und Rassismus.
Sophia hat eine große Leidenschaft fürs Schreiben und Recherchieren und reist gerne durch die Weltgeschichte. Gelegentlich kann mensch ihre Meinung auch auf Twitter lesen, von sonstigen Social-Media Plattformen hält sie sich so gut fern, wie es geht. Sie engagiert sich gerne ehrenamtlich und versucht, ihre privilegierte Position dafür zu nutzen, um sich für gute Dinge einzusetzen.
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