Lilly | 23.01.23
Während manche Menschen damit hadern, keine Kinder bekommen zu können, ist für andere sonnenklar, dass sie das nicht oder nicht mehr möchten. Doch in unserer Gesellschaft scheint es die Norm zu sein, dass gerade weiblich gelesene Personen früher oder später auf jeden Fall Mutter werden – schließlich sei das ja ihr Schicksal, ihre natürliche Aufgabe.
Ein sicherer Weg, eine ungewollte Schwangerschaft zu vermeiden, ohne sich weiterhin mit kostspieligen und anderweitig unpraktischen Verhütungsmethoden herumschlagen zu müssen, ist die
Sterilisation. An jemanden zu gelangen, der diese durchführt, scheint für viele allerdings zunächst ein Ding der Unmöglichkeit.
FLINTA-Personen wird die Selbstbestimmung abgesprochen und davon ausgegangen, dass sich früher oder später schon noch ein Kinderwunsch einstellt. Wie schwer es sein kann, ständig mit diesen Stigmata rund um “Weiblichkeit” konfrontiert zu sein, lest ihr in den folgenden Beiträgen aus unserer Community.*
Ich war 35 Jahre alt, mein zweites Kind zum Glück gesund zur Welt gekommen und ich überzeugt davon, dass ich damit meine Familienplanung abgeschlossen habe. Darum habe ich im nächsten Termin bei meiner Frauenärztin das Thema Sterilisation angesprochen. Ihre Antwort auf meinen Wunsch: "Das macht Ihnen vor 40 keiner." Okay, warum denn nicht? Übersetzt also: Ich könnte mich ja in meiner Lebensplanung irren und doch noch ein drittes Kind wollen. Und um diese Fehlentscheidung zu verhindern, werde ich dankenswerterweise von den Medizinern bevormundet. Natürlich könnte ich mir eine Zweitmeinung einholen, die Ärztin wechseln. Aber als arbeitende Mutter habe ich ehrlich gesagt auch anderes zu tun. Also habe ich mich am Ende für eine Spirale entschieden, die die Zeit bis zum 40. Geburtstag überbrückt. Und dann? Dann führe ich das Gespräch wieder und bin jetzt schon auf neue Ablehnungsgründe gespannt.
Corinna (37):
Ich war Anfang 30, als ich offen sagen konnte: Ich will keine Kinder! Nicht nur noch nicht jetzt, sondern niemals. Meine Angst, ungewollt schwanger werden zu können, war immer groß. Die Entscheidung zu einer Sterilisation war für mich die logische Konsequenz. Die bayerischen Gynäkolog*innen sahen das anders. Ein älterer Gynäkologe ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Er setzte sich wie ein gutmütiger Großvater neben mich und meinte: "Aber nein, so etwas machen wir nicht" und "Wir wollen doch noch Kinder". Als sei ich eine aufmüpfige 3-Jährige und keine erwachsene Frau. Nach einem Jahr fand ich eine Klinik, die mich operieren wollte. Dann kam der Corona-Lockdown, also wieder warten. Der vereinbarte Termin wurde dann plötzlich abgesagt. Von der Klinikleitung hieß es, dass der Chirurg auf unbestimmte Zeit krank sei. Nach einem Anruf auf der Station wurde meine Ahnung bestätigt, die neue Klinikleitung wollte die liberale Einstellung des Chefarztes nicht länger dulden. Am Ende des Gesprächs gab mir die Schwester noch den Tipp, dass man mir eine Sterilisation nicht länger verweigern könne, wenn mir ein*e Therapeut*in ein Gutachten ausstellt, dass ich mental in der Lage sei, diese Entscheidung zu treffen. What the fuck? Da war ich wirklich am Tiefpunkt. Sowohl bei meiner Suche als auch mental. Meine OP war dann reiner Zufall – nach über zwei Jahren Suche, und ich musste das Bundesland dafür wechseln. Eine Krankenschwester aus meiner Heimatstadt konnte ein gutes Wort in ihrer Klinik für mich einlegen. Im Vorgespräch mit der Oberärztin wurde das erste Mal nicht an meiner Entscheidungsfähigkeit gezweifelt. Dennoch hat es sich der Chefarzt nicht nehmen lassen, mich kurz vor der OP auf meinem Zimmer zu besuchen und zu fragen, ob ich es mir nicht doch noch einmal anders überlegen wolle.
Meine Narben stören mich nicht, sie sind für mich der Beweis, dass ich den Kampf gewonnen habe. Ohne die Unterstützung von diesen zwei Frauen hätte das wohl nicht geklappt.
