Musik&Politik


Ist Musik politisch?

Lilly | 25.09.21

Ich denke, wir kennen es alle - Auf Partys, in der Uni, auf Tinder. Nach den ersten Wer-bist-du-und-was- machst-du-Fragen in Kennenlerngesprächen führt der Weg schnell zur Musik: “Und, was hörst du so?” Und ich denke auch, viele von uns werden sich einig sein, dass die wohl schlimmste Antwort darauf “Eigentlich alles” oder auch “Naja, was so im Radio läuft” ist. 

Ihr wisst es, dieser Monat dreht sich bei uns um Politik - aber was hat denn Musik damit zu tun? Musikgeschmack ist doch was Persönliches, quasi privat. Ja und Nein - Musik hat Macht.


Das Thema lässt sich von einem kulturpessimistischen Standpunkt aufrollen, ich könnte sagen, die heutige Musik ist inhaltslos und repetitiv. Ich könnte den musikalischen Verfall der Popmusik beklagen, die nur Herzschmerz und andere “zeitlose” Dinge besingt, die aufgrund ihrer absoluten, nicht kontextgebundenen Nachvollziehbarkeit auch das breitmöglichste Publikum ansprechen. Ich finde jedoch, das würde der ganzen Thematik nicht gerecht, dafür ist Musik in ihrer Vielfalt, mit unzähligen Genres und Gestaltungs-möglichkeiten sowie als künstlerische Ausdrucksform viel zu komplex. Stattdessen möchte ich lieber zur Bewusstmachung von Musik beitragen.

Musik ist ein menschliches Bedürfnis, sie macht das Leben schöner, Dinge emotional greifbarer, wenn auch nicht sichtbar. Wahrnehmung und Geschmack sind so verschieden wie die Menschen auf dieser Erde, und doch schaffen Menschen es immer wieder, viele andere mit ihren Kompositionen zu begeistern, zu berühren und zu emotionalisieren. Diese Fähigkeiten der Musik gilt es nicht zu unterschätzen - sie können nämlich auch für politische und ideologische Zwecke verwendet werden. Musik schafft Gemeinschaft und Zusammenhalt, ja, sogar Identität. Ob beim Singen von Nationalhymnen, bei Popkonzerten oder Volksfesten.

 

Musik ist also bei weitem nicht nur ein schöner Zeitvertreib, sondern als Kunstform schon lange ein Mittel, etwa Gesellschaftskritik zu üben. Text bekommt durch sie eine besondere Macht, vielleicht auch, weil er sich hinter ihr verstecken kann. Entgegen vieler Annahmen über den “unpolitischen” Mozart, versteckte auch der schon politische Statements in seinen Werken. “Mit Figaros Hochzeit wurden zum ersten Mal zeitgenössische soziale Konflikte Gegenstand einer Oper. Ein Diener lehnt sich auf gegen die Willkür seines adligen Dienstherrn.” Klassenkampf also. Damit ist Mozart bei weitem nicht alleine - während der weit verbreiteten Politikflucht im Biedermeier etwa ließ der Komponist Albert Lortzing Systemkritik einfließen. “Die Kunst und Literatur aus jener Zeit wird gerne als konservativ oder „altbacken“ rezipiert. Interessanterweise war Lortzing genau das eigentlich nicht – anstatt zu fliehen, ging er in seinen Stücken mit politischen Themen auf Konfrontation.” (1) Anstatt seine Demokratiebestrebungen und die Solidarität mit der Arbeiterklasse in gleichzeitiger Auflehnung gegen bestehende Machtverhältnisse (zum Beispiel in seiner “Freiheitsoper” Regina von 1899) als solche zu erkennen, wurde er von den Nazis als “deutscher Nationalsmusikant” instrumentalisiert: „Und man weiß, ‚Volkstümliches‘ rutschte dann gern, in allgemeiner Deutschdumpfheit, ins ‚Vaterländische‘ und dann ins ‚Völkische‘“ (2).

Musik lässt Menschen Erlebnisse an Emotionen geknüpft abspeichern, trägt Erinnerungen und gibt Sinn.