Schon als junges Mädchen habe ich mir eine kinderlose Zukunft vorgestellt, und das hat sich bis heute auch nicht geändert. Ich habe weder eine Verbindung zu Kindern, noch würde ich von mir behaupten, dass ich eine gute Mutter sein könnte.
Für mich gehört zum Kinder bekommen mehr als nur der Wunsch dazu. (...) Meiner Meinung nach werden Schwangerschaft und Elternsein zu sehr romantisiert. Ein Kind großzuziehen bedarf viel Energie und Motivation, und nicht jeder Mensch eignet sich dafür. Ein Kind bedeutet auch nicht automatisch das i-Tüpfelchen auf einer glücklichen Partnerschaft.
Seit meinem ersten Sexualpartner beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema Verhütung und mit der Vorstellung, ungewollt schwanger werden zu können. Für mich war drei Jahre lang die Anti-Baby-Pille eine zuverlässige Methode, sich sorgenfrei sexuell ausleben zu können. Nach mehreren Pillenwechseln und dem dauerhaften Gefühl, keine Kontrolle mehr über meinen Körper zu haben (...) habe ich die Pille abgesetzt. Mein Partner und ich können uns beide kein Leben als Eltern vorstellen.
Für uns war schnell klar, dass wir uns in diesem Bereich von jeglicher Verantwortung befreien möchten.
Schlagwort: Sterilisation.
Laut unserer Recherchen bezahlt man als Mensch mit Eileitern für eine Sterilisation deutlich mehr als ein Mensch mit Samenleitern. Allerdings sind Ärzt*innen wohl eher dazu bereit, Eileiter operativ zu durchtrennen als Samenleiter. Möchtest Du Dich als Mensch mit Samenleitern sterilisieren lassen, musst Du entweder über 25 Jahre alt oder bereits Elternteil eines Kindes sein, so unser Kenntnisstand.
Wir als Paar befinden uns gerade in einer schier ausweglosen Situation. Wir haben uns bewusst für ein kinderloses Leben entschieden, so wie sich andere bewusst für ein Leben mit Kindern entschei-den, aber wir können diesen Eingriff nicht bzw. nur schwer durchführen lassen. Das Thema Sterilisation sprechen wir in unserem Umkreis nicht an. Es würde nur auf Unverständnis und “Wartet doch erstmal ab” - Kommentare hinauslaufen. Anmerkungen wie “Das hier hebe ich auf, für eure Kinder später” zeigen mir persönlich immer wieder, wie automatisch davon ausgegangen wird, dass man als Paar irgendwann einmal Kinder bekommen wird: Unangenehm für Personen wie mich und meinen Partner.
Wir sollten als Gesellschaft aufhören, davon auszugehen, dass jeder Mensch Kinder haben möchte. Wir sollten aufhören, andere zu so einem intimen und persönlichen Thema auszufragen. Es gibt Menschen, die möchten Kinder, es gibt Menschen, die möchten keine Kinder und es gibt
Menschen, die Kinder möchten, es aber aus z.B. medizinischen Gründen nicht können. Beispielsweise wird jemand gefragt: „Und? Wie sieht es aus mit Kindern?“, die Person hat aber schon mehrere Fehlgeburten hinter sich oder wird schlichtweg einfach nicht schwanger. Gar nicht auszumalen, wie sich so jemand dann fühlt. Menschen, die sich bewusst dafür entscheiden, keine Kinder zu bekommen, werden in der Gesellschaft häufig nicht ernst, als unreif oder voreilig wahrgenommen. Wenn Du mit sechzehn sagst: „Ich möchte später Kinder“, werden deutlich weniger Menschen ihren Mund aufmachen, als wenn Du mit sechzehn sagst: „Ich möchte später keine Kinder“. Ich finde, an diesem Beispiel erkennt man deutlich das Problem. Wir sollten sensibler mit diesem Thema umgehen.
Julias persönliche Gründe für ein Leben ohne Kinder:
• Der Wunsch, das eigene Leben anderweitig zu gestalten (zum Beispiel ausgiebiges Reisen)
• Angst vor einer Geburt und Veränderungen des Körpers
• Der Wunsch, keine Verantwortung in diesem Ausmaß für einen anderen Menschen übernehmen zu müssen
• Der Wunsch nach Unabhängigkeit
• Kein Interesse an Erziehungspädagogik
• Psychisches Unwohlsein während einer Schwangerschaft
• Zukunftsängste aufgrund von Klimawandel, Krieg und Inflation
• Brechen von Rollenbildern
*Disclaimer:
Es handelt sich hierbei um Erfahrungsberichte einzelner Personen. Die Schilderungen basieren auf deren persönlichen Erfahrungen und Wissensstand, den wir nicht durch explizite Recherche nachgewiesen haben.