Gerade für nationalistische Interessen lassen sich volksnahe und ausdrucksstarke Melodien gut missbrauchen, wie der DW-Artikel “Wie Beethoven für die Nazi-Propaganda vereinnahmt wurde” beschreibt: “Die Nationalsozialisten instrumentalisierten Beethoven für ihre Propagandazwecke. Dabei interessierte sie nicht nur seine Musik, sondern auch die Attribute, die dem Komponisten und Menschen Beethoven zugeschrieben wurden. Beethoven galt als Titan, als Held, der das Schicksal seiner Taubheit überwunden hatte und nicht zuletzt als deutsches Musikgenie.” Musik kann Patriotismus durch Vereinigung von Tradition und Kultur einen Raum geben, durch ihren diffusen und abstrakten Charakter (National)Epen aufrecht erhalten und durch ihre emotionale Kraft Menschen in (Gemeinschafts)Gefühle hinein manipulieren - das perfekte Brainwashing. Sie hat - wenn gut ausgeführt - hohen Wiedererkennungswert, lässt Menschen Erlebnisse an Emotionen geknüpft abspeichern, trägt Erinnerungen und gibt Sinn. Das könnte das Rezept für Freiheit sein, gleichzeitig jedoch auch für Propaganda. 


Heutzutage ist die meistgehörte Musik ungefähr das, was so im Radio kommt, und damit meine ich eher nicht BR-Klassik: Laut Statista hören über 30% gerne “Rock und Popmusik”, dicht gefolgt von “Oldies und Evergreens”. Während in der klassischen Musik, die heute doch eher eine nischigere Rolle innehat, ältere Musik von meist bereits verstorbenen Komponisten als der Maßstab angesehen und neuere, zur jeweiligen Zeit aktuelle Musik häufig zunächst skeptisch beäugt wurde und wird (weshalb viele Komponisten auch erst nach ihrem Tod erfolgreich wurden), sieht es bei den Genres, die ich der Popmusik zuordnen würde, anders aus: Immer neue Hits müssen her, Altes verbraucht sich schnell. Musik scheint im Rahmen des Kapitalismus auch Teil eines Wegwerfsystems geworden zu sein, in dem immer neue und gleichermaßen austauschbare Titel produziert und konsumiert werden müssen.

Diese Austauschbarkeit sorgt unter anderem dafür, dass mich Chartmusik oft langweilt und ich in älterer, ungeschliffener Popmusik nach mehr Charakter und Substanz suche. Sei es ein unperfekter, vielleicht sogar kaputter Stimmklang, eine verstimmte Gitarre, rhythmische Ungereimtheiten. Diese Tendenz stelle ich nicht nur bei mir fest: Viele junge Menschen hören Rock, Disco, Soul und Bluesmusik aus den 60ern-90ern, Bands setzen sowohl klanglich als auch optisch auf Vintage-Ästhetik, bereits bekannte Beats und Melodien aus den vergangenen Jahrzehnten werden in neuen Songs gesampelt.


Musik kann verschiedenste Rollen einnehmen; ob als Botschafterin für politische Aussagen, Stimmungsmacherin im Hintergrund für Film und Fernsehen oder eben in ihrer wohl ursprünglichsten Form als Ventil für Gefühle. Muss sie also politisch sein? Vielleicht nicht, aber sie kann. Und das auch indirekt, da wir heute durch unseren Konsum Einfluss darauf nehmen können, wem Gehör geschenkt wird und wem nicht. Den Wahlspot der Grünen muss ich zum Beispiel wirklich nicht noch einmal hören. 


Falls ihr Lust habt, euren musikalischen Horizont ein bisschen zu erweitern, könnt ihr gerne in die Playlist reinhören, die ich auf unserem Spotify für euch erstellt habe.

Quellen:


(1) Düstersiek, Liliana (2020): „harmlos-naiv“?  – Untersuchung des Opernschaffens Albert Lortzings, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/927363, S.7.


(2) Lodemann, Jürgen (2000): Auf scheußliche Weise” in Lortzing: Leben und Werk des dichtenden, komponierenden und singenden Publikumslieblings, Familienvaters und komisch tragischen Spielopernweltmeisters aus Berlin, Göttingen: Steidl Verlag, 649-650.

